Pressemitteilung | Bundesverband deutscher Banken e.V. (BdB)

Neuer Reformwind für den Arbeitsmarkt?

(Berlin) - Deutschland tritt bei der Lösung des Reformstaus am Arbeitsmarkt schon seit Jahren auf der Stelle. Auch in der nun zu Ende gehenden Legislaturperiode sind praktisch keine Fortschritte bei der Senkung der Zahl der Arbeitslosen erreicht worden. Dies ist um so gravierender, als die Reduktion der Arbeitslosigkeit zum zentralen Ziel der Regierung zu Beginn der Legislaturperiode erklärt worden war. Heute zeigt sich jedoch, dass das Hoffen auf eine kräftige konjunkturelle Erholung sowie die leichte Senkung der Rentenversicherungsbeiträge durch die Ökosteuer nicht ausreichen, um nachhaltige Fortschritte am deutschen Arbeitsmarkt zu erzielen.

Bei Lichte betrachtet kann diese Erkenntnis allerdings nicht überraschen. So ist schon seit Jahren völlig unstrittig, dass das Arbeitsmarktproblem in Deutschland nur zum geringsten Teil konjunkturelle Ursachen hat. Die von Konjunkturschwäche zu Konjunkturschwäche steigende „Sockelarbeitslosigkeit“ ist vielmehr ein eindeutiger Beleg für massive strukturelle Arbeitsmarktprobleme, die auch durch eine länger anhaltende konjunkturelle Erholung nicht beseitigt würden. Dies ist denn auch der Grund, weswegen nationale und internationale Experten in den letzten zehn Jahren in einer Fülle von Gutachten dargelegt haben, dass es für die Reduktion der Arbeitslosigkeit in Deutschland kein einfaches Patentrezept gibt.

Zur wirkungsvollen Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist vielmehr ein ganzes Bündel von Maßnahmen erforderlich, das auf jeden Fall
- den Abbau von gesetzlichen Arbeitsmarktregulierungen,
- niedrigere Lohnzusatzkosten,
- beschäftigungsorientierte und betriebsnahe Lohnabschlüsse,
- flexiblere Arbeitszeitmodelle,
- die Beseitigung von falschen Anreizen im System der sozialen Sicherung sowie
- den Ausbau eines Niedriglohnsektors

enthalten muss.

Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in Deutschland hat sich daher schon längst nicht mehr mit einem Erkenntnis-, sondern mit einem – offenbar schwer zu lösenden – Umsetzungsproblem auseinander zu setzen. Doch gerade der Arbeitsmarkt scheint in der politischen Debatte eine Art „heilige Kuh“ zu sein. Konkrete Arbeitsmarktreformen werden im festgefahrenen Interessenkonflikt zwischen den politischen Parteien sowie zwischen den Tarifparteien immer wieder zerrieben. Selbst kleine Deregulierungsschritte, wie die geringfügige Kürzung bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, wurden nach dem Regierungswechsel 1998 wieder zurückgenommen. Und auch in der Lohnpolitik folgten auf kurze Phasen der Lohnzurückhaltung bislang immer wieder Jahre, in denen der ökonomisch sinnvolle Verteilungsspielraum deutlich überschritten wurde – so auch in diesem Jahr.

Erstmals seit langem scheint nun allerdings wieder Bewegung in die festgefahrene Diskussion um die Job-Misere in Deutschland zu kommen. Anlass dafür bieten die ersten vorab veröffentlichten Überlegungen einer 15-köpfigen Experten-Kommission unter der Leitung des VW-Vorstandsmitglieds Peter Hartz. Die Kommission wurde nach dem Skandal um geschönte Vermittlungszahlen der Bundesanstalt für Arbeit vom Bundeskanzler beauftragt, ein umfassendes Reformkonzept für den deutschen Arbeitsmarkt vorzulegen. Zwar sollen die endgültigen Ergebnisse der Kommission erst am 16. August veröffentlicht werden. Signale des Bundeskanzlers, einzelne Vorschläge womöglich noch vor der Bundestagswahl umzusetzen, sowie die Perspektive der Hartz-Kommission, mit der Reform die Zahl der Arbeitslosen in den nächsten drei Jahren auf etwa 2 Millionen zu halbieren, haben die Überlegungen aber schnell in den Mittelpunkt des wirtschaftspolitischen Interesses gerückt.


Drei zentrale Ansatzpunkte des Hartz-Paketes

Nach allem was bislang über das Reform-Paket der Hartz-Kommission bekannt ist, enthält es 13 „Innovationsmodule“, deren Stoßrichtung sich in drei zentralen Ansatzpunkten zusammenfassen lässt.

1. Beschleunigung der Vermittlungsdauer
Um die Vermittlungsdauer von Arbeitslosen zu beschleunigen, sollen sich Arbeitnehmer bereits zum Zeitpunkt der Kündigung beim Arbeitsamt melden. Die Vermittlung kann dann schon während der Kündigungsfrist beginnen. Außerdem ist vorgesehen, die Zumutbarkeit einer vermittelten Beschäftigung neu zu definieren. Arbeitslose müssen dann künftig genau belegen, dass eine Stelle, die sie ablehnen, nicht zumutbar ist. Anreize für eine schnellere Vermittlung sollen ferner durch eine strikte Begrenzung des Arbeitslosengeldes auf maximal ein Jahr entstehen, wobei zur Entlastung der Verwaltung in den ersten sechs Monaten das Arbeitslosengeld sogar pauschaliert werden soll. Im zweiten Jahr der Arbeitslosigkeit würde in Zukunft nur noch ein „Sozialgeld“ gezahlt, das zunächst in etwa der heutigen Arbeitslosenhilfe entsprechen und nach einer noch nicht genauer definierten Zeit auf das Niveau der Sozialhilfe gesenkt würde. Zurzeit erhalten Arbeitslose in Abhängigkeit vom Alter bis zu 32 Monate lang Arbeitslosengeld. Die Arbeitslosenhilfe, deren Gewährung von einer Bedürftigkeitsprüfung abhängig ist, kann gegenwärtig zeitlich unbegrenzt bezogen werden.

2. Arbeitslose als Zeitarbeiter
In den Arbeitsämtern werden „Personal-Service-Agenturen“ eingerichtet. Arbeitslose, die länger als sechs Monate ohne Beschäftigung sind, sollen von dieser Agentur als Leiharbeiter an Unternehmen vermittelt werden. Die Leiharbeiter würden von der Service-Agentur ein festes Einkommen erhalten und wären sozialversichert. Zudem könnten sie auf diese Weise betriebsnah weitergebildet werden. Auf Probe könnte die Agentur die Arbeiter den Unternehmen auch kostenlos zur Verfügung stellen. Wer das Angebot der Personal-Service-Agentur nicht annimmt, muss mit Kürzungen beim Arbeitslosengeld rechnen. Nach Auffassung der Kommission wäre dies auch ein Instrument, mit dem die „Schwarzarbeit“ von Arbeitslosen eingedämmt werden könnte.

3. Anreize zur Selbständigkeit
Im unterentwickelten Markt für einfache Dienstleistungen und geringfügig bezahlte Arbeiten sind für Arbeitslose gezielte Anreize vorgesehen, sich selbständig zu machen. Im Mittelpunkt dieser Überlegungen steht die „Ich-AG“. Unter dieser Bezeichnung sollen Arbeitslose die Möglichkeit erhalten, durch eine selbständige Tätigkeit bis zu 15.000 € pro Jahr zum Arbeitslosengeld hinzuzuverdienen. Diese Einkünfte würden lediglich mit 10 % besteuert und nur zu einem kleinen Teil auf das Arbeitslosengeld angerechnet.

Keine umfassende Lösung
Bei einer ersten Bewertung der Hartz-Vorschläge drängen sich zunächst einmal eine ganze Reihe von „Detailfragen“ auf, die die Kommission bis zur Präsentation ihres endgültigen Konzepts Mitte August noch klären müsste.

- Wie können zum Beispiel Wettbewerbsverzerrungen zwischen der Personal-Service-Agentur und privaten Zeitarbeitsfirmen vermieden werden?

- Wie gelingt es, eine Verdrängung von regulären Niedriglohnjobs oder geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen („325 €-Jobs“) durch die subventionierte „Ich-AG“ zu begrenzen?

- Lässt sich das Konzept der „Ich-AG“ überhaupt mit dem Gesetz gegen Scheinselbständigkeit oder dem großen Befähigungsnachweis im Handwerk vereinbaren?

Gerade die letzte Frage lenkt den Blick noch einmal auf das beschäftigungshemmende Dickicht von Arbeitsmarktregulierungen, das in der zu Ende gehenden Legislaturperiode sogar noch weiter verdichtet wurde.

Darüber hinaus fällt auf, dass die Vorschläge der Hartz-Kommission fast ausschließlich an der Angebotsseite des Arbeitsmarktes ansetzen. Insbesondere das Ziel einer moderneren und effizienteren Arbeitslosenvermittlung dominiert die Pläne. Natürlich ist es ein wichtiges Anliegen, Erwerbslose schneller wieder in eine Beschäftigung zu bringen. Doch selbst die beste Vermittlungspolitik nützt wenig, wenn es an entsprechenden Beschäftigungsmöglichkeiten fehlt. Dies gilt im besonderen Maße für die neuen Bundesländer, wo die Arbeitslosenquote mehr als doppelt so hoch ist wie in den alten Bundesländern. Ansätze, die zur Schaffung neuer Arbeitsplätze führen oder zumindest zu einer Stärkung des Wirtschaftswachstums beitragen, sind in den Vorschlägen allerdings kaum auszumachen, sieht man einmal davon ab, dass die Ausdehnung der Leiharbeit – in gewissen Grenzen – als ein Ersatz für die Lockerung des Kündigungsschutzes sein kann. Die bisher bekannten Ideen können deshalb keine umfassende Lösung für das Arbeitsmarktproblem in Deutschland sein.

Die einseitige Ausrichtung der Hartz-Kommission auf die „Vermittlung“ von Arbeitslosen wird anhand eines Vorschlags besonders deutlich. So wird erwogen, Arbeitslosen die älter als 55 Jahre sind und sich nicht mehr um eine Beschäftigung bemühen, ein reduziertes Arbeitslosengeld bis zur Frühverrentung zu zahlen. Im Gegenzug würden diese Personen dann aus der Arbeitslosenstatistik gestrichen.

Zwar erscheint es durchaus sachgerecht, Arbeitslose, die sich nicht mehr um eine Vermittlung bemühen, aus der Arbeitslosenstatistik herauszunehmen. Mit diesem Vorschlag würden jedoch neuerliche Anreize für eine mehr als nur fragwürdige Vorruhestandspolitik geschaffen. Dieser „Lösungsansatz“ für das Arbeitsmarktproblem ist aber schon Anfang der neunziger Jahre kläglich gescheitert. Angesichts der demographischen Entwicklung in Deutschland ist zudem nicht die Verkürzung, sondern die Ausweitung der Lebensarbeitszeit dringend geboten. Und hier helfen eben nur Reformen, die das Arbeitsvolumen insgesamt erhöhen und den Faktor Arbeit insgesamt wieder billiger machen.

Überhaupt keine Aussagen findet man in den vorläufigen Ergebnissen der Hartz-Kommission zur aktiven Arbeitsmarktpolitik. Unter diesem Begriff werden arbeitsmarktpolitische Instrumente wie Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die berufliche Weiterbildung oder Strukturanpassungsmaßnahmen zusammengefasst. Diese Instrumente sind in den letzten Jahren wegen ihrer hohen Kosten und geringen Erfolge in die Kritik geraten. Immerhin hat die Bundesanstalt für Arbeit im vergangenen Jahr rund 20 Mrd € für die aktive Arbeitsmarktpolitik ausgegeben. Gleichwohl ist eine reguläre Beschäftigung nach Beendigung einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme der Ausnahmefall. Schon seit längerem wird daher eine stärkere Fokussierung der Programme gefordert.

Weitere Reformen unvermeidlich

Wegen der einseitigen Ausrichtung auf die Angebots- und Vermittlungsseite können die Hartz-Vorschläge nur ein erster Schritt in einem umfangreicheren Reformprozess sein. Der Abbau der Arbeitslosigkeit auf 2 Millionen scheint mit den bislang vorliegenden Ideen jedenfalls nicht sehr realistisch. Um vor allem in der Bevölkerung keine falschen Illusionen aufkommen zu lassen, muss deutlich hervorgehoben werden, dass zur Lösung des Beschäftigungsproblems weitere Reformen unvermeidlich sind. In einem zweiten Schritt müssen auch die Beschäftigungsbarrieren am Arbeitsmarkt in Angriff genommen werden. Dabei geht es ganz konkret um die Liberalisierung von gesetzlichen Arbeitsmarktvorschriften, um eine deutliche und dauerhafte Absenkung der Lohnzusatzkosten, um größere Freiräume innerhalb der Tarifverträge und um Reformen im Arbeitsrecht.

Zu all diesen Punkten hat übrigens die „Benchmarking-Gruppe“, eine Experten-Kommission die im Rahmen des Bündnisses für Arbeit vereinbart wurde, schon wichtige Vorarbeiten geleistet. Die Reformvorschläge die die „Benchmarking-Gruppe“ im Herbst letzten Jahres in ihrem Bericht vorlegt hat, sind von der Politik aber bedauerlicherweise nicht aufgegriffen worden. Dieses Versäumnis sollte möglichst schnell bereinigt werden.

Als Fazit lässt sich festhalten:

Die Hartz-Kommission hat teilweise recht innovative Ideen entwickelt, die zu einer effizienteren Arbeitslosenvermittlung führen können. Konkrete Lösungsansätze für eine Ausweitung der Beschäftigung bieten die Pläne bislang aber nicht. Da die Bundesregierung die Ergebnisse der Hartz-Kommission offenbar nutzen will, um noch vor der Bundestagswahl Reformbereitschaft zu signalisieren, bestehen für die Vorschläge vergleichsweise gute Realisierungschancen. Diese sollten nicht verspielt werden. Aus einer optimistischen Perspektive betrachtet, könnte sich so der Reformstau am deutschen Arbeitsmarkt wenigstens ein Stück weit auflösen. Es wären allerdings herbe Enttäuschungen vorprogrammiert, wenn nicht gleichzeitig klar gesagt würde, dass in einem zweiten Schritt auch die Verkrustungen auf dem Arbeitsmarkt selbst aufgebrochen und bessere Wachstumsperspektiven eröffnet werden müssen, denn nur so können dauerhaft neue Arbeitsplätze entstehen. Je früher dieser zweite Schritt eingeleitet wird, desto besser.

Die Hartz-Kommission selbst sollte die Zeit bis zur Veröffentlichung ihrer endgültigen Ideen nutzen, um bereits erste Ansätze zur Ausweitung des Arbeitsvolumens in ihr Reformkonzept einzuflechten. Hier könnte sie zum Beispiel auf Ergebnisse der „Benchmarking-Gruppe“ zurückgreifen. Auf jeden Fall sollte die Kommission aber von einer Ausdehnung des Vorruhestandes Abstand nehmen. Dieser Ansatz hätte verheerende finanzielle Konsequenzen für die Sozialversicherungen zur Folge und würde die Lohnzusatzkosten weiter nach oben schrauben.


Die Mitglieder der Hartz-Kommission

Dr. Peter Hartz
Mitglied des Vorstandes der Volkswagen AG

Norbert Bensel
Mitglied des Vorstandes der DaimlerChrysler Services AG

Dr. Jobst Fiedler
Roland Berger Strategy Consultants

Heinz Fischer
Bereichsvorstand Personal der Deutsche Bank AG

Peter Gasse
Bezirksleiter der IG Metall in Nordrhein-Westfalen

Prof. Dr. Werner Jann
Universität Potsdam

Dr. Peter Kraljic
Direktor der McKinsey & Company, Düsseldorf

Isolde Kunkel-Weber
Mitglied des Ver.di-Bundesvorstandes

Klaus Luft
Geschäftsführer der Market Access for Technology Services GmbH

Harald Schartau
Minister für Arbeit und Soziales, Qualifikation und Technologie des Landes Nordrhein-Westfalen

Wilhelm Schickler
Präsident des Landesarbeitsamtes Hessen

Hanns-Eberhard Schleyer
Generalsekretär des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks

Prof. Dr. Günther Schmid
Wissenschaftszentrum für Sozialforschung

Wolfgang Tiefensee
Oberbürgermeister der Stadt Leipzig

Eggert Voscherau
Mitglied des Vorstandes der BASF AG

Quelle und Kontaktadresse:
Bundesverband deutscher Banken e.V. (BdB) Burgstr. 28 10178 Berlin Telefon: 030/16630 Telefax: 030/16631399

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