Mietrechtsänderungsgesetz zurückziehen oder vollständig überarbeiten / Energiewende: Gerechtigkeitslücke immer größer
(Berlin) - "Das Mietrechtsänderungs- bzw. -verschlechterungsgesetz muss vom Tisch. Nach der fundamentalen Kritik unabhängiger Sachverständiger im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages an den geplanten Mietrechtsänderungen sollte die Bundesregierung das Gesetz zurückziehen oder aber vollständig überarbeiten und einen neuen Entwurf vorlegen, der sich dann mit den tatsächlich existierenden mietrechtlichen Problemen in Deutschland befasst", forderte der Direktor des Deutschen Mieterbundes (DMB), Lukas Siebenkotten, im Vorfeld des Landesverbandstages der DMB-Mietervereine in Sachsen-Anhalt.
"Bei der Umsetzung der Energiewende droht die soziale Gerechtigkeit auf der Strecke zu bleiben. Strompreissteigerungen für Normalverbraucher und Mieter, weil Solardächer von Landwirten und Hauseigentümern gefördert bzw. der Strompreis für Teile der Industrie subventioniert wird, sind ungerecht. Mieterhöhungen infolge energetischer Modernisierungen sind für viele Haushalte nicht verkraftbar. Insbesondere einkommensschwachen Haushalten droht ein kalter und dunkler Winter. Sie müssen entlastet werden, beispielsweise durch die (Wieder-)Einführung einer Energiekostenkomponente beim Wohngeld", forderte die Vorsitzende des Deutschen Mieterbundes Sachsen-Anhalt, Ellen Schultz.
Mietrecht ändern, aber richtig
Nach der ersten Lesung des Mietrechtsänderungsgesetzes am 27. September im Bundestag fand am 15. Oktober 2012 eine Sachverständigenanhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages statt. Das Urteil der Sachverständigen war vernichtend:
Die geplanten Änderungen dürfen nicht Gesetz werden. Der Ausschluss des Mietminderungsrechts ist systemwidrig, dogmatisch völlig verfehlt, streitträchtig, kaum handhabbar und unausgewogen - stellten die sachverständigen Richter, Wissenschaftler und Rechtsanwälte fest.
Bei den Regierungsvorschlägen zur Sicherungsanordnung bzw. Räumung der Wohnung per einstweiliger Verfügung sprechen die Sachverständigen von Verfassungswidrigkeit, massiven Eingriffen in das Miet- und Mietprozessrecht und rechtsstaatlichen Bedenken. Einer der im Rechtsausschuss geladenen Sachverständigen - Klaus Schach, ehemals Vorsitzender Richter am Landgericht Berlin - meint, hier müssten die Alarmglocken schrillen. Eine derartige Regelung habe es in einem Rechtsstaat wie der Bundesrepublik Deutschland wohl noch nie gegeben.
"Nach dieser Fundamentalkritik der Sachverständigen können die Abgeordneten der Koalitionen und die Bundesregierung nicht länger an ihren Plänen zur Änderung des Mietrechts festhalten. Sie müssen das Gesetz stoppen", forderte Mieterbund-Direktor Lukas Siebenkotten. Die Bundesregierung müsse sich eingestehen, dass sie mit ihren Mietrechtsänderungsvorschlägen den Vermieter- und Eigentümerverbänden auf den Leim gegangen sei. Die hatten die Vorarbeiten und Formulierungen für die geplanten Mietrechtsverschlechterungen geliefert.
Siebenkotten: "Eine sachliche Notwendigkeit für die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Gesetzesänderungen gibt es nicht. Die gibt es aber in ganz anderen Bereichen. Wir brauchen angesichts drastisch steigender Neuvertragsmieten, insbesondere in Großstädten, Ballungszentren und Universitätsstädten, eine Obergrenze für Mieten, beispielsweise 10 Prozent oberhalb der ortsüblichen Vergleichsmiete. In die ortsübliche Vergleichsmiete sollten alle Mieten einfließen und nicht nur Vertragsabschlüsse der letzten vier Jahre. Die Kappungsgrenze muss von 20 Prozent in drei Jahren auf 15 Prozent in vier Jahren sinken. Im Maklerrecht muss das Bestellerprinzip realisiert werden. Bei Mieterhöhungen und Betriebskostenabrechnungen sind immer die tatsächlichen Wohnflächen zugrunde zu legen und nicht falsche Flächenangaben aus Mietverträgen.
Es gibt also durchaus Handlungsbedarf im Mietrecht. Wenn die Bundesregierung das Mietrecht ändern will, dann muss sie es aber richtig tun."
Energiepreise und Energiewende treiben Wohnkosten
Die Wohnkostenbelastung steigt auf Rekordniveau. Mieterinnen und Mieter müssen durchschnittlich 34,1 Prozent ihrer Konsumausgaben für Miete und Energie zahlen. Bei einkommensschwächeren Haushalten mit einem monatlichen Nettoeinkommen bis 1.300 Euro liegt die Wohnkostenbelastung in Deutschland bei 45,8 Prozent.
"Einkommensschwächere Haushalte müssen bei den Stromkosten entlastet werden. Für Hartz-IV-Bezieher müssen die Stromkosten in tatsächlicher Höhe übernommen werden", forderte Ellen Schultz. "Außerdem dürfen Strom- und Heizkosten bei der Berechnung des Wohngeldes nicht länger unter den Tisch fallen. Sie gehören zu den Wohnkosten und müssen entsprechend berücksichtigt werden.
Die Bundesregierung hat die erst 2009 eingeführte Heizkostenkomponente beim Wohngeld zum 1. Januar 2011 ersatzlos gestrichen. Die Folgen sind fatal. Nach Berechnungen des Deutschen Mieterbundes erhielten Ende des Jahres 2011 nur noch 766.800 Haushalte Wohngeld. Damit hat sich die Zahl der Wohngeldempfänger in einem Jahr um 10 Prozent verringert. 2010 erhielten noch 852.000 Haushalte Wohngeld. Gleichzeitig ist der durchschnittliche Wohngeldanspruch um 8 Prozent gesunken.
"Das Durchschnittseinkommen eines Wohngeldempfänger-Haushaltes liegt bei etwa 850 Euro. Fast 60 Prozent sind Einpersonenhaushalte, häufig Rentner mit einem Durchschnittseinkommen von 613 Euro. Dass diese Haushalte jetzt trotz drastisch gestiegener Energiepreise weniger Wohngeld bekommen als früher, muss schnellstmöglich korrigiert werden. Dazu ist eine Energiekostenkomponente im Wohngeld einzuführen, die die Kosten für Heizung und Strom berücksichtigt", forderte Ellen Schultz.
Auch die energetische Sanierung des Gebäudebestandes führt zu drastischen Mieterhöhungen. Nach geltendem Recht darf der Vermieter 11 Prozent der Modernisierungskosten auf die Jahresmiete aufschlagen.
Ellen Schultz: "Diese gesetzliche Mieterhöhungsregelung ist ungerecht. Die Kosten der energetischen Modernisierung werden ungleich verteilt - im Ergebnis zahlt allein der Mieter. Die geltende Mieterhöhungsvorschrift ist auch schon dem Grunde nach falsch. Sie knüpft den Umfang der Mieterhöhung an die Kosten der Modernisierung, ohne zu fragen, ob die energetische Sanierung sinnvoll und erfolgreich war, ob tatsächlich Energie und damit Heizkosten eingespart werden. Deshalb muss diese Mieterhöhungsregelung ersatzlos gestrichen werden. Stattdessen sollte im Rahmen der ortsüblichen Vergleichsmiete die energetische Qualität der Wohnung für die Bestimmung der Miete mitentscheidend werden."
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