Neues europäisches Gentechnikrecht
(Bonn) - Die Kennzeichnung von Lebensmitteln mit gentechnisch veränderten Zutaten soll sich ab nächstem Jahr grundlegend ändern. Das Europäische Parlament hat am 2. Juli in seiner Zweiten Lesung zwei Verordnungen zur Zulassung, Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit gentechnisch veränderter Lebens- und Futtermittel verabschiedet.
Dabei wurde der Gemeinsame Standpunkt des Rates in den wesentlichen Punkten bestätigt. Allerdings wurde als Kompromiss eine Ermächtigung zum Erlass nationaler Vorschriften zur Regelung der Koexistenz aufgenommen. Eine Veröffentlichung im Amtsblatt der EU wird nun in Kürze erwartet. 20 Tage danach tritt das Recht in Kraft und muss sechs Monate später angewendet werden.
Der BLL begrüßt die Verabschiedung der beiden EU-Verordnungen, auch wenn die Lebensmittelwirtschaft inhaltlich nach wie vor erhebliche Vorbehalte gegen Teile der Verordnungen im Hinblick auf deren Sachgerechtigkeit und Praktikabilität hat. Mit den beiden Verordnungen wird ein neuer, europaweit einheitlicher Rechtsrahmen für die Zulassung, Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit gentechnisch veränderter Lebens- und Futtermittel geschaffen. Es handelt sich dabei um einen nach langwierigen Verhandlungen zustande gekommenen politischen Gesamtkompromiss, der im Grundsatz den Entwicklungen in der internationalen agrarischen Rohstoff- und Lebensmittelherstellung Rechnung trägt und für die Unternehmen und die übrigen Marktbeteiligten mehr Rechtssicherheit für die Zukunft schafft.
Der BLL setzt sich seit langem für eine verantwortungsbewusste Anwendung und Weiterentwicklung der Grünen Gentechnik auf der Basis hoher Sicherheitsstandards ein. So kann eine umfassende Bewertung der Grünen Gentechnik als Technologie nur unter Praxisbedingungen und am Markt in Deutschland bzw. der Europäischen Union erfolgen. Dazu bedarf neben einer Wahlfreiheit auf der Nachfrageseite auch einer Wahlfreiheit auf der Angebotsseite. Nur das Miteinander und die gegenseitige Ergänzung von Produktionsverfahren mit und ohne Gentechnik ergeben die gewünschte Vielfalt des Angebots, aus dem der Verbraucher dann seine Auswahl treffen kann und damit zugleich über die Marktanteile der einzelnen Produktionsverfahren entscheidet. Hierfür ist ein angemessener und verlässlicher rechtlicher Rahmen auf europäischer Ebene unabdingbar, der die vor allem die Festlegung praktikabler Schwellenwerte zum Gegenstand hat.
Vor diesem Hintergrund ist die beschlossene Begrenzung des (Verkehrsfähigkeits-) Schwellenwertes von 0,5 % auf in der EU noch nicht zugelassene, aber im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verordnung auf europäischer Ebene bereits wissenschaftlich bewertete gentechnisch veränderte Organismen (GVO) zu eng. Aufgrund der in der USA deutlich höher liegenden und weiter steigenden Anzahl zugelassener GVO und den stockenden Zulassungsverfahren auf europäischer Ebene sind künftig "Verunreinigungen" auch mit solchen GVO in der Praxis nicht auszuschließen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verordnung in der EU noch nicht wissenschaftlich bewertet worden sind. Die vorgesehenen Bedingungen für die Inanspruchnahme dieses Schwellenwertes gehen insoweit an den praktischen Erfordernissen vorbei. Dagegen liegt der gefundene Konsens zum Kennzeichnungsschwellenwert in Höhe von 0,9 % für zufälliges oder technisch unvermeidbares GVO-Material für die praktische Handhabung gerade noch an der Grenze des Machbaren.
Im Hinblick auf die erweiterten Kennzeichnungsvorgaben hat der BLL immer wieder darauf hingewiesen, dass eine Kennzeichnung nur insoweit die Wahlfreiheit sichern kann, als sie praktikabel und kontrollierbar ist. So ist angesichts unterschiedlicher Preiskalkulationen für die unterschiedlichen Angebotsformen mit einem nicht unerheblichen Irreführungspotenzial zu rechnen. Daher ist aus Sicht des BLL nach wie vor deutlich zu hinterfragen, ob unter dem Aspekt der Praktikabilität und Kontrollierbarkeit der Wechsel des Kennzeichnungskriteriums von der analytischen Nachweisbarkeit gentechnisch veränderter DNA- oder Proteinanteile im Produkt, die sich in den vergangenen Jahren als praxistauglich bewährt hat, hin zu einer Prozesskennzeichnung wirklich sachgerecht ist.
Quelle und Kontaktadresse:
Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde e.V. (BLL)
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