Pressemitteilung |

Neue europäische Chemikalienpolitik

(Bonn) - Das EU-Weißbuch "Strategien für die zukünftige Chemikalienpolitik" vom 13. Februar 2001 soll eine Entscheidungsgrundlage für die EU-Gesetzgebung liefern in Form von Richtlinien, die in nationales Recht umzusetzen sind. Die EU-Kommission selbst hatte die massiven Defizite der derzeitigen Regelungen in Bezug auf den Schutz der Gesundheit und der Umwelt beklagt. Insofern kann das EU-Weißbuch als Meilenstein bezeichnet werden, denn die aktuellen Vorschläge künden von einem neuen Denken. Allerdings gibt es aus AgV-Sicht auch deutliche Schwächen. Angemessener Verbraucher- und Umweltschutz bleibt noch in vielen Punkten auf der Strecke. Die gegenwärtigen Überlegungen der Kommission sind darum allenfalls ein brauchbarer Ansatzpunkt.

Bisher konnten die zuständigen Behörden kaum Maßnahmen zum Schutz der Verbraucher ergreifen, da ihnen Daten über die gefährlichen Eigenschaften von Chemikalien fehlten. Schrittweise bis zum Jahre 2012 soll dieser chronische Mangel an Daten behoben werden.

Für die so genannten Altstoffe, rund 100.000 Chemikalien, die bereits vor September 1981 in der EU produziert oder vermarktet wurden, sollen die gesetzlichen Anforderungen an die Übermittlung von Informationen über Gesundheits- und Umweltrisiken stufenweise an die wesentlich höheren Standards für "Neue Stoffe" - (im EU-Markt nach September 1981) angepasst werden.

Außerdem wird gefordert, dass die bei den Herstellern oder Importeuren von Chemikalien vorliegenden Daten an die weiterverarbeitende Industrie übermittelt werden sollten. Auch dies ist positiv anzumerken. Ein weiterer Schwerpunkt der zukünftigen Chemikalienpolitik soll darin liegen, Behörden zu entlasten und die Industrie mehr in die Pflicht zu nehmen. Bisher sind die Behörden für das zeitraubende Sammeln von Daten und die Risikobeurteilung (risk assessment) zuständig. In den letzten Jahren sind mangels ausreichender Kapazitäten und langwieriger Abstimmungsprozesse nur eine Handvoll risk assessments erarbeitet worden, ohne dass daraus Konsequenzen erkennbar sind.

Nun soll die Industrie diese Aufgaben und damit auch mehr Verantwortung übernehmen. Die Behörden sollen die Industriedaten nur noch überprüfen. Von diesem veränderten Procedere verspricht man sich eine wesentliche Beschleunigung. Nicht zuletzt fordert das Weißbuch, die Informationslage der Öffentlichkeit über Chemikalien deutlich zu verbessern.

Allerdings bemängelt die AgV, dass das vorgeschlagene Stufensystem für die Chemikalienüberprüfung nur für Stoffe, die in großen Mengen produziert werden, eine vollständige Überprüfung und ein Genehmigungsverfahren verlangt. Gerade die gesundheitsrelevanten Chemikalien werden aber oft nur in geringen Mengen hergestellt und in Verbraucherprodukten, beispielsweise Haarfärbemitteln, vermarktet. Liegt deren Produktionsvolumen unter 100 Tonnen pro Jahr, muss die Industrie die Stoffe lediglich registrieren lassen und einen minimalen Datensatz zur Verfügung stellen. Erst ab einer höheren Produktionsmenge müssen Langzeitwirkungen getestet werden. Und ein wirklich strenges Genehmigungsverfahren ist nur für Krebs erzeugende, Missbildungen verursachende oder besonders langlebige Chemikalien gefordert. Die AgV vermutet hier ein Zugeständnis an die europäische Chemieindustrie, vor allem an deutsche Unternehmen, die im EU-Vergleich die größten Umsätze tätigen.

Neben den aus AgV-Sicht unzureichenden Anforderungen finden sich auch viele "weiche" Formulierungen wie "die Industrie sollte, wird aufgefordert, wird gebeten". Es sind auch keine Sanktionen gegen Unternehmen vorgesehen, die ihrer Pflicht, Stoffe registrieren zu lassen, nicht nachkommen. Nach wie vor völlig unzureichend sind die angedachten Regelungen für gefährliche Stoffe, die nicht in der EU erzeugt werden, sondern erst mit fertigen Verbraucherprodukten in den Binnenmarkt gelangen. Das gilt beispielsweise für giftige zinnorganische Verbindungen in Sporttrikots, die noch vor wenigen Wochen für Schlagzeilen sorgten. Anscheinend ist diese Regelungslücke schon im vorauseilenden Gehorsam in das Weißbuch gelangt, um die transatlantischen Handelsbeziehungen oder die Welthandelsorganisation WTO nicht zu provozieren.

Für besseren Verbraucher- und Umweltschutz muss also noch gekämpft werden.

Quelle und Kontaktadresse:
Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände e.V. (AGV) Heilsbachstr. 20 53123 Bonn Telefon: 0228/64890 Telefax: 0228/644258

NEWS TEILEN: