Nagoya-Protokoll: Ziele durch Überregulierung gefährdet / Pflanzenzüchter befürchten Reduzierung der biologischen Vielfalt
(Bonn) - Am kommenden Sonntag tritt das sogenannte Nagoya-Protokoll und damit auch die umsetzende EU-Verordnung in Kraft. Die Pflanzenzüchter in Deutschland warnen davor, dass die wichtigen Ziele des internationalen Umweltabkommens, den Zugang zu genetischen Ressorcen zu verbessern und einen gerechten Vorteilsausgleich zu gewährleisten, durch europäische Überregulierung verfehlt werden. "Die EU-Verordnung 511/2014 schränkt die Nutzung der biologischen und genetischen Vielfalt von Pflanzen empfindlich ein. Die bislang nicht an Auflagen geknüpfte Verwendung neu gezüchteter, geschützter und im Markt befindlicher Sorten als genetische Ressourcen für die Weiterzüchtung wird künftig wegen zu umfangreicher Nachweispflichten kaum mehr möglich sein. Den Sortenschutz als Open-Source-System derart auszuhebeln, bedeutet, eine Verarmung der genetischen Diversität, weniger Sortenvielfalt und mangelnden Züchtungsfortschritt in Kauf zu nehmen. Dies kann nicht im Interesse der Gesellschaft sein", sagt Dr Carl-Stephan Schäfer, Geschäftsführer des Bundesverbandes Deutscher Pflanzenzüchter e. V. (BDP).
Zusätzlich zum Entzug dieser elementaren Züchtungsgrundlage sieht die EU-Verordnung die Nachverfolgbarkeit von genetischen Ressourcen mit einem hohen Maß an Bürokratie vor. "Dies ist gerade bei der Züchtung von Pflanzen als Prozess von tausendfacher Kreuzung und Selektion kaum zu leisten. Am Ende wird dies dazu führen, dass genetische Ressourcen und damit auch auf dem Markt befindliche Sorten kaum mehr ausgetauscht werden und damit nicht nur der Züchtungsfortschritt leidet, sondern darüber hinaus auch kein Vorteilsausgleich zwischen Gebern und Nehmern der Rohstoffe mehr stattfinden wird", so Schäfer.
Der BDP fordert daher eine pragmatische Anwendung der EU-Verordnung, die den Besonderheiten der Pflanzenzüchtung Rechnung trägt und den Austausch genetischer Ressourcen weiterhin zum Nutzen der Weltgemeinschaft ermöglicht. 17 deutsche Unternehmen der Pflanzenzüchtung haben daher vor dem Europäischen Gericht gegen die EU-Verordnung zur Umsetzung des Nagoya-Protokolls Klage erhoben.
Zum Hintergrund:
Das unter der Convention on Biological Diversity (CBD) verankerte sogenannte Nagoya-Protokoll (Nagoya Protocol on Access to Genetic Resources and the Fair and Equitable Sharing of Benefits Arising from Their Utilization) soll völkerrechtlich den Zugang zu und die Nutzung von genetischen Ressourcen und den gerechten Vorteilsausgleich regeln. Damit soll sichergestellt werden, dass ressourcenreiche Entwicklungs- und Schwellenländer Anteil an den kommerziellen Vorteilen haben, die Unternehmen durch Verwendung genetischer Ressourcen erzielen. Das Nagoya-Protokoll wurde im Rahmen der CBD im Jahr 2010 beschlossen. Die Voraussetzungen für die Umsetzung des Nagoya-Protokolls in der Europäischen Union sind durch die EU-Verordnung 511/2014 geschaffen.
Die EU-Verordnung 511/2014 zur Umsetzung des Nagoya-Protokolls normiert Vorgaben für die Nutzer genetischer Ressourcen, die eine Befolgung nationaler Gesetzgebung zum Zugang zu genetischen Ressourcen sicherstellen sollen. Diese Vorgaben beinhalten Regelungen zur Dokumentation der Nutzung genetischer Ressourcen und ermächtigen nationale Behörden zur Kontrolle von Unternehmen sowie zur Verhängung von Sanktionen, sollte das Unternehmen bei der Akquise genetischer Ressourcen nicht die notwendige Sorgfalt an den Tag gelegt haben. Da die EU-Verordnung 511/2014 von den Mitgliedstaaten der Europäischen Union angewandt und entsprechende Kontrollstellen ausgewiesen werden müssen, treten einige Verpflichtungen der Nutzer und der Mitgliedstaaten erst ein Jahr später, also am 12. Oktober 2015 in Kraft. Dies führt zu einer Situation, in der alle genetischen Ressourcen, auf die ab dem 12. Oktober 2014 zugegriffen wird, unter den Anwendungsbereich des Nagoya-Protokolls und der EU-Verordnung 511/2014 fallen, obwohl gegenwärtig noch unklar ist, welche nationale Behörde welche Dokumentationsanforderungen stellen wird. Diese Rechtsunsicherheit wird zu einer Verringerung der Biodiversität in der Pflanzenzüchtung führen, da die Unternehmen wegen der praktisch nicht erfüllbaren Dokumentationspflichten nicht auf neue genetische Ressourcen zugreifen werden.
Diese neue EU-Verordnung zur Umsetzung des Nagoya-Protokolls geht mit ihren Regelungen über das hinaus, was das Nagoya Protokoll festschreibt, und erschwert den Zugang zu und die Nutzung von genetischem Material für die Züchtung unverhältnismäßig. Nutzer genetischer Ressourcen werden nicht nur verpflichtet, beim Zugang zu genetischen Ressourcen das Einverständnis des Herkunftsstaates einzuholen, sondern auch den Nachweis der Herkunft jeden genetischen Materials zu führen. Die erforderlichen Aufzeichnungen müssen so geführt werden, dass die Behörden der EU-Mitgliedstaaten in der Lage sind, die Herkunft eingekreuzten Materials in jeder Sorte zu überprüfen. Damit drohen diese Dokumentationspflichten auch für diejenigen, die nur mit bereits auf dem Markt verfügbaren Sorten, mit nicht auf dem Markt verfügbarem Material ihrer Partner oder eigenem Material kreuzen. Dadurch wird der freie Zugang zu Zuchtmaterial gefährdet und der im langjährig bewährten internationalen UPOV-Übereinkommen normierte Züchtungsvorbehalt ausgehöhlt. Dieser besagt, dass jeder mit einer im Handel erhältlichen geschützten Sorte ohne Zustimmung des Sortenschutzinhabers weiterzüchten, also kreuzen, darf. Der durch dieses Open-Source-System beförderte Züchtungsfortschritt wird damit künftig erheblich gestört.
Grundsätzlich bietet der Internationale Vertrag für pflanzengenetische Ressourcen (International Treaty on Plant Genetic Resources - ITPGRFA) der FAO eine an die Gegebenheiten der Züchtung und Landwirtschaft optimal angepasste Alternative zu CBD/Nagoya. Er sichert Vielfalt und Vorteilsausgleich unter Wahrung maximaler Rechtssicherheit für alle Beteiligten. Der ITPGRFA umfasst aber nicht alle Pflanzenarten bzw. deren Verwendungsrichtungen. Um die vorhandene genetische Vielfalt nachhaltig züchterisch nutzen und weiter ausbauen zu können, ist die Ausweitung des Anwendungsbereiches des ITPGRFA unerlässlich. Alle pflanzengenetischen Ressourcen, die für die Züchtung verwendet werden, sollten darin übertragen werden.
Quelle und Kontaktadresse:
Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter e.V.
Ulrike Amoruso-Eickhorn, Referentin, Öffentlichkeitsarbeit
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