Offener Brief des IG-BCE-Vorsitzenden / Gegen den beabsichtigten Systemwechsel des BDI-Präsidenten
(Hannover) - Der IG-BCE-Vorsitzende Hubertus Schmoldt hat die grundsätzliche Kritik des BDI-Präsidenten Michael Rogowski an der Mitbestimmung im Aufsichtsrat in einem offenen Brief zurückgewiesen. Ihm gehe es nicht um Erneuerung des Modells Deutschland, sondern um einen Systemwechsel, weg von der sozialen Marktwirtschaft. Das Schreiben ist im Folgenden dokumentiert.
Sehr geehrter Herr Rogowski,
in einem stern-Interview haben Sie die Mitbestimmung im Aufsichtsrat als einen Irrtum der Geschichte bezeichnet. Sie stellen damit ein wesentliches Element unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zur Disposition. Das kann nicht ohne Antwort bleiben.
Tatsächlich offenbart Ihre Einschätzung der Mitbestimmung ein grundsätzliches historisches Missverständnis. Sie haben bis heute offensichtlich nicht akzeptieren können und wollen, dass die - nicht nur wirtschaftlichen Erfolge der Bundesrepublik maßgeblich auf der Grundsatzentscheidung beruhen, Arbeitnehmer im Betrieb und im Aufsichtsrat zu beteiligen. Der Aufstieg Deutschlands zu einer der führenden Industrienationen konnte auch deshalb gelingen, weil es Erfolg versprechender ist, in den Unternehmen miteinander statt gegeneinander zu handeln.
Mitbestimmung im Aufsichtsrat ist nicht zuletzt Ausdruck sowie Voraussetzung, dass sich Unternehmen nicht nur kurzfristig und kurzsichtig an vermeintlichen Renditeinteressen der Anteilseigner ausrichten, sondern nachhaltige Wachstumsstrategien auf den Märkten verfolgen. Mittel- und langfristig gewinnen dabei alle. Wer will, dass Arbeitnehmer Mitverantwortung tragen, kann sie nicht zugleich von Mitsprache und Mitbestimmung ausschließen wollen.
Es ist bemerkenswert, dass Sie Ihre Kritik an der Mitbestimmung im Aufsichtsrat mit keinem Beispiel aus dem eigenen Unternehmen bzw. aus persönlicher Erfahrung belegen. Notwendige Entscheidungen werden bei Voith nicht blockiert, sagen Sie, und: Wir kommen damit zurecht.
Das entspricht meinen eigenen Erfahrungen als Aufsichtsrat sei 1980 bei Mobil Oil, im Übrigen einem amerikanischen Unternehmen. Weder von Seiten der Anteilseigner noch vom Management gab es jemals Klagen über die Beteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat. Im Gegenteil, stets wurden die Vorteile einer konsensorientierten Entscheidungsfindung betont, die unter anderem mehr Transparenz und Motivation im Unternehmen zur Folge hat.
Diese positiven Erfahrungen bestätigen sich auch bei BP. Dieser Mineralölkonzern, dessen Aufsichtsrat ich heute angehöre, betreibt das größte deutsche Tankstellennetz und die größte Raffineriekapazität hier zu Lande. Die Mitbestimmung hat dem Unternehmen nur genutzt, nicht geschadet und wird von niemanden infrage gestellt.
Es ist mehr als bedauerlich, dass Sie Ihre wohl ausschließlich ideologisch motivierte Mitbestimmungskritik mit längst widerlegten Behauptungen zu begründen suchen. Ich erinnere nur an den bereits 1998 vorgelegten gemeinsamen Bericht der Hans-Böckler-Stiftung und der Bertelsmann Stiftung, der bestätigt, dass die Verantwortlichen in den Unternehmen die Vorteile von Mitbestimmung zu schätzen wissen und dass Mitbestimmung erfolgreich ist. Eine Studie der Unternehmensberatung Roland Berger aus dem Jahr 2003 kommt zudem zu dem Schluss, dass mitbestimmte Unternehmen weniger krisenanfällig sind und eingetretene Krisen schneller und besser überwinden.
Genauso wenig ist belegbar, dass die Mitbestimmung im Ausland nicht vermittelbar wäre. Jedes dritte Unternehmen mit Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat hat mittelbar oder unmittelbar eine ausländische Konzernmutter. Selbst die US-Börsenaufsicht SEC erklärt: Die Mitbestimmung ist historisch gewachsen und wir nehmen keinen Anstoß daran.
Noch ein Wort zur angeblichen Ineffizienz zu großer Aufsichtratsgremien. Ausschlaggebend ist nicht die Zahl, sondern die Qualität der Mitglieder. Fehlentscheidungen hat es in Unternehmen mit drei- bis fünfköpfigen Aufsichtsräten genauso gegeben wie in 20köpfigen Aufsichtsräten. Erwiesen ist jedoch, dass Vertreter von Arbeitnehmern mindestens genauso befähigt sind, ihr Aufsichtsratsmandat verantwortlich wahrzunehmen, wie Kapitalvertreter.
Es würde der Debatte nicht nur um die Mitbestimmung gut tun, wenn Fakten darin zur Geltung kämen statt Vorurteile, die auch durch ständige Wiederholung nicht richtiger werden.
Die IG BCE hat sich nie notwendigen Reformen verweigert, wir tragen auch jetzt den Reformprozess zur Modernisierung unseres Landes im Zeichen von Globalisierung und demographischen Wandel mit. Aber wir wollen das Modell Deutschland erneuern, nicht zu Grabe tragen, wie Sie es offenbar beabsichtigen.
Wir wissen sehr wohl, dass es Ihnen nicht allein um Mitbestimmung im Aufsichtsrat geht, sondern dass BDI und BDA auch die betriebliche Mitbestimmung schwächen wollen, dass gleichzeitig die Tarifautonomie angegriffen wird dem Grundgesetz zum Trotz. Ziel ist ein grundlegender Systemwechsel, Sie verabschieden sich von den Prinzipien sozialer Marktwirtschaft. Das schadet unserem Land auch deshalb, weil es die Reformbereitschaft insgesamt verringert. Wer auf Konfrontation, Ellbogen und Herr-im-Haus setzt, behindert den Prozess der Erneuerung.
Die IG BCE wird weiterhin für sozialen Ausgleich und soziale Gerechtigkeit einstehen.
Quelle und Kontaktadresse:
IG BCE Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie, Bundesvorstand
Königsworther Platz 6, 30167 Hannover
Telefon: 0511/7631-0, Telefax: 0511/7631-713