Mittelstand - innovative Motoren der Realwirtschaft
(Neu-Isenburg) - Am Tag nach dem Brüsseler Verhandlungsmarathon zur Entschärfung der europäischen Schuldenkrise galt die Aufmerksamkeit naturgemäß dem Euro. Auf dem Wirtschaftstag der Volksbanken und Raiffeisenbanken, dem mit rund 2.500 Teilnehmern größten Unternehmertreffen Deutschlands, diskutierten Politiker, Unternehmer, Manager und Wissenschaftler aber eine viel breitere Palette von wichtigen Zukunftsfragen, die vor allem dem Mittelstand auf den Nägeln brennen.
"Die Weltachse dreht sich nicht um die Finanzindustrie. Vielmehr sind Innovationen zur Deckung elementarer Bedürfnisse gefragt", hatte der Präsident des Genossenschaftsverbands, Michael Bockelmann, die inhaltliche Ausrichtung vorgegeben. Die Teilnehmer erlebten eine ebenso kurzweilige wie aufschlussreiche Diskussion rund um das Thema des Wirtschaftstags: "Technologieschub für den Weltmarkt - Innovationsschmiede Mittelstand".
Doch zunächst interessierten die Euro-Beschlüsse von Brüssel sowohl die Gäste als auch die Moderatoren Udo van Kampen und Carola Ferstl. Mit Vizekanzler und Bundeswirtschafts-minister Rösler hatten sie einen Gesprächspartner, der aus erster Hand berichten konnte. "Wir sind auf einem guten Weg, obwohl viele Details noch geklärt werden müssen", sagte der FDP-Politiker. Die Euro-Zone habe ihre Handlungsfähigkeit bewiesen. Nun sei es wichtig, die Akzeptanz der Bürger für all diese Rettungsmaßnahmen zu sichern. Hierzu gelte es, die Frage zu beantworten, wohin sich Europa entwickeln soll. "Wir wollen mehr Integration und ein Europa der Stabilität. Eine einheitliche Regierung ist jedoch keine Garantie, künftige Probleme zu vermeiden". Wichtig erscheint dem FDP-Politiker ein permanenter Test der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Euro-Länder - verbunden mit entsprechenden Sanktionsmöglichkeiten. Auch in Deutschland müsse der Schwerpunkt auf der Haushaltskonsolidierung liegen. Zur Verstetigung des Wachstums seien in vertretbarem Umfang aber auch Steuersenkungen erforderlich. Die Hauptbremse für das künftige Wirtschaftswachstum in Deutschland sei aber vor allem der Fachkräftemangel. Rösler plädierte deshalb dafür, ältere Menschen länger zu beschäftigen, die Voraussetzungen für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu schaffen und eine qualifizierte Zuwanderung zu erleichtern.
Nach dem Ausstieg aus der Kernenergie sei Realismus gefragt. Nur mit Windrädern und Solarzellen lasse sich der Energiebedarf Deutschlands nicht decken. "Wer viele Jahre für ein Ende der Kernkraft demonstriert hat, muss nun auch 'Ja' sagen zu neuen Gas- und Kohlekraftwerken", sagte Rösler. Die Bundesregierung konzentriere sich bei ihrer Innovationsförderung auf den Mittelstand, der in der Regel keine großen Entwicklungsabteilungen unterhalten könne.
"Autos werden nachhaltiger, aber nicht langweiliger", differenzierte Lösungen seien für die Mobilität der Zukunft gefordert, sagte der Vorstandsvorsitzende der Daimler AG, Dr. Dieter Zetsche. "Wir werden zwar noch lange Verbrennungsmotoren einsetzen. Für den Stadtverkehr dürften jedoch Elektroautos an Bedeutung gewinnen, wie beispielsweise der Elektro-Smart, von dem bereits rund 3.000 Modelle verkauft worden seien. Für Langstrecken eigneten sich jedoch eher Fahrzeuge mit Wasserstoffantrieb. "Wir setzen daher auf einen Antriebsmix", sagte der Vorstandschef. Die Automobilindustrie bleibe zwar eine Wachstumsbranche. "Dennoch müssen auch wir uns warm anziehen". Autos würden künftig nachhaltiger, aber nicht langweiliger. Die Kunden wollten umweltfreundliche Autos, aber nicht auf Sicherheit, Komfort und Spaß verzichten. "Nicht von ungefähr steigen die Absatzzahlen von SUVs stärker als die Umfragewerte der Grünen", sagte Zetsche. Ein weiterer wichtiger Zukunftstrend sei die Vernetzung der Fahrzeuge mit den Möglichkeiten der Kommunikationstechnologie.
Der schnelle Ausstieg aus der Kernenergie habe die E.ON AG "kalt erwischt", räumte das Vorstandsmitglied Professor Dr. Klaus-Dieter Maubach ein. Eine der Konsequenzen bestünde darin, noch stärker auf erneuerbare Energien zu setzen. "Es ist kaum bekannt, dass E.ON in den USA als durch und durch grünes Unternehmen gilt", betonte Maubach. Um die ehrgeizigen Energieziele der Bundesregierung umzusetzen, müssten Leitungen quer durch Deutschland errichtet werden. Eine sichere und bezahlbare Energieversorgung sei notwendig, damit weiterhin in Deutschland investiert werde. Die Herausforderungen aus der Energiewende dürften nicht unterschätzt werden. Das Risiko einer erheblichen Versorgungsstörung liege in Deutschland zwar unter 50 Prozent, doch steige die Gefahr in bestimmten Regionen wie Frankfurt.
Die Energiewende komme von unten. Sie werde von den Kunden und Kommunen durchgesetzt. Davon ist Matthias Willenbacher, Vorstand der mittelständischen "juwi Holding AG", überzeugt. Die Energieversorgung werde in jedem Fall künftig teurer. Deshalb erscheine es notwendig, auf Energielieferanten wie die Sonne oder Wind zu setzen, die kostenlos zur Verfügung stünden. Willenbacher hofft, dass künftig mehr On-Shore-Windkraftanlagen (also auf dem Land) errichtet werden können. Diese seien deutlich günstiger als die Offshore-Technologie (Windparks im Meer). Bei einer intelligenten Umsetzung der Energiewende sei mit einer maßvollen Steigerung der Energiepreise zu rechnen. Aber schon mittel- bis langfristig dürfte Deutschland mit die günstigsten Preise haben, zeigte sich Willenbach überzeugt.
"Mittelständler sind doppelt so innovativ wie Großunternehmen".
Das nachdenkliche Thema "Ethik der Innovation" stand im Mittelpunkt einer weiteren Diskussionsrunde. Innovationen setzten Qualifikation und Neugierde voraus, sagte Professor Dr. Hans-Jörg Bullinger, Präsident der Münchner Fraunhofer-Gesellschaft. Im Schnitt seien mittelständische Unternehmen doppelt so innovativ wie Großbetriebe. Das kann Professor
Dr. h.c. Ludwig Georg Braun, Vorsitzender des Aufsichtsrats der B. Braun Melsungen AG, nicht verwundern: "Mittelständler sind einfach näher am Kunden. In Großbetrieben sterben leider viele gute Ideen". Wichtig ist für Braun der innerbetriebliche Dialog. Der fehle in China, daher kämen von dort keine originären Ideen, sondern nur "Nachgemachtes". Innovation dürfe nicht lediglich als technische Idee verstanden werden. Auch die damit verbundenen Emotionen, Services und die Geschäftsmodelle müssten unter ethischen Gesichtspunkten unter die Lupe genommen werden, sagte Bullinger. Großprojekte weckten häufig Technikfeindlichkeit, betonte Braun. Die Bürger würden kritisch fragen, welchen Sinn solche Innovationen machten. Wenig zielführend sei es, zwischen guter und schlechter Forschung zu unterscheiden. Letztlich müsse man sich das Ergebnis einer Innovation anschauen, um zu beurteilen, ob man sie will oder nicht, gab Braun zu bedenken.
"Technologieführer in den Märkten zu morgen" lautete das Thema der letzten Diskussionsrunde. Zu diesen Technologieführern gehört die Deutsche Bahn AG. Vorstandsvorsitzender Dr. Rüdiger Grube machte die Komplexität dieses Verkehrsmittels deutlich: "Wir haben in Deutschland ein Verkehrsnetz von 34.000 Kilometern und transportieren pro Jahr so viele Menschen wie China und Indien Einwohner haben". Grube unterstrich, zu den Standortvorteilen Deutschlands gehöre die Planungs- und Investitionssicherheit. Sie gerate in Gefahr durch die Auseinandersetzungen um "Stuttgart 21", was nicht zuletzt auch ausländische Investoren abschrecke. Mehrheitlich seien die Baden-Württemberger mittlerweile für das Bahnhofsprojekt.
"Keine Angst vor Asien" hat Julia Esterer, Geschäftsführerin der Dr.-Ing. Ulrich Esterer GmbH & Co. Fahrzeugaufbauten und Anlagen KG. "Deutschland hat eine fantastische Infrastruktur". Allerdings müsse man sich die Frage stellen, ob in Deutschland die richtigen Prioritäten gesetzt werden, wenn man bedenke, dass es hierzulande zehn Jahre dauere, bis eine Landebahn gebaut werde. In derselben Zeit entstünden in China zehn komplette Flughäfen. Der Standort Deutschland müsse mit mehr Visionen leben und die Bildungspolitik optimieren.
Am Ende des Wirtschaftstages ging es noch einmal um die Euro-Krise. Der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament, Martin Schulz, beurteilte die Ergebnisse des Gipfels verhalten optimistisch, auch wenn er den italienischen Ministerpräsidenten als "größtes Standortproblem eines G-8"-Staates bezeichnete. Schulz plädierte für eine nachhaltige Haushaltskonsolidierung. Es dürfe nicht sein, dass die Höhe der Ausgaben zur Messzahl der politischen Popularität werde. Es sei falsch, die starken Staaten in der Euro-Zone schwächen zu wollen, um die Schwachen zu stärken. Dieses Prinzip könne nicht funktionieren. Nur acht Prozent der Weltbevölkerung lebten in Europa. Die Nationalstaaten könnten die Probleme nicht mehr lösen. Europapolitik sei Zukunftspolitik für die Kinder.
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