Norddeutscher Groß- und Außenhandel: Großhandel gewinnt an Kraft / Außenhandel legt Verschnaufpause ein / AGA fordert Wahlfreiheit für die Berufsschule in der Metropolregion Hamburg
(Hamburg) - Das Geschäftsklima im norddeutschen Groß- und Außenhandel hat sich zur Jahresmitte weiter aufgehellt. Die positiven Umsatz- und Gewinnerwartungen des Frühjahrs finden derzeit ihren Niederschlag in den Auftragsbüchern und bei den Lieferungen. Vor allem der Handel mit Investitionsgütern sowie mit Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen, der sogenannte Produktionsverbindungshandel, gewinnt an Kraft. Der Außenhandel, der sich in den beiden zurückliegenden Quartalen kräftig erholt hatte, legt eine Verschnaufpause ein. Die Aussichten bis zum Jahresende sind optimistisch, aber nicht euphorisch. Das erklärte Dr. Hans Fabian Kruse, Präsident des AGA Unternehmensverbandes, auf der Basis der jüngsten Konjunkturumfrage seiner Organisation heute in Hamburg.
Die Wirtschaft habe sich deutlich schneller erholt als es viele erwartet haben. Das sei aber kein Grund für "Partylaune", sagte Kruse. "Der Zeitpunkt, Sektkorken knallen zu lassen, wird erst kommen, wenn die Sprengsätze, die ein nachhaltiges Wachstum verhindern und die Zukunft unserer Gesellschaft massiv gefährden, entschärft sind", heißt es weiter. Er nannte den gewaltigen öffentlichen Schuldenberg, die fehlende Zukunftsfähigkeit des Sozialsystems und die ungelösten Herausforderungen bei Bildung, Ausbildung und Integration aller Mitbürger.
"Die Unternehmen unserer Wirtschaftsstufe gehen mehrheitlich davon aus, dass sich der Wettbewerb weiter verschärfen wird", sagte Kruse. Zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit müssten Kosten gesenkt und neue Geschäftsfelder und Märkte erschlossen werden. Dies geschehe durch Prozess- und Produktinnovationen. Lagertechnik und Logistik würden weiter optimiert. Maßnahmen zur Kundenbindung und zur Gewinnung neuer Kunden stünden auf der Agenda ganz vorn. "Das Liquiditätsmanagement wird professionalisiert. Dadurch optimieren die Unternehmen ihre Finanzierung und senken ihre Kreditkosten durch eine bessere Bonität," so Kruse.
Die Unternehmen würden sich auf schwierige Zeiten vorbereiten. "Die Politik sollte daher alles unterlassen, was die Anpassungsfähigkeit mittelständischer Unternehmen schwächt", forderte der AGA-Präsident. Vor allem kleine und mittelgroße Unternehmen würden mit der Regelungswut des Staates kämpfen. Die Kostenbelastungen durch die Chemikalienverordnung REACH, durch überzogene Vorschriften zur Terrorabwehr im internationalen Handel und durch das Datensammelprojekt ELENA würden kleine und mittelgroße Unternehmen überdurchschnittlich belasten, erklärte Kruse.
Die nominalen Umsätze im norddeutschen Groß- und Außenhandel lagen im zweiten Quartal 2010 bei deutlich gestiegenen Preisen um 4,2 Prozent über dem Vorjahresniveau, real waren es 0,3 Prozent. 60 Prozent der befragten Großhändler melden höhere Umsätze gegenüber dem Vorjahr. Die Gewinnentwicklung hat sich weiter leicht verbessert. 23 Prozent der befragten Unternehmen bewerten ihre Gewinnsituation als gut (Vorquartal: 18 Prozent), 18 Prozent hingegen als schlecht (Vorquartal: 30 Prozent). Der AGA-Indikator, der die Einschätzung der gegenwärtigen und der erwarteten Ertragslage zusammenfasst, ist um 9 Punkte gestiegen und weist jetzt einen Stand von 121 Punkten auf. Werte über 100 sind Ausdruck einer relativ guten, Werte unter 100 einer relativ schlechten Geschäftslage.
Erstmals seit dem Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise im Herbst 2008 hat der Produktionsverbindungshandel, der traditionell Motor des Binnengroßhandels ist, wieder deutlich an Kraft gewonnen. Das zeige, so der AGA-Präsident, dass in Deutschland wieder mehr produziert und investiert werde.
Positiv haben sich die baunahen Handelsbereiche entwickelt, die von den Konjunkturpaketen und von den niedrigen Zinsen profitieren. Weniger kraftvoll entwickeln sich derzeit die konsumnahen Handelsbereiche. Die Aussichten bis zum Jahresende sind beim Handel mit Ge- und Verbrauchsgütern sowie mit Nahrungs- und Genussmitteln verhalten optimistisch. Zunehmende Belastungen der Haushalte durch höhere Sozialversicherungsbeiträge und steigende Gebühren von Städten und Gemeinden könnten das Konsumklima belasten, sagte Kruse. Insgesamt ist der Indikator für den Binnengroßhandel um 22 Punkte gestiegen und weist jetzt einen Stand von 125 Punkten auf.
Der Außenhandel hat zur Jahresmitte eine Verschnaufpause eingelegt. Zwar überstiegen die Umsätze im zweiten Quartal das Vorjahresniveau nominell um rund drei Prozent, preisbereinigt ergibt sich jedoch ein Minus von 1,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Lediglich der Exporthandel mit chemischen und pharmazeutischen Rohstoffen erzielte ein reales Umsatzplus von einem Prozent. Die überwiegende Mehrheit der befragten Im- und Exporthändler blickt zuversichtlich in die zweite Jahreshälfte. Der Teilindikator für den Exporthandel weist jetzt einen Stand von 120 Punkten auf (plus 1 Punkt gegenüber dem Frühjahr), der Teilindikator für den Importhandel steht nach einem Rückgang von 8 Punkten jetzt bei 113 Punkten.
"Bei der Wahl der Berufsschule dürfen Ländergrenzen in der Metropolregion Hamburg künftig keine zentrale Rolle mehr spielen. Wer im Hamburger Umland ausgebildet wird, sollte eine Berufsschule in Hamburg besuchen können und umgekehrt. Dies gilt in besonderem Maße für die Ausbildung von Außenhandelskaufleuten, die ein wichtiger Standortfaktor für die Metropolregion ist." Das erklärte AGA-Hauptgeschäftsführer Volker Tschirch zu den Folgen der Kündigung des Gastschulabkommens zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein.
Bislang konnten Außenhandelsunternehmen, die ihren Sitz in Norderstedt, Pinneberg, Ahrensburg oder in den Landkreisen Stade und Harburg haben, ihre angehenden Außenhandelskaufleute in begründeten Ausnahmefällen an die Hamburger Berufsschule "Am Lämmermarkt" schicken, die auf den Außenhandel spezialisiert ist. Wegen des Streits um Ausgleichszahlungen zwischen den Ländern ist dies jetzt nicht mehr möglich. "Die an Hamburg angrenzenden Landkreise Schleswig-Holsteins und Niedersachsens sollten sich direkt mit Hamburg über wechselseitige Ausgleichszahlungen für Gastschüler verständigen können. Die Landesregierungen in Hamburg, Kiel und Hannover sollten dies im Interesse der wirtschaftlichen Stärkung der Metropolregion anstreben", forderte Tschirch.
Strukturdaten für den norddeutschen Groß- und Außenhandel
Im norddeutschen Groß- und Außenhandel, der die Länder Hamburg, Bremen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und das nördliche Niedersachsen umfasst, gibt es rund 10.000 Unternehmen, die mit ihren 128.400 Mitarbeitern einen Jahresumsatz von 179 Mrd. Euro erwirtschaften. Damit haben 12 Prozent der Mitarbeiter im bundesdeutschen Groß- und Außenhandel ihren Arbeitsplatz in Norddeutschland. Der Anteil Norddeutschlands am Gesamtumsatz beträgt 20 Prozent.
Beschäftigtenzahlen in den Regionen:
Hamburg: 53.500
Schleswig-Holstein: 43.800
Bremen: 12.600
Mecklenburg-Vorpommern:13.400
Nord-Niedersachsen: 5.100
Quelle und Kontaktadresse:
AGA Unternehmensverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistung e.V.
Dr. Holger Eisold, Leiter, Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit
Kurze Mühren 2, 20095 Hamburg
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