Medizinprodukte-Engpässe: "Einen wichtigen Schritt bei Orphan Devices vorangekommen"
(Berlin) - Die europäische Medizinprodukte-Regulierung ist nach Ansicht des Bundesverbandes Medizintechnologie (BVMed) auf dem Weg zu einem notwendigen Sonderverfahren für selten angewandte Medizinprodukte, sogenannte "Orphan Devices", einen wichtigen Schritt vorangekommen. Denn das Expertengremium "Medical Device Coordination Group" (MDCG) hat unter der Federführung der irischen Medizinprodukte-Behörde eine neue Leitlinie zu Orphan Devices veröffentlicht, die deutliche Verbesserungen und Klarstellungen gegenüber der bisherigen Rechtslage enthält. "Wir haben lange ein gesondertes Verfahren für Orphan Devices gefordert, um die Versorgung kleiner Patient:innengruppen mit speziellen Medizinprodukten nicht zu gefährden. Jetzt haben wir - auch unter Einbindung von Anwendern und der MedTech-Branche - erstmals eine europäische Definition und gute Lösungsansätze. Diese Empfehlungen müssen nun auch in die Überarbeitung der EU-Medizinprodukte-Verordnung, MDR, einfließen, um gesetzgeberische Klarheit zu schaffen", so BVMed-Geschäftsführer und Vorstandsmitglied Dr. Marc-Pierre Möll.
Bei Orphan Devices handelt es sich um Medizinprodukte oder deren Zubehör für Krankheiten oder Leiden, von denen jedes Jahr nur wenige Menschen betroffen sind. Diese Produkte sind oft unerlässlich für die Behandlung seltener Krankheiten oder medizinischer Zustände mit begrenzten therapeutischen Möglichkeiten und decken einen ungedeckten medizinischen Bedarf ab. Da die MDR keine Sonderreglungen für diesen Bereich enthält, kommt es bereits heute zu Engpässen in der medizinischen Versorgung der Menschen - beispielsweise bei Gelenkersatz-Operationen oder in der Kinder-Kardiologie .
Der BVMed forderte daher in seinem MDR-Whitepaper die Ergänzung des derzeitigen Regulierungssystems. "In vielen Rechtssystemen existieren Fast-Track-Verfahren (beschleunigte Verfahren) für innovative Produkte sowie Spezialverfahren für sogenannte Orphan Devices und/oder für Nischenprodukte mit nachgewiesener Erfolgsbilanz, bei denen das Standardverfahren für die Konformitätsbewertung aufgrund mangelnder klinischer Nachweise nicht durchführbar ist. Solche Regelungen müssen auch im MDR-System geschaffen werden", so der BVMed.
Die neue MDCG-Leitlinie "Clinical evaluation of orphan medical devices" (MDCG 2024-10) enthält nun erstmals für den europäischen Rechtsrahmen eine Definition, die sich an der US-amerikanischen FDA-Definition für "Human Device Exemption" (HUD) orientiert:
Demnach fällt ein Medizinprodukt oder Zubehör unter "Orphan Devices", wenn es speziell dazu bestimmt ist, Patienten bei der Behandlung, Diagnose oder Vorbeugung einer Krankheit zu helfen, die bei nicht mehr als 12.000 Personen in der Europäischen Union pro Jahr auftritt. Zudem muss es an einer ausreichenden Alternative fehlen oder einen erwarteten klinischen Nutzen im Vergleich zu verfügbaren Alternativen bieten.
Die neue MDCG-Leitlinie soll Herstellern und Benannten Stellen helfen, die Anforderungen der MDR an den klinischen Nachweis anzuwenden und Herausforderungen zu begegnen, die den Zugang der Patienten zu Produkten für seltene Leiden verzögern. Sie ermöglicht, sich von den Expertengremien der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) hinsichtlich des Status von Produkten für seltene Leiden und der erforderlichen klinischen Daten für deren Bewertung beraten zu lassen und sieht die Möglichkeit von Zertifikaten unter Bedingungen mit einem geeigneten PMCF-Plan vor.
Positiv bewertet der BVMed, dass die Leitlinie den frühzeitigen Dialog zwischen Hersteller und Benannter Stelle zur Erörterung der klinischen Strategie für Orphan Devices fördert. Wichtig wäre es aus Sicht des Branchenverbands jedoch, dass dieser strukturierte Dialog näher definiert und umschrieben wird. Er müsse klar vom in der MDR definierten Beratungsverbot durch Benannte Stellen abgegrenzt werden, so der BVMed. Die Konsultation des Expertengremiums ist zudem nur eine Möglichkeit, keine Verpflichtung. Die Regelung soll Optionen eröffnen, aber auch sicherstellen, dass der Prozess nicht unnötig aufwändig wird.
Die Leitlinie hat allerdings nur empfehlenden Charakter, keine Gesetzeskraft. Und sie befasst sich ausschließlich mit den Kriterien und dem Status von Orphan Devices, klinischen Aspekten sowie Prozessen. Weitere Themen, wie Anreize und finanzielle Aspekte, werden in der MDCG-Guideline nicht behandelt.
"Wir brauchen hier weitere gesetzliche Schritte, um die medizinische Versorgung für kleinere Patient:innen-Gruppen nicht zu gefährden und langfristig - auch mit Innovationen - sicherzustellen. Wir brauchen Verbesserungen und klare Regelungen in der MDR. Die Vorschläge dazu liegen auf dem Tisch", so BVMed-Geschäftsführer Dr. Marc-Pierre Möll.
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