Neue Konjunkturprognose des IMK: Deutsche Wirtschaft schrumpft in diesem Jahr um 0,5 Prozent, 2024 Wachstum um 0,7 Prozent
(Düsseldorf) - Die durch die Energiepreisschocks geschwächte deutsche Wirtschaft kommt auch in den kommenden Monaten nicht richtig in Gang, weil hohe Zinsen und eine verhaltene Weltkonjunktur bremsen. Bei abnehmender Inflation und stärkeren Lohnsteigerungen erholt sich zwar ab dem dritten Quartal 2023 der private Konsum, diese positive Entwicklung kommt aber so spät, dass sie die Rezession im Gesamtjahr 2023 nur etwas mildern kann, nicht verhindern. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) sinkt im Jahresdurchschnitt um 0,5 Prozent. Im kommenden Jahr wächst die Wirtschaft wieder, allerdings nur verhalten: Das BIP dürfte 2024 um durchschnittlich 0,7 Prozent zulegen.
Das ergibt die neue Konjunkturprognose des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung.* Die Arbeitslosenquote steigt im Jahresmittel 2023 auf 5,7 Prozent. Das entspricht rund 2,6 Millionen Menschen ohne Job - etwa 190.000 mehr als 2022. 2024 steigt die Arbeitslosenquote erneut leicht auf dann 5,9 Prozent. Die Inflationsrate wird im Jahresdurchschnitt 2023 noch hohe 6,0 Prozent betragen, im Jahresverlauf verringert sich der Preisauftrieb aber. 2024 dürfte die Teuerungsrate mit durchschnittlich 2,4 Prozent wieder relativ nahe am Inflationsziel der Europäischen Zentralbank (EZB) liegen. Angesichts dieser Aussichten empfiehlt das IMK eine Pause bei den EZB-Leitzinsen sowie eine stärkere staatliche Unterstützung der sozial-ökologischen Transformation der Wirtschaft mit dem Schwerpunkt auf einer Absicherung gegen weiterhin hohe und volatile Strompreise.
Gegenüber seiner vorherigen Prognose vom Juni bestätigt das IMK seine Erwartung zur BIP-Entwicklung für 2023. Die Wachstumsprognose für 2024 nehmen die Konjunkturfachleute hingegen spürbar um 0,5 Prozentpunkte zurück. Dabei gehen sie davon aus, dass es zu keinen weiteren Energiepreisschüben kommt und sich der aktuell hohe Rohölpreis etwas zurückbildet. Ein erhebliches Risiko sehen sie darin, dass die Wirkung der geldpolitischen Straffung stärker ausfällt als bisher erwartet, wobei auch eine Finanzkrise weiterhin eine relevante Gefahr darstellt.
Die deutsche Wirtschaft ist durch die Folgen der Energiepreisschocks und den globalen geldpolitischen Restriktionskurs geschwächt und wird sich auch 2024 nur schleppend erholen. Denn die Zinserhöhungen wirken sich auf unterschiedlichen Wegen negativ auf die Konjunktur aus: Einmal dämpfen sie das Wachstum der Weltwirtschaft, das die Konjunkturexpert*innen bis Ende 2024 als "verhalten" einstufen. Das gilt vor allem für den Euroraum, dessen Wirtschaft in diesem Jahr um 0,5 und im kommenden Jahr um 0,9 Prozent wächst. Aber auch für die USA, wo das BIP in diesem Jahr zwar um 1,8 Prozent zulegt, im kommenden Jahr aber nur um 0,8 Prozent. Aus China kommen ebenfalls wenig Impulse für die deutsche Exportwirtschaft. Im Inland sinken die Bauinvestitionen drastisch, auch weil sich Kredite stark verteuert haben. Gleichzeitig wird insbesondere die energieintensive Industrie weiter von hohen Energiepreisen behindert, gegen die die Leitzinserhöhungen wenig bewirken.
Der deutsche Staat steuert mit seinen Ausgaben in diesem Jahr weniger stark gegen die schwächelnde Konjunktur an als noch vor einigen Monaten erwartet. 2024 werden die fiskalischen Impulse sogar leicht negativ ausfallen, weil finanzielle Anti-Krisen-Maßnahmen zurückgefahren werden, während etwa die Beiträge zur Kranken- und zur Pflegeversicherung steigen.
Auf der konjunkturellen Habenseite steht eine langsame Erholung beim privaten Konsum. Nach den heftigen Kaufkrafteinbußen im vergangenen Jahr lässt die Inflation langsam nach, zugleich "werden die Einkommen von deutlich höheren Tariflohnabschlüssen als in den Vorjahren profitieren", schreiben die Konjunkturfachleute des IMK. In diesem Jahr dürften die verfügbaren Einkommen zwar preisbereinigt noch einmal leicht zurückgehen. Im kommenden Jahr wachsen sie nach der aktuellen Prognose aber spürbar. Der private Konsum entwickelt sich nach dem gleichen Muster (alle Zahlen unten). Stabilisierend auf die Konjunktur wirken auch die kontinuierlich wachsenden Ausrüstungsinvestitionen. Gründe dafür sind unter anderem die ökologische Transformation der Wirtschaft und höhere Rüstungsausgaben des Staates.
Um die wirtschaftlichen Aussichten zu verbessern, haben die Expert*innen zwei zentrale Empfehlungen: Erstens solle die Europäische Zentralbank (EZB) vorläufig unbedingt von weiteren Zinserhöhungen absehen. "Der aktuelle Kurs der EZB birgt angesichts der bereits deutlich geschwächten Wirtschaft das Risiko einer übermäßigen Straffung, zumal sich die Auswirkungen der bisherigen Zinserhöhungen angesichts der erheblichen Wirkungsverzögerungen geldpolitischer Maßnahmen erst noch voll entfalten werden", warnt das IMK.
Zweitens empfehlen die Ökonom*innen der Bundesregierung: "Angesichts der geldpolitisch verschärften Wirtschaftsflaute und den davon ausgehenden Risiken für die Beschäftigung und die künftigen Produktionsmöglichkeiten sollte sie nun den Schwerpunkt auf die klimapolitisch erforderliche Transformation der Wirtschaft legen und für den Mittelstand und die Industrie Konzepte umsetzen, die die hiesige Produktion sichert, bis der deutlich ausgeweitete Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung den Strompreis hinreichend senkt."
Kerndaten der Prognose für 2023 und 2024 (siehe auch die Tabelle in der pdf-Version dieser PM; Link unten)
- Arbeitsmarkt -
Die schwache konjunkturelle Dynamik bremst die Entwicklung der Erwerbstätigkeit, die gleichwohl positiv bleibt. Die Zahl der Erwerbstätigen legt 2023 jahresdurchschnittlich um 0,7 Prozent zu und 2024 noch geringfügig um 0,1 Prozent. Gleichzeitig wächst allerdings auch die Arbeitslosigkeit leicht. Bei den Arbeitslosenzahlen prognostiziert das IMK im Jahresdurchschnitt 2023 einen Anstieg um knapp 190.000 Personen, so dass im Jahresmittel rund 2,61 Millionen Menschen arbeitslos sein werden. Das entspricht einer Quote von 5,7 Prozent, ein Anstieg um 0,4 Prozentpunkte gegenüber 2022. Für 2024 veranschlagen die Forschenden eine weitere leichte Zunahme der Arbeitslosigkeit und eine Quote von 5,9 Prozent.
- Weltwirtschaft und Außenhandel -
Die Weltwirtschaft wächst verhalten. Von wichtigen Handelspartnern kommen nur schwache Impulse. 2023 gehen die deutschen Ausfuhren um 1,5 Prozent im Jahresmittel zurück. Trotzdem leistet der Außenhandel per saldo in diesem Jahr rechnerisch einen kleinen positiven Wachstumsbeitrag, weil die Importe jahresdurchschnittlich noch stärker sinken: um 2,2 Prozent. 2024 wachsen die Exporte leicht um 0,5 Prozent, die Importe kräftiger um 1,8 Prozent, der Außenbeitrag ist mit -0,6 Prozent negativ..
- Investitionen -
Die Ausrüstungsinvestitionen entwickeln sich laut IMK-Prognose robust: 2023 steigen sie um 3,5 Prozent im Jahresmittel, 2024 um 3,3 Prozent. Dabei schlagen sowohl Ausgaben von Unternehmen für den klimafreundlichen Umbau ihrer Produktion zu Buche als auch die steigenden staatlichen Ausgaben für Verteidigung. Die lange Zeit kräftigen Bauinvestitionen brechen hingegen wegen erhöhter Kosten und Zinsen weiter ein. Nach einem Rückgang um 2,2 Prozent im Jahresdurchschnitt 2023 fallen sie 2024 um jahresdurchschnittlich 4,3 Prozent zurück.
- Privater Konsum -
Die starke Teuerung drückt in diesem Jahr weiter auf die realen Einkommen, auch wenn sich die nominalen Löhne spürbar kräftiger entwickeln als in den Vorjahren. Für 2024 erwartet das IMK dann wieder eine Erholung, weil bei niedrigerer Inflation wieder reale Lohngewinne zu verzeichnen sind. Die privaten Konsumausgaben sinken dementsprechend im Jahresmittel 2023 real um 0,5 Prozent. 2024 wachsen die realen privaten Konsumausgaben dann wieder um 1,6 Prozent.
- Inflation und öffentliche Finanzen -
Nach 6,9 Prozent Inflation im Vorjahr prognostiziert das IMK für 2023 eine Teuerungsrate von 6,0 Prozent. 2024 beruhigt sich das Inflationsgeschehen dann stärker, im Jahresdurchschnitt beträgt die Teuerungsrate 2,4 Prozent.
Die Steuereinnahmen entwickeln sich 2023 etwas schwächer, nicht zuletzt als Folge verschiedener steuerlicher Entlastungen. Zugleich setzt der Staat zur Krisenbekämpfung noch erhebliche Mittel ein. Das trägt zur Stabilisierung der Konjunktur bei, führt aber auch dazu, dass das öffentliche Budget 2023 ein Defizit von 2,2 Prozent aufweisen wird. Für das kommende Jahr geht das IMK für die öffentlichen Finanzen von einem restriktiveren Kurs aus. Das bremst die Konjunktur, führt aber auch zu einem prognostizierten Rückgang des Defizits auf 1,8 Prozent im Jahresdurchschnitt 2024.
Quelle und Kontaktadresse:
Hans-Böckler-Stiftung
Rainer Jung, Leiter, Pressestelle
Hans-Böckler-Str. 39, 40476 Düsseldorf
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