Mehr Pragmatismus wagen!
(Berlin) - Zu mehr Pragmatismus und eine Stärkung der Eigenverantwortung in der Sozialwirtschaft hat der Vorstand der international tätigen Stiftung Liebenau, Dr. Berthold Broll, ermutigt. Wie er auf der außerordentlichen Mitgliederversammlung des Verbandes diakonischer Dienstgeber in Deutschland (VdDD) am 19. September sagte, fehle es nicht unbedingt am Geld, es müsse jedoch effizienter eingesetzt werden.
Broll kritisierte, dass in Deutschland zu wenig über den Tellerrand geschaut werde. „Es werden Regeln aufrecht erhalten und befolgt, selbst wenn sie unnütz sind.“ In anderen Ländern gebe es einen größeren gesellschaftlichen Konsens, vom Ziel her zu denken. Ein weiteres Problem in Deutschland sei die Tatsache, dass Gesundheit und Soziales nicht in einer Hand sind, wie es beispielsweise in Italien der Fall sei. Er bemängelte eine Überregulierung in Deutschland, da Vorgaben nicht Praxis-Checks unterzogen werden. Als Positiv-Beispiel nannte er die Schweiz, in der eine stärkere Eigenverantwortung und geringere Regulierungsdichte zu einer besseren Qualität des Pflegeangebots führten. Nötig sei ein Kulturwandel und umfassender Bürokratieabbau. Auch diakonische Unternehmen müssten sich prüfen, gegebenenfalls verschlanken und auf ihren Kernauftrag fokussieren.
Mehr Flexibilität und Investitionen
Diakonie-Präsident Rüdiger Schuch bezeichnete bei der anschließenden Podiumsdiskussion das Festhalten an der Schuldenbremse als sowohl sozial- als auch wirtschaftspolitisch unklug und forderte eine Reform, um die dringend nötigen Investitionen in die Sozialwirtschaft tätigen zu können. Ebenso sprach er sich für eine armutsfeste Gestaltung des Bürgergeldes und eine Erhöhung des Mindestlohns aus. Andere Diskussionsteilnehmer betonten die Notwendigkeit weiterer Anpassungen. Der Vorsitzende des Deutschen Evangelischen Verbandes für Altenhilfe und Pflege (DEVAP), Wilfried Wesemann, unterstrich die Dringlichkeit einer umfassenden legislaturübergeifenden Finanz- und Strukturreform in der Pflegeversicherung. Der Vorstandsvorsitzende des Evangelischen Fachverbandes für Teilhabe (BeB), Pfarrer Frank Stefan, stellte fest, dass man in der Sozialwirtschaft lange Zeit für höhere Qualitätsstandards gekämpft und diese umgesetzt habe. Doch die Rahmenbedingungen seien andere geworden: „Hier müssen wir flexibler werden.“ Der Vorsitzende der Geschäftsführung der Johanniter GmbH, Frank Böker, sagte: „Wir sind von einer Leistungs- zu einer Anspruchsgesellschaft mutiert. Das muss sich wieder ändern.“
Klare Haltung gegen Populismus
Einigkeit zeigte die Podiumsrunde beim Umgang mit Populismus und der AfD. BeB-Vorstandsvorsitzender Stefan warb im Hinblick auf menschenverachtende Äußerungen über Menschen mit Behinderungen oder psychischen Erkrankungen um ein „klares Bekenntnis“ zu christlichen Werten. Schuch unterstrich in einem Redebeitrag den diakonischen Auftrag, „Gottes Liebe gerade für die Menschen erfahrbar zu machen, die Hilfe brauchen.“ Es gelte, den Freiraum zu schützen und die Demokratie zu stärken, um als freigemeinnützige Wohlfahrtspflege soziale Arbeit vor Ort gestalten zu können. Die AfD solle man „nicht weniger gefährlich reden“, nur weil festzustellen sei, dass Teile ihrer Wählerschaft nicht rechtsextrem eingestellt seien. Der Hauptgeschäftsführer des VdDD, Dr. Max Mälzer, plädierte dafür, sich von den vielfältigen Problemen nicht entmutigen zu lassen. „Wir sollten das tun, was wir am besten können: Nächstenliebe üben und mutig vorangehen!“
Löhne in der Sozialwirtschaft steigen überdurchschnittlich
In seinem Bericht zur aktuellen tarifpolitischen Lage machte Mälzer darauf aufmerksam, dass die Löhne im Gesundheits- und Altenpflegebereich im Vergleich zur Gesamtwirtschaft in den vergangenen Jahren überdurchschnittlich gestiegen sind. Insofern täusche der Eindruck nicht, dass der Kostendruck in der Branche besonders hoch sei. Der stellvertretende VdDD-Geschäftsführer und Bereichsleiter Ökonomie, Rolf Baumann, prognostizierte, dass die Herausforderungen für die Sozialwirtschaft in den kommenden Jahren nicht abnehmen werden. Die Diakonie sei daher gut beraten, proaktiv zu handeln und sich auf die andeutende Zeitenwende in der Branche einzustellen.
Quelle und Kontaktadresse:
Verband diakonischer Dienstgeber in Deutschland e.V. (VdDD), Invalidenstr. 29, 10115 Berlin, Telefon: 030 8847170-0, Fax: 030 8847170-55