Pressemitteilung | Bundesverband Medizintechnologie e.V. (BVMed)

MedInform-Veranstaltung "Rationierung in der Medizin?" in München: „Bundesausschüsse behindern den medizinischen Fortschritt“

(München/Berlin) - Die intransparente Vorgehensweise sowie die konkreten Auswirkungen der Beschlüsse der Bundesausschüsse führen zu einer Verhinderung der Teilhabe der Versicherten am medizinischen Fortschritt. Durch die fehlende konkrete Ausgestaltung der Leistungsbeschreibung für die Versicherten der Ge-setzlichen Krankenversicherung (GKV) obliege diese Definition den Bundesaus-schüssen. Allerdings werde diese Kompetenz zum Ausschluss von Leistungen aufgrund einer Überbetonung des Wirtschaftlichkeitsgebotes missbraucht. Das war der Tenor der Referenten der MedInform-Veranstaltung „Rationierung in der Medizin?“ in Kooperation mit dem Aktionsbündnis Bundesausschuss und in Zu-sammenarbeit mit dem Bayerischen Sozialministerium in München.

Die Aufgabe der Bundesausschüsse sollte es nach Ansicht von Dr. Maximilian Gaßner, Ab-teilungsleiter Krankenversicherung im Bayerischen Sozialministerium, sein, die Qualität der medizinischen Versorgung zu definieren. Dabei sollten die allgemein anerkannten Verfah-rensgrundsätze demokratischen Handelns berücksichtigt werden. Die fehlende Beteiligung der Versicherten und Leistungserbringer als Betroffene bei den Entscheidungen sowie die Auswirkungen bundesstaatlicher „Autoritäten“ auf die Länder sei bedenkenswert.

Wilhelm Hollenhorst, Apotheker und Unternehmensberater aus Bonn, gab einen Überblick über die erweiterte Empfehlungskompetenz des Bundesausschusses für den Bereich der Arz-neimittel. Der Ausschuss soll eine Bewertung pharmakologisch bzw. therapeutisch vergleich-barer Arzneimittel im Hinblick auf ihr Preis-/Leistungsverhältnis in der vertragsärztlichen Ver-sorgung vornehmen. In der Praxis bedeutet dies, dass beispielsweise bei der Behandlung von Patienten mit koronaren Herzerkrankungen eine Unterversorgung von 95 Prozent bei der Verordnung von Lipidsenkern besteht.

Rüdiger Strehl, kaufmännischer Direktor des Universitätsklinikums Tübingen und Vorsit-zender des Verbandes der Universitätsklinika Deutschlands, ging auf die Innovationsge-schwindigkeit von medizintechnischen Verfahren im Krankenhaussektor ein. Medizinprodukte würden wie Automobile ständig verbessert und „Modellwechsel“ in einem Zeitraum von we-niger als drei Jahren erfolgen. Bisher konnten die Krankenhäuser durch das Mischfinanzie-rungssystem von Pflegesätzen und Fallpauschalen/Sonderentgelten diese Innovationen im Rahmen ihrer Therapiekompetenz in den Behandlungsablauf integrieren. In der Innovations-phase seien die Preise der neuen Technologien erfahrungsgemäß hoch, bedingt durch die Refinanzierungsumlage der Entwicklungskosten durch die Hersteller. In der Routinephase sei durch den flächigen Einsatz dieser Produkte eine Preisnivellierung festzustellen. Das neue Vergütungssystem der diagnoseorientierten Fallpauschalen lasse zukünftig aber nur Ein-heitspreise zu. Innovationen mit höheren Kosten benötigten daher neu definierte DRGs.

Dr. Peter Wigge, Rechtsanwalt und Mitinitiator des Aktionsbündnisses Bundesausschuss, stellte dar, in welchem Umfang neue medizinische Verfahren für Versicherte mit schweren und lebensbedrohlichen Erkrankungen zur Verfügung stehen. War bis zur Einführung des SGB V im Jahre 1989 der Arzt verpflichtet, gerade bei schweren Erkrankungen unbekannter Genese auch solche Behandlungsmethoden in seine therapeutischen Überlegungen einzube-ziehen, die nicht durchgehend anerkannt waren, hat sich die Rechtslage nun grundlegend geändert. Nunmehr muss für neue medizinische Verfahren ein positives Votum des Bundes-ausschusses und eine Einordnung in den Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) erfolgt sein. Dies habe zur Folge, dass auch bei lebensbedrohlichen Erkrankungen der Versicherte keine medizinischen Verfahren beanspruchen könne, für die noch keine positive Entschei-dung des Bundesausschusses vorliege.

Dr. Markus Plantholz, Rechtsanwalt aus Hamburg, kritisierte, dass das Bundessozialge-richt keine inhaltliche Überprüfung der Entscheidungen des Bundesausschusses vornehme und den Krankenkassen nicht die eigenständige Entscheidung über das Vorliegen eines Sys-temmangels erlaube. Dr. Dr. Christian Dierks, Rechtsanwalt aus Berlin, ging auf den Sorg-faltsmaßstab des Arztes bei eingeschränkter oder fehlender Verordnungsfähigkeit von Arz-neimitteln ein. Nach der zivilrechtlichen Rechtsprechung sei der Arzt grundsätzlich nicht ver-pflichtet, dem Patienten Therapien zu verordnen, deren Kosten nicht von den Krankenkassen übernommen würden oder die den Arzt einem Arzneimittelregress aussetzen würde. Bei Ver-ordnungsausschlüssen unterliege der Arzt jedoch einer gesteigerten Aufklärungspflicht ge-genüber dem Patienten.

Prof. Dr. Meinhard Heinze von der Universität Bonn stellte dar, dass nach der Rechtspre-chung des europäischen Gerichtshofes Leistungsansprüche von Versicherten gegenüber ih-ren nationalen sozialen Sicherungssystemen innerhalb des europäischen Binnenmarktes nach dem Grundsatz der bestmöglichen medizinischen Erkenntnisse bestehen. Das bedeute, dass ein Versicherter einer deutschen Krankenkasse einen Anspruch auf Leistungen haben könne, die der Bundesausschuss abgelehnt oder über die er noch nicht entschiede habe, wenn er diese Therapie von einem zugelassenen Leistungserbringer im EU-Binnenmarkt au-ßerhalb Deutschlands in Anspruch nehme. Die Richtlinienkompetenz der Bundesausschüsse hätte daher eine Inländer-Diskriminierung zur Folge.

Prof. Dr. Günter Neubauer, Direktor des Instituts für Gesundheitsökonomie, plädierte für eine Neuorientierung der Steuerung des Gesundheitswesens durch das Regulativ des Preises innerhalb einer Wettbewerbssituation. Hierzu ist den Versicherten die Möglichkeit der Wahl der Kostenerstattung anstelle der Sachleistung einzuräumen. Die zentralistische Entschei-dungsstruktur im derzeitigen Gesundheitswesen würde jede Innovation des Gesundheitswe-sens im Keime ersticken. Das Gesundheitswesen brauche deshalb eine föderale Dezentrali-sierung und darüber hinaus eine stärkere Einbindung der Patienten und Versicherten in die Finanzierungsverantwortung.

Prof. Dr. Peter Oberender, Direktor des Instituts für Medizinmanagement und Gesund-heitswissenschaften der Universität Bayreuth, erläuterte anhand der derzeitigen finanziellen Situation im Gesundheitswesen, dass eine Rationierung der medizinischen Leistungen eine unausweichliche Konsequenz des bestehenden Systems sei. Damit in Zukunft Innovationen jedem Patienten zugänglich sind, schlug er vor, eine generelle Krankenversicherungspflicht für alle Bürger einzuführen und der Politik nur die Definition des Rahmens der Gesundheits-leistungen zu überlassen. Dabei seien soziale Härtefalle abzufedern. Auch eine konkrete Ausgestaltung des Leistungskataloges sei erforderlich, um eine gesicherte medizinische Ver-sorgung der Bevölkerung auch in Zukunft zu ermöglichen.

Quelle und Kontaktadresse:
Bundesverband Medizintechnologie e.V. (BVMed) Reinhardtstr. 29 b 10117 Berlin Telefon: 030/2462550 Telefax: 030/24625599

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