Pressemitteilung | Reporter ohne Grenzen e.V. (RSF)

Neue RSF-Kampagne gegen Internetzensur: #TheTruthWins

(Berlin) - Angesichts der beispiellosen Angriffe, die Russland im Zuge des Krieges gegen die Ukraine auf unabhängige Medien unternommen hat, startet Reporter ohne Grenzen (RSF) eine neue Solidaritätskampagne. Sie unterstützt Medien und Medienschaffende, die digitaler Repression ausgesetzt sind. Anlässlich des Welttages gegen die Internetzensur 2022 (12. März) wird die Kampagne "The Truth Wins" für alle zugängliche nationale Losnummern in einen Zugangscode für unabhängigen Journalismus verwandeln und den Adressatinnen und Adressanten die Möglichkeit bieten, staatliche Zensur zu umgehen.

"Schon vor der aktuellen Invasion hat Putins Regime die staatliche Kontrolle über die Internetfreiheit in Russland massiv ausgeweitet. Was wir momentan erleben, ist ein beispielloser Angriff: Innerhalb weniger Tage wurden führende unabhängige Medien blockiert, Medienschaffende juristisch verfolgt und Telekommunikationsanbieter angewiesen, den Zugang zu globalen Online-Plattformen zu beschränken", erklärte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr.

Nicht nur in Russland passt ein repressives Regime seine Medienzensur an das digitale Zeitalter an. Auch die Türkei hat sich zu einem weltweiten Vorreiter in Sachen Internetzensur entwickelt; sie blockiert jedes Jahr Tausende von Nachrichtenartikeln und verfolgt Medienschaffende sowie Bürgerinnen und Bürger wegen ihrer Beiträge in den sozialen Medien. Twitter als Ort der politischen Debatte und als führender Kanal für Online-Journalismus gerät zunehmend unter Druck, während Forderungen nach der Entfernung von Inhalten, repressive Social-Media-Gesetze, vorübergehende Sperren und Versuche, den Zugang zu Twitter zu drosseln, zunehmen.

Manche politischen Entscheidungsträger werden in ihren Angriffen gegen Journalistinnen und Journalisten zunehmend persönlich: Sie schüchtern sie ein, bedrohen und diffamieren diejenigen, die es wagen, ihre Meinung zu sagen, übertönen kritische Stimmen und zwingen Medienschaffende zur Selbstzensur, während sie gleichzeitig dieselben Kanäle zur Verbreitung von Desinformationen nutzen. Die Angriffe des brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro sind typisch für diese Entwicklung, die beispielsweise auch in Indien und auf den Philippinen zu beobachten ist.

#TheTruthWins: Neue RSF-Kampagne verwandelt Lottozahlen in einen Zugangscode für unabhängige Informationen

Mit der neuen Kampagne will RSF das Bewusstsein für die katastrophalen Auswirkungen der Zensur von Online-Medien schärfen und globale Online-Plattformen dazu aufrufen, sich gemäß ihrer unternehmerischen Verantwortung für die Wahrung der Menschenrechte der staatlichen Zensur zu widersetzen. "The Truth Wins" nutzt Twitter als belagerten Online-Raum, um auf die Bedrohung der Pressefreiheit hinzuweisen. Um die staatlichen Zensoren zu überlisten, macht sich die Kampagne ein beliebtes Spiel zunutze, das mit Sicherheit in den Nachrichten auftaucht und von genau den Staaten betrieben wird, die die Kampagne im Visier hat: nationale Lotterien. Die Zahlen der nationalen Lotterien ändern sich regelmäßig, sind unvorhersehbar und können nicht im Voraus zensiert werden.

Wir betten die neuesten Lottozahlen in die Twitter-Konten und Inhalte der Kampagne ein und aktualisieren sie regelmäßig, sodass wir der Zensur immer einen Schritt voraus sein können. Nutzerinnen und Nutzer geben einfach die neuesten Lottozahlen in die Twitter-Suchleiste ein, und schon erscheinen "The Truth Wins"-Konten mit unabhängigen Nachrichten, zensierten Nachrichtenartikeln und Augenzeugenberichten von führenden Medienschaffenden, die zur Zielscheibe ihrer Regierungen wurden. Darunter sind prominente Medienschaffende wie Can Dündar (Türkei) und Patrícia Campos Mello (Brasilien) sowie Denis Schedow von der Menschenrechtsorganisation OVD-Info (Russland), die eine Info-Webseite betreibt.

Zensierte Informationen werden über eine dezentrale Technologie namens Ethereum Name Service (ENS) wieder zugänglich gemacht. Mit diesem System werden Artikel auf Blockchain-basierten Archiven in einem Peer-to-Peer-Speichernetzwerk gespeichert, was sie resistent gegen jede Art von Zensur macht. Das Video zur Kampagne sehen Sie hier.

"Gerade in Krisenzeiten ist der Zugang zu unabhängigem Journalismus unerlässlich. Mehr denn je müssen wir für das Recht kämpfen, Informationen online zu suchen und zu teilen. Die Zivilgesellschaft, Regierungen und Technologieplattformen sind gemeinsam dafür verantwortlich, dieses Recht zu gewährleisten", betonte Christian Mihr.

Russland

Wie sehr die Kontrolle über den Zugang zu Informationen in sozialen Netzwerken und Online-Medien zum Schauplatz aktueller Konflikte geworden ist, zeigt sich in Russlands Krieg gegen die Ukraine in besonderer Schärfe.

Mit drakonischen Gesetzen, der Sperrung von Webseiten, der Einschränkung des Internets und der Unterdrückung führender Nachrichtensender hat der Druck auf unabhängige Medien in den letzten zehn Jahren stetig zugenommen. Da die großen Fernsehsender ihr Publikum weiterhin mit Propaganda überfluten, ist das Klima für diejenigen, die den neuen patriotischen und neokonservativen Diskurs in Frage stellen, äußerst bedrohlich geworden. Journalistinnen und Blogger werden aufgrund von schwammig formulierten und diskriminierenden Gesetzen inhaftiert.

Der Kreml scheint fest entschlossen, das Internet kontrollieren zu wollen - ein Ziel, das er als Schaffung eines "souveränen Internets" bezeichnet. Medienschaffende werden als "ausländische Agentinnen und Agenten" gebrandmarkt, eine diffamierende Bezeichnung, die bereits für eine Reihe von Medienunternehmen und führende NGOs für Medienfreiheit verwendet wurde. Die (2014 von Russland annektierte) Krim und Tschetschenien sind zu "schwarzen Löchern" geworden, aus denen kaum noch Nachrichten oder Informationen nach außen dringen. Morde an Medienschaffenden und tätliche Angriffe auf sie bleiben weiterhin ungestraft; in zahlreichen Fällen wurden Reporterinnen und Journalisten unter frei erfundenen Anschuldigungen verhaftet. Die Webseite der Menschenrechtsorganisation OVD-Info, die Teil dieser Kampagne ist, wurde im Dezember 2021 gesperrt. "Journalistinnen und Journalisten in Russland sind strafrechtlicher Verfolgung, Schikanen, Drohungen und körperlichen Angriffen ausgesetzt. Viele mussten das Land verlassen und ins Exil gehen", so Denis Schedow, Anwalt, Datenanalyst und Menschenrechtsaktivist, der für OVD-Info arbeitet. Klicken Sie hier, um den russischen Twitter-Kanal aufzurufen.

Einen Überblick über vertrauenswürdige unabhängige Informationsquellen bietet RSF hier über einen Etherium-Blockchain-Link.

Türkei

Die Gefahr, inhaftiert zu werden oder gerichtlichen Schikanen ausgesetzt zu sein, ist für Journalistinnen und Journalisten in der Türkei allgegenwärtig. Mithilfe von Regulierungsbehörden kontrolliert die Regierung 90 Prozent der nationalen Medien, während Regierungsvertreterinnen und -vertreter zu eindeutig diskriminierenden Maßnahmen greifen, um regierungskritische Medien zu unterdrücken und mit Strafen zu belegen. Die türkischen Militäroperationen an der Grenze zu Syrien und in der Region Idlib, die militärische Intervention der Türkei in Libyen, die Flüchtlingskrise in Syrien und der Umgang mit der Covid-19-Pandemie wurden allesamt von der Regierung genutzt, um die autoritäre Politik gegenüber kritischen Medien zu verstärken und die Justiz für politische Zwecke zu nutzen. In dieser "Neuen Türkei" hat die Internetzensur ein noch nie dagewesenes Ausmaß erreicht. Das 2020 verabschiedete Social-Media-Gesetz sieht Sanktionen wie Geldstrafen und eine reduzierte Bandbreite für Plattformen vor, die keinen Rechtsvertreter in der Türkei benennen oder die von türkischen Gerichten beschlossenen Zensurauflagen nicht erfüllen. Die türkische NGO für digitale Rechte İFÖD hat Hunderte von Fällen dokumentiert, in denen einzelne Medien gezwungen wurden, Nachrichtenartikel zu entfernen.

Der türkische Journalist Can Dündar ist der frühere Chefredakteur der ehemals regierungskritischen Zeitung Cumhuriyet. Im November 2015 wurde er wegen eines Berichts über Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes an islamistische Extremisten in Syrien verhaftet. Seit 2016 lebt er im Exil in Deutschland. In der Türkei liegt noch immer ein Haftbefehl gegen ihn vor. "Leider ist die Türkei zu einem der größten Gefängnisse für Medienschaffende in der ganzen Welt geworden, und viele Medienunternehmen stehen unter der Kontrolle Erdogans und seiner Regierung", so Dündar. Der türkische Twitter-Kanal ist über folgenden Link zu erreichen: https://turkey.thetruthwins.eth.link/

Brasilien

Einige Medien seien "schlimmer als Müll, weil Müll recycelbar ist", verkündete Präsident Bolsonaro in einer seiner vielen Verbalattacken gegen die Presse. Angesichts zahlreicher schlechter Nachrichten über die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie in Brasilien ging der Präsident in die Offensive und schob die Schuld auf die Medien. Seine feindseligen Kommentare sind Ausdruck einer umfassenderen Strategie, kritische Journalistinnen und Journalisten sowie Medien durch systematische Schikanen zum Schweigen zu bringen. Die Sozialen Medien, insbesondere Twitter, sind die Hauptkanäle des "Systems Bolsonaro", zu dem der Präsident, die Ministerinnen und Minister der Regierung und einige Familienmitglieder des Präsidenten gehören. Ständige Beleidigungen, haltlose Anschuldigungen, Fake-Profile zur Diskreditierung von Medienschaffenden sowie die Veröffentlichung privater Informationen sind für viele prominente Journalistinnen und Journalisten nahezu alltäglich geworden. Frauen sind diesen Angriffen in besonderer Weise ausgesetzt. Journalistinnen werden doppelt so häufig angegriffen, wie eine aktuelle Studie von Revista AzMina, InternetLab und anderen über 200 Twitter-Profile ergab.

Patrícia Campos Mello, eine langjährige Journalistin der Tageszeitung Folha de São Paulo und ehemalige Kriegsreporterin, ist eines der bevorzugten Angriffsziele des "Systems Bolsonaro". Als "Zensur durch Lärm" beschrieb Campos Mello in ihrer Reuters Memorial Lecture 2021 die Strategie der brasilianischen Regierung. "In Brasilien Journalist oder Journalistin zu sein, bedeutet heute, das Ziel einer Hassmaschine zu sein", sagt sie. Der brasilianische Twitter-Kanal ist über folgenden Link zu erreichen: https://brazil.thetruthwins.eth.link/

Projekte zur Umgehung der Internetzensur

Nach dem Erfolg der Kampagne "The Uncensored Library" hat RSF ein weiteres Schlupfloch zur Umgehung der Internetzensur gefunden. Die unzensierbare Bibliothek wurde am Welttag gegen Internetzensur 2020 eröffnet. Sie ist die erste digitale Bibliothek für Pressefreiheit und nutzt das weltweit beliebte Online-Computerspiel Minecraft als Hintertür, um die zensierten Artikel von Journalistinnen und Journalisten in ihren Heimatländern zu verbreiten. Mit dem Start der neuen Kampagne wird auch die Website www.the-truth-wins.com online gehen. Alle Spenden, die über die Kampagnen-Webseite gesammelt werden, fließen direkt in Projekte von RSF, die auf die Umgehung der Internetzensur abzielen, zum Beispiel durch die Spiegelung von Nachrichten-Webseiten, die in Russland blockiert sind. Alle Inhalte auf den Twitter-Kanälen sind auf Englisch und in der Muttersprache der jeweiligen Medienschaffenden verfügbar. In den nächsten Monaten werden die drei Twitter-Kanäle regelmäßig mit unabhängigen Informationen aktualisiert.

Quelle und Kontaktadresse:
Reporter ohne Grenzen e.V. (RSF) Jennifer Braunschweig, Pressereferentin Friedrichstr. 231, 10969 Berlin Telefon: (030) 609 895 33 - 0, Fax: (030) 202 15 10 - 29

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