Pressemitteilung | Institut Arbeit und Technik

Niedriglohn in Deutschland: Mindestens sechs Millionen arbeiten unter der Schwelle / Extrem hohe Anteile bei Teilzeit und geringfügiger Beschäftigung, auch Akademiker betroffen / „Im Minijob verdient jede/r schlecht“

(Gelsenkirchen) - Mehr als jeder fünfte abhängig Beschäftigte in Deutschland arbeitet für Stundenlöhne unterhalb der Niedriglohnschwelle (zwei Drittel des Median-Stundenlohnes aller Beschäftigten) – das sind weniger als 9,83 Euro in Westdeutschland bzw. 7,15 Euro in den neuen Bundesländern. Betroffen sind (2004) mehr als 6 Millionen Beschäftigte in Deutschland. Berechnet man nach einer engeren Definition die Niedriglohnschwelle bei der Hälfte des Medianentgelts, arbeiten 9 Prozent oder gut 2,6 Millionen abhängig Beschäftigte für noch niedrigere Stundenlöhne unter 7,38 Euro in West- bzw. 5,37 Euro in Ostdeutschland. Das zeigen neueste Auswertungen des Instituts Arbeit und Technik (IAT/Gelsenkirchen) zur Entwicklung der Niedriglohnbeschäftigung in Deutschland. Während viele Studien sich ausschließlich auf Vollzeitbeschäftigte und Monatsverdienste beziehen, basiert die IAT-Untersuchung auf Brutto-Stundenlöhnen, so dass Teilzeit- und Minijobs einbezogen werden können.

Denn Teilzeitbeschäftigte und Minijobber sind besonders betroffen: sie stellen zusammen knapp die Hälfte aller Niedriglohnbeschäftigten. Gut ein Fünftel der sozialversicherungspflichtig Teilzeitbeschäftigten arbeitet für Niedriglöhne, bei Minijobs ist es fast die Regel: Knapp 86 Prozent der Minijobber verdienen Stundenlöhne unterhalb der Niedriglohnschwelle. „Geringfügig Beschäftigte sind damit mehr als viermal häufiger von Niedriglöhnen betroffen, als es ihrem Anteil an den Beschäftigten entspräche“, stellen die IAT-Wissenschaftler Dr. Claudia Weinkopf und Thorsten Kalina fest. Qualifikation spielt hierbei offenbar nur eine vergleichsweise geringe Rolle: Selbst unter den Akademikern, die in Minijobs arbeiten, liegen die Stundenlöhne in gut drei Viertel aller Fälle im Niedriglohnbereich. Dabei erscheint es wenig wahrscheinlich, dass Akademiker in Minijobs durchgängig für einfache Tätigkeiten wie z.B. das Auffüllen von Regalen in Supermärkten eingesetzt werden. Vielmehr spricht einiges dafür, dass Minijobber im Vergleich zu sozialversicherungspflichtig Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten oftmals geringere Stundenlöhne erhalten.

Diese Lohnabschläge für Minijobber widersprechen dem Diskriminierungsverbot im Teilzeit- und Befristungsgesetz. Personalverantwortliche begründen die Praxis häufig damit, dass die Beschäftigten in Minijobs keine Sozialabgaben abführen müssen und somit „brutto = netto“ gelte, was gegenüber den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ungerecht sei. Die „Subventionierung“ der Minijobs, die eigentlich den Arbeitnehmern gilt, wird damit faktisch an die Arbeitgeber weitergegeben, so dass die im Vergleich zur voll sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung etwas höheren pauschalen Arbeitgeber-Abgaben mehr als kompensiert werden, kritisiert die IAT-Forschungsdirektorin Dr. Claudia Weinkopf. Die erhebliche Zunahme der Minijobs seit der Reform von April 2003 lässt sich durch diese Praxis leicht erklären.

Eine weitere Ursache für die oftmals niedrigen Löhne bei geringfügiger Beschäftigung dürfte darin bestehen, dass Minijobber/innen häufig von betrieblichen Leistungen wie Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und an Feiertagen sowie Urlaubs- und Weihnachtsgeld ausgeschlossen bleiben. Aus der betrieblichen Praxis gibt es zudem Hinweise, dass Minijobber Krankheits- und Feiertage häufig nacharbeiten müssen.

Nach den Zwischenergebnissen der Hartz-Evaluation bieten Minijobs – anders als erhofft – für Arbeitslose keine Brücke in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, so Weinkopf. Vielmehr ist festzustellen, dass gleichzeitig mit der Ausweitung der Minijobs ein deutlicher Rückgang der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung zu beobachten war. Der extrem hohe Niedriglohnanteil bei Minijobs wirft einen weiteren Schatten auf das vermeintliche „Beschäftigungswunder Minijob“ und signalisiert, dass es an der Zeit ist, den Arbeitsbedingungen der so Beschäftigten größere Aufmerksamkeit zu widmen. Anderenfalls würde auch die nun geplante Erhöhung der pauschalen Abgaben der Arbeitgeber für Minijobs von 25 auf 30 Prozent höchstwahrscheinlich nur zu weiteren Lohnabschlägen für Minijobber führen.

Quelle und Kontaktadresse:
Institut Arbeit und Technik Pressestelle Munscheidstr. 14, 45886 Gelsenkirchen Telefon: (0209) 17070, Telefax: (0209) 1707110

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