Mikrokredit-Überschuldung in Kambodscha: Menschenrechtsorganisationen reichen Beschwerde gegen Oikocredit ein
(Köln) - Die Menschenrechtsorganisationen LICADHO, Equitable Cambodia und FIAN Deutschland haben heute bei der Nationalen Kontaktstelle für OECD-Leitsätze der niederländischen Regierung Beschwerde gegen Oikocredit eingereicht. Dem ethischen Investor, dessen Hauptsitz in den Niederlanden liegt, wird vorgeworfen, trotz der seit mindestens 2017 vorliegenden Belege über die Überschuldungskrise weiter Investitionen an kambodschanischen Mikrofinanzinstituten (MFI) getätigt zu haben.
Oikocredit hat zwischen 2017 und 2022 in großem Stil in kambodschanische MFI investiert, obwohl die weitverbreitete Überschuldung und deren absehbare negative Folgen vom UN-Generalsekretär, von lokalen und internationalen Menschenrechtsgruppen, Journalist*innen und sogar von einer durch Oikocredit selbst unterstützten Studie bereits 2017 bestätigt wurden. Trotzdem erhöhte Oikocredit das Kambodscha-Portfolio von EUR 50 Millionen im Jahr 2017 auf mehr als EUR 67 Millionen im September 2022. Kambodscha ist damit nach Indien das zweitgrößte Investitionsland für Oikocredit. Mehr als die Hälfte des Mitgliederkapitals Oikocredits stammt dabei von deutschen Anleger*innen.
Die Oikocredit-Investitionen haben in Kambodscha zu der weitverbreiteten Überschuldung und Menschenrechtsverletzungen beigetragen. Kambodscha hat den größten Pro-Kopf-Mikrofinanzsektor der Welt; die durchschnittliche Kredithöhe beträgt mehr als das Dreifache des jährlichen Durchschnittseinkommens. Die Folgen sind Ernährungsunsicherheit, erzwungene Landverkäufe und der Verlust der Lebensgrundlage von Hunderttausenden von Kreditnehmer*innen. In der Beschwerde wird dargelegt, dass Oikocredit sich trotz wiederholter Anfragen und der begründeten Sorge um Repressalien gegenüber NROs in Kambodscha geweigert hat, im Rahmen der Sorgfaltsprüfung mit kambodschanischen Organisationen in einem sicheren Umfeld zusammenzuarbeiten.
Als Mitglied der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) bietet die niederländische Regierung mit der Nationalen Kontaktstelle einen Beschwerde- und Schlichtungsmechanismus bei mutmaßlichen Verstößen niederländischer Unternehmen gegen die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen an.
Die Beschwerdeführer - die beiden kambodschanischen NROs LICADHO (Cambodian League for the Promotion and Defense of Human Rights) und Equitable Cambodia sowie FIAN Deutschland -, haben in den letzten Jahren wiederholt über die weitverbreiteten und systematischen Menschenrechtsverletzungen im kambodschanischen Mikrofinanzsektor - auch durch MFI, die direkt von Oikocredit finanziert werden - hingewiesen.
"Oikocredit behauptet, ein sozialer Investor zu sein, aber ihre Investitionen nach Kambodscha haben zu irreparablen Schäden von Kreditnehmern geführt", so Naly Pilorge, Outreach Director bei LICADHO. "Wir hoffen, dass diese Beschwerde Oikocredit und andere "ethische" oder "Impact"-Investoren, die diese Menschenrechtskrise mitverursacht haben, dazu bringen wird, die Missstände, zu denen sie beigetragen haben, zu beheben und den kambodschanischen Kreditnehmern wirklich zu helfen."
LICADHO hat seit 2019 vier Berichte über Menschenrechtsverletzungen im kambodschanischen Mikrofinanzsektor veröffentlicht. Im jüngsten Bericht "Recht auf Entschuldung", der im Juni 2021 gemeinsam mit Equitable Cambodia veröffentlicht wurde, wurden mehr als 170 Kreditnehmer*innen aus 14 Gemeinden befragt. Der Bericht zeigt die sozialen Folgen der Überschuldung und aggressiven Inkassopraktiken im Mikrofinanzsektor auf: Ernährungsunsicherheit, erzwungene Landverkäufe, Kinderarbeit und Migration.
Eine vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) finanzierte Studie des Instituts für Entwicklung und Frieden (INEF) bestätigt die Befunde und schätzt, dass bis zu 160.000 Kreditnehmer*innen in Kambodscha in den letzten fünf Jahren Land verkaufen mussten, um MFI-Schulden zu begleichen - das sind fast 100 schuldengetriebene Landverkäufe pro Tag.
Die OECD-Beschwerde kommt zu einem Zeitpunkt, an dem mehrere von Oikocredit finanzierte MFI in Kambodscha Gegenstand einer laufenden Beschwerde bei der Ombudsstelle CAO der Weltbanktochter International Finance Corporation (IFC) sind. Die CAO-Beschwerde wurde im Februar 2022 von LICADHO und Equitable Cambodia im Namen von betroffenen Kreditnehmer*innen eingereicht; seit dem 10. November läuft die Compliance Überprüfung im Rahmen dieses Verfahrens.
"Oikocredit und andere private und staatliche Investoren haben die vielen Belege für die weitverbreitete Überschuldung und Missstände in Kambodscha ignoriert und pumpen weiterhin Geld in den kambodschanischen Mikrofinanzmarkt", kritisiert Mathias Pfeifer, Südostasien-Referent bei FIAN Deutschland.
In den Jahren 2021 und 2022 erhöhte auch der deutsche "ethische” Mikrofinanzinvestor Invest in Visions sein Kambodscha-Portfolio deutlich. Der strukturierte Mikrofinanzfonds Microfinance Enhancement Facility (MEF), an dem die deutsche Entwicklungsbank KfW, das Entwicklungsministerium BMZ und die IFC maßgeblich beteiligt sind, vergab im Laufe von 2021 neue Investitionen an kambodschanische MFI in Höhe von fast US$ 20 Millionen. Im April 2022 genehmigte die Asiatische Infrastruktur-Investitionsbank (AIIB) ihre ersten Investitionen in den kambodschanischen Mikrofinanzsektor und sagte zwei kambodschanischen MFI, die derzeit Gegenstand der Weltbank-Beschwerde sind, US$ 175 Millionen zu. Und im August 2022 nahm das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) Investitionen in kambodschanische MFI in seine SDG-Investorenplattform auf. All dies zeugt von einem eklatanten Mangel an Due Diligence und Bewusstsein für die Probleme im Sektor bei den involvierten Akteuren.
"Die Investoren und Entwicklungsagenturen müssen endlich erkennen, dass diese Investitionen echten Schaden anrichten, und sie müssen sich mit zivilgesellschaftlichen Akteuren an einen Tisch setzen, um eine Diskussion darüber zu beginnen, wie diese Probleme gelöst werden können", so Eang Vuthy, Executive Director von Equitable Cambodia. "Wir sind jederzeit bereit, mit Investoren zusammenzuarbeiten, die daran interessiert sind, echte Lösungen zu finden, welche den schwächsten, in Not geratenen Kreditnehmern Abhilfe verschaffen."
Quelle und Kontaktadresse:
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