Mehr Realismus in der Arbeitszeitdebatte erforderlich
(Berlin) - Arbeitnehmer in Deutschland zeigen ein hohes Maß an betrieblicher Flexibilität und arbeiten länger, als in Teilen der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Dies zeigt der aktuelle Wochenbericht des DIW Berlin 47/2004 nach Auswertung der Daten des Sozio-oekonomischen Panels. So ergab die Analyse der Wochenarbeitszeit erhebliche Abweichungen der tatsächlich erbrachten von der vertraglich vereinbarten Zeit. Vertraglich vereinbart waren im Jahr 2003 bei den Vollzeitbeschäftigten 38,4 Wochenstunden. In einer üblichen Arbeitswoche wurden tatsächlich aber 42,4 Stunden gearbeitet. Insgesamt leisteten mehr als 60 Prozent der Vollzeitbeschäftigten Überstunden. Der größte Teil der Mehrarbeit wurde durch Lohn, vor allem aber durch Freizeit abgegolten. Für einen nicht geringen Teil der Überstunden (knapp 30Prozent) gab es indes keinen Ausgleich. Ohne Überstundenausgleich belief sich die Wochenarbeitszeit der vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer mit vertraglich geregelter Arbeitsdauer in Deutschland auf durchschnittlich 39,5 Stunden. Je höher die berufliche Qualifikation war, desto mehr Überstunden wurden geleistet und desto mehr Überstunden wurden nicht ausgeglichen. Bei den Teilzeitbeschäftigten zeigte sich ein ähnliches Muster, wenngleich bei diesen die Zahl der Überstunden geringer war. Eine kleine Gruppe der Vollzeitbeschäftigten (knapp 10Prozent) hat keine vertraglich geregelte Arbeitszeit; diese kommen im Schnitt auf etwa 50 Arbeitsstunden je Woche.
Hinsichtlich der Jahresarbeitszeit wird anhand verschiedener Quellen festgestellt,
- dass die tatsächlich genommenen Urlaubstage geringer sind als die tarifvertraglich vereinbarten,
- dass nicht zuletzt wegen der hohen Arbeitslosigkeit der Krankenstand in Deutschland auf einen historischen Tiefstand gerutscht ist,
- dass sich die Bundesrepublik bei den feiertagsbedingten Arbeitsausfällen im unteren Mittelfeld bewegt,
- und dass die Arbeitsausfälle infolge von Streiks viel geringer sind als in manch anderen Ländern.
Umfassend lässt sich die Position Deutschlands im internationalen Vergleich bei der Länge der Arbeitszeit nicht bestimmen, weil zum Teil aussagefähige Daten fehlen. Nach dem derzeitigen Forschungsstand ist es nach Ansicht des DIW Berlin unzulässig, den deutschen Arbeitnehmern die Spitzenposition bei der freien Zeit zuzuschreiben.
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