Nachrichtendienst-Reform: "Law and Order" statt Augenmaß / Gesetzentwurf aus dem BMI verfehlt Anforderungen des BVerfG deutlich
(Berlin) - Nachdem das Kanzleramt ein Reformpaket für den Bundesnachrichtendienst geschnürt hat, soll auch ein Gesetzentwurf aus dem Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) für das Bundesamt für Verfassungsschutz und den Militärischen Abschirmdienst die dringend erforderliche Reform des Nachrichtendienstrechts in Deutschland einläuten.
Auslöser hierfür war eine wegweisende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zum Bayerischen Verfassungsschutzgesetz vom April 2022, die weite Teile der Datenübermittlungsvorschriften für verfassungswidrig erklärt hat. Mit den nun vorgeschlagenen und von der Bundesregierung im Eiltempo bereits verabschiedeten Vorschlägen begibt sich aber vor allem das BMI aus Sicht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) auf einen Irrweg - statt die in Karlsruhe gezogenen, klaren verfassungsrechtlichen Grenzen einzuhalten, würde das geplante Gesetz die Befugnisse der Nachrichtendienste im Vergleich zur bisherigen Rechtslage sogar noch ausweiten. Vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) würde dies keinen Bestand haben, prognostiziert der DAV.
"Der Gesetzentwurf kodifiziert vor allem die Wunschvorstellungen der Nachrichtendienste unter bewusster Missachtung der klaren Vorgaben aus Karlsruhe", mahnt Rechtsanwalt Dr. Nikolaos Gazeas vom Ausschuss Gefahrenabwehrrecht des Deutschen Anwaltvereins, und ergänzt: "Die Entwurfsverfasser aus dem Bundesinnenministerium treten die eindeutigen Vorgaben aus Karlsruhe mit Füßen". Die Vorgaben, die das Bundesverfassungsgericht erst 2022 gemacht hatte, würden mehrheitlich ignoriert und stattdessen in ihr Gegenteil verkehrt. Noch schlimmer sei es, dass dies nicht aus Unkenntnis oder Fehldeutung geschehe, sondern bewusst. "Wenn aus dem BMI während der Verhandlungen von dem Entwurfsverfasser offen erklärt wird, dass es 'nicht seine primäre Aufgabe sei, ein verfassungskonformes Gesetz zu verfassen, sondern die Arbeitsfähigkeit der Nachrichtendienste sicherzustellen', spricht dies Bände", sagt Dr. Gazeas. Zu dieser Gangart passe auch, dass die im Gesetzgebungsverfahren übliche Verbändebeteiligung durch das BMI bewusst umgangen wurde, um Kritik vor einer Befassung des Kabinetts gar nicht erst aufkommen zu lassen.
Erschreckend sei nicht nur der handwerklich streckenweise schlecht gemachte Gesetzestext, sondern auch die Entwurfsbegründung: "Der Zweck vieler Bestimmungen wird nicht oder nur unzureichend klar, die Normen sind zum Teil auch für Fachleute unverständlich formuliert, auf Stellungnahmen aus der Wissenschaft wird nur einseitig auf jene aus dem konservativen Lager eingegangen, der 'störende' Rest, zu dem einige der namhaftesten Rechtswissenschaftler auf diesem Gebiet zählen, wird vollständig ausgeblendet", so der Rechtsanwalt weiter.
Dabei würde eine solche gesetzliche Erweiterung ihrer Befugnisse den Nachrichtendiensten im Endeffekt sogar schaden. "Der vom Bundesverfassungsgericht etablierte 'Sanktionsmechanismus' ist eindeutig: Werden die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Datenübermittlungsvorschriften für die Dienste, die schon im Vorfeld von polizeirechtlicher Gefahr und strafprozessualem Anfangsverdacht operieren dürfen, nicht eingehalten, wirkt sich dies auf die Verfassungsmäßigkeit der Überwachungsbefugnisse selbst aus", erklärt Gazeas. Dann dürften Überwachungsmaßnahmen dieser Art überhaupt nicht mehr erfolgen.
Zahlreiche Bestimmungen des Entwurfs beurteilt der DAV als nicht durchdacht und verfassungsrechtlich bedenklich bis hin zu klar verfassungswidrig. Und eine echte Kuriosität liefert das BMI gleich mit: Gleich mehrere Vertreter aus dem Lager der Ampelparteien sowie unter anderem die Bundestagsfraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und FDP haben derzeit noch anhängige Verfassungsklagen gegen die Eingriffsschwelle der lediglich "drohenden Gefahr" im Bayerischen Polizeiaufgabengesetz erhoben. Der im Bundesinnenministerium gefertigte Entwurf will nun aber Datenübermittlungen des Bundesamtes für Verfassungsschutzes auch zur Abwehr lediglich drohender Gefahren zulassen. "Damit würden die Vertreter der Ampelkoalition letztlich die Verfassungsmäßigkeit der drohenden Gefahr anerkennen und ihre eigenen Verfassungsklagen zur Erfolglosigkeit verdammen.", so Dr. Gazeas. Auch Speicherungspflichten für Protokolldaten will der Entwurf verlängern und den Minderjährigenschutz einschränken. Der Anwalt ist sich sicher: "Spätestens vor dem Bundesverfassungsgericht würde dieser Entwurf scheitern."
Der DAV fordert daher die Abgeordneten des Deutschen Bundestages dringend auf, nun im Zuge des weiteren Gesetzgebungsverfahrens für die zwingend notwendigen Nachbesserungen zu sorgen, um die Verabschiedung eines sonst evident verfassungswidrigen Law-and-Order-Gesetzes zu verhindern.
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