MedInform-Konferenz zu neuen Finanzierungsoptionen: "Wirtschaftliche Aufzahlungen sind bereits gängige Praxis"
(Berlin) - In der Gesetzlichen Krankenversicherung müssen angesichts steigender Ausgaben bei knapper werdenden Finanzmitteln neue Finanzierungsoptionen genutzt werden. Impulse gab die MedInform-Konferenz zu neuen Finanzierungsoptionen in der GKV am 30. Juni 2009 in Berlin beispielsweise mit einem Modell zur Beteiligung der Krankenkassen an Selbstzahlerleistungen in der Augenchirurgie, externen Investitionskrediten oder einem steuerbegünstigten Innovationssparen ähnlich der Riester-Rente. Die Experten der Konferenz plädierten für Wahltarife und Aufzahlungsmodelle. Wirtschaftliche Aufzahlungen seien dabei im Hilfsmittelbereich bereits gängige Praxis, so Rechtsanwalt Peter Hartmann. "Das Modell aufzahlungspflichtiger Premiumprodukte hat sich im Markt schnell durchgesetzt", so der Hilfsmittelexperte. Die Krankenkassen würden diese Entwicklung aufgreifen, in dem sie Allianzen mit privaten Kassen eingehen, um ihren Versicherten neue Wahltarife anzubieten.
Die Inanspruchnahme für Zusatzversicherungen nehme in der Bevölkerung stark zu, so Wilfried Jacobs, Vorsitzender der AOK Rheinland/Hamburg. Er stellte verschiedene Wahltarife seiner Krankenkasse vor, die bereits von 100.000 Versicherten in Anspruch genommen werden. Gesundheitsökonom Prof. Dr. Günter Neubauer plädierte für eine Innovationsfinanzierung über externe Investitionskredite. Dies sei auch ein guter Indikator für die Refinanzierungschancen. BVMed-Geschäftsführer und Vorstandsmitglied Joachim M. Schmitt sprach sich für ein "Steuerbegünstigtes Innovationssparen" (SIS) für die zukünftige Versorgung der Patienten mit moderner Medizintechnologie aus.
Prof. Dr. Fritz Beske, Direktor des Instituts für Gesundheits-System-Forschung in Kiel, analysierte zu Beginn der Konferenz die künftige Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Zur Ausgangslage gehöre, dass Ausgabensteigerungen absehbar sind: durch die demographische Entwicklung, noch stärker aber durch den medizinischen Fortschritt. Zu einer künftigen bedarfsgerechten Versorgung gehörten nach Beske drei Faktoren: ein bedarfsgerechter Leistungskatalog, eine bedarfsgerechte Finanzierung und eine leistungsgerechte Honorierung der Leistungen unter Einschluss von Medizinprodukten. "Die Tatsache, dass mit begrenzten Mitteln nicht unbegrenzt Leistungen zu erbringen sind, ist zum Gegenstand der öffentlichen Diskussion geworden. Jetzt muss es gelingen, diese Diskussion in sachlicher Form weiterzuführen", so Beskes Appell. In Deutschland fehle eine sachbezogene Diskussionskultur. Priorisierung und Rationierung müssten emotionsloser diskutiert werden. Sein Vorschlag: " Der von der GKV finanzierte und sich verändernde Leistungsumfang wird als Grundversorgung bezeichnet, die jedem Versicherten als voll von der GKV finanzierte Leistung zur Verfügung steht. Hierauf kann der Versicherte vertrauen. Hat ein Versicherter darüber hinausgehende Wünsche in Art und Umfang medizinischer Leistungen, muss er diese Leistungen, als Zusatzleistungen bezeichnet, selbst bezahlen, gegebenenfalls abgedeckt durch eine Zusatzversicherung in der Privaten Krankenversicherung."
Ein Konzept zur Beteiligung der Krankenkassen an Selbstzahlerleistungen stellte Dr. Dagmar Hebendanz, Director Professional Affairs/ Business Development bei der Carl Zeiss Meditec-Tochter Acritec am Beispiel der Augenchirurgie dar. Im konkreten Beispiel geht es um die Therapie des Grauen Star (Katarakt), bei der in einer Operation eine künstliche Intraokularlinse (IOL) die getrübte natürliche Linse ersetzt und die Sehfähigkeit wiederherstellt. In Deutschland gibt es jährlich rund 700.000 Katarakt-Operationen. Davon werden rund 90 Prozent ambulant erbracht. Die aktuelle GKV-Vergütung im ambulanten Bereich läuft über regionale Verträge. Erstattet wird eine Standard-IOL-Linse mit monofokaler Optik. Wenn der GKV-Patient eine Versorgung mit einer IOL mit Zusatznutzen wählt, beispielsweise eine multifokalen IOL, um anschließend keine Brille mehr zu benötigen, zahlt die Krankenkasse nichts. Hier sollte die Möglichkeit bestehen, den Patienten über eine Selbstzahlerleistung ein besse res Produkt anbieten zu können, ohne auf den GKV-Anteil vollständig verzichten zu müssen. Der entsprechende Vorschlag des Fachbereichs Augenchirurgie des BVMed enthält vier Schritte:
1. Krankenkasse zahlt Pauschalbetrag an Versicherten 2. Transparente Abrechnung für Patienten (nach GOÄ) 3. Individuelle Lösungen bei Katarakt 4. Hochwertige Intraokularlinsen (IOL) für ein "Perfektes Sehen"
Aufzahlungsmodelle im Hilfsmittel- und Homecarebereich stellte Peter Hartmann von HARTMANN Rechtsanwälte vor. Er bezeichnete den Hilfsmittelmarkt als "Testmarkt, um neue Finanzierungsmodelle auszuprobieren". So sei beispielsweise die wirtschaftliche Aufzahlung bei Mehrkosten, wenn Hilfsmittel "über das Maß des Notwendigen" hinausgehen, im Markt bereits üblich. Hartmann erläuterte, dass die verstärkte Ausschreibungspraxis zu erheblichen Marktveränderungen geführt habe. Beispiel aufsaugende Inkontinenzprodukte: hier sei ein Marktvolumen in Höhe von 120 Millionen Euro bereits ausgeschrieben. Folge sei ein extremer Preiswettbewerb, die Krankenkassen konnten die Preise teilweise halbieren. Eine weitere Folge: für das Preisniveau des Ausschreibungsergebnisses werden "Standardprodukte" eingesetzt - in Abgrenzung zu "Premiumprodukten", die als aufzahlungspflichtiges Produkt beworben werden. Hartmanns Fazit: "Wir sehen eine stärkere Verlagerung ins Privatzahlergeschäft durch Premiumm arken." Ein Sonderfall seien einzelne Hilfsmittel-Produktbereiche mit Festbetragsregelungen. Auch hier seien wirtschaftliche Aufzahlungen möglich und werden auch von fast allen erhoben, beispielsweise bei den Kompressionsstrümpfen.
Ein einfaches Modell zur Vorfinanzierung von innovativen Medizintechnologien stellte Prof. Dr. Günter Neubauer, Direktor des Instituts für Gesundheitsökonomik (IfG), vor. Er plädierte angesichts der hohen Staatsverschuldung und der Finanzknappheit bei den Krankenkassen für eine Übertragung des Grundsatzes der Investitionsfinanzierung über Kredite auf die Krankenkassen. Der Gesundheitsfonds habe den Nachteil, das Mittel an die Kassen einheitlich zugewiesen werden - unabhängig von der Investitionsquote. Investitionen in Innovationen, die sich nicht sofort rechnen, kommen damit zu kurz, so Neubauer. Er sprach sich deshalb für die Vorfinanzierung von Investitionen in Innovationsentwicklungen beispielsweise im Bereich der Medizintechnologien durch Kredite aus. Die Kreditfinanzierung von Innovationen sei auch ein Indikator für Refinanzierungschancen. Er nannte fünf Vorteile einer externen Kreditfinanzierung:
1. Das öffentliche Haushaltsrecht erlaubt Kreditfinanzierung für Investitionen 2. Zweckgebundene Investitionskredite geben den Kassen Spielraum ohne einen Zusatzbeitrag und gefährden damit nicht die Existenz 3. Kredite werden vom Kreditgeber (Banken) auf ihre wirtschaftliche Tragfähigkeit geprüft 4. Externe Investitionskredite erlauben Kassen jenseits des Fonds in künftige Entwicklungen zu investieren und beschleunigen den Innovationsprozess 5. Externe Investitionskredite geben Krankenkassen ein Stück unternehmerische Freiheit zurück!
Für eine Neustrukturierung des gesamten Innovationseinführungsprozesses sprach sich Ralf Heyder vom Verband der Universitätsklinika (VUD) aus. Die Uniklinika spielen eine zentrale Rolle bei der Einführung von Innovationen der Medizintechnologie. Sie seien ein wichtiger Partner für Forschung & Entwicklung, Impulsgeber für Weiterentwicklungen und die ersten, die neue Verfahren und Produkte einsetzen. Die Rolle als Innovationsmotor sei aber zweischneidig, da das Kostenrisiko und das medizinische Risiko sehr groß seien. Innovationen seien heute für Uniklinika "oft ein Zuschussgeschäft", so Heyder. Probleme gebe es bei der Zulassung, der Vergütung und der Forschungsförderung. Das DRG-System sei als Anreizsystem zur Innovationssteuerung nur bedingt geeignet. Heyder bemängelte, dass beispielsweise die Innovationsregelung im DRG-System zu "Neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden" (NUBs) von den Krankenkassen sehr restriktiv benutzt werden. Für die Neustrukturierung des gesam ten Innovationseinführungsprozesses, die sektorenübergreifend erfolgen müsste, regt der VUD drei Aspekte an:
1. bessere Finanzierung der Versorgungsforschung über einen eigenen Fonds für die Finanzierung klinischer Studien 2. gestufte Zulassung bzw. Markteinführung innovativer Medizintechnologien, um die Leistungsfinanzierung zu verbessern 3. eigenes GKV-Budget für kostenintensive Innovationen
Wilfried Jacobs, Vorstandsvorsitzender der AOK Rheinland/Hamburg, schilderte die Erfahrungen seines Hauses mit Wahltarifen. Seine Kasse bietet Zusatzversicherungen gegen Prämie für die Bereiche Ausland, Krankenhaus, Zahnersatz und besondere Therapierichtungen an. Der Markt habe sehr positiv reagiert. Bislang habe es 100.000 Abschlüsse mit einer Bindung von drei Jahren gegeben. Dies habe mit dem Vertrauen der Menschen und mit der Nähe der Krankenkasse zu dem Kunden vor Ort zu tun. Jacobs: "Wir bekommen eine Renaissance des Denkens an Sicherheit in der GKV." Die Mehrzahl der Mitglieder beurteile die Zusatzangebote ihrer Krankenkasse positiv. Ergänzende Absicherungen werden dann als wichtig erachtet, wenn aus Kundensicht Lücken in der Finanzierung von Leistungen gesehen werden. Die Krankenkassenlandschaft befinde sich im starken Umbruch. "25 bis 30 Krankenkassen würden völlig ausreichen", so Jacobs. Ihn störe nicht die steigenden Ausgaben durch eine älter werdende Bevölkerung und den medizinischen Fortschritt. Das sei ein Segen für die Menschen und seien "gute Kosten". Das System gehe "nicht an den Innovationen kaputt, sondern an dem Unsinn, den wir finanzieren. Wir müssen den Medizinbetrieb besser organisieren - sektorenübergreifend und der Logik folgend", so der AOK-Chef.
Erfahrungen nach sechs Monaten Gesundheitsfonds schilderte Christoph Pannen, Geschäftsführer Gesundheitspolitik der Techniker Krankenkasse (TK). Staatsmedizin und Wettbewerb: die Reform würde von beidem etwas bieten. Positiv sei, dass der Gesundheitsfonds in Zeiten der Wirtschaftskrise in diesem Jahr eine sichere Finanzgrundlage schaffe. Langfristig könne man sich aber im System nicht auf Steuerzuschüsse verlassen. Pannen sagte, dass es derzeit wenig Spielraum für die Krankenkassen gebe, innovativ tätig zu werden und in neue Versorgungsformen zu investieren. Themen wie Innovationsförderung und Versorgungsforschung seien sekundär. Der Innovationswettbewerb komme zum Erliegen, die Potenziale des medizinischen Fortschritts verpuffen unter den derzeitigen Rahmenbedingungen. Der TK-Experte plädierte für "einen Wettbewerbspreis, der sich zwischen den Kassen unterscheidet und Spielräume lässt, besser zu sein - aber eben auch etwas teurer". An diesem Punkt müsse es Nachbesserungen an
der Reform geben. Er sprach sich auch für einen moderaten Ausbau der Zusatzbeiträge aus. In der Debatte um die Wahltarife zeige sich ein Kernproblem im System: die AOK Rheinland/Hamburg habe die Tarife von ihrer Landesbehörde genehmigt bekommen, die Bundesaufsicht sperre sich aber dagegen. Pannens Forderung: "Die Kassenaufsicht muss vereinheitlicht werden."
Sind private Zusatzversicherungen eine Antwort auf die Rationierung im GKV-System? Christian Weber, Geschäftsführer des Verbandes der Privaten Krankenversicherung ist da skeptisch. Denn bei privaten Zusatzversicherungen müssten sechs versicherungstechnische Aspekte beachtet werden:
1. Die Leistung ist nur zusatzversicherungsfähig, wenn es sich um ein in der Zukunft liegendes echtes Risiko handelt.
2. Das Risiko muss wahrgenommen und die Relevanz akzeptiert werden.
3. Es muss ein hinreichend großes Risiko sein.
4. Es muss eine klare Abgrenzbarkeit vom Leistungskatalog der GKV vorliegen.
5. Es muss sich um eine rationierte Leistung handeln, die vom Gesetzgeber ausgeschlossen wurde und nicht eine individuelle Rationierungsentscheidung des Arztes ist.
6. Es muss eine versicherungstechnische Berechenbarkeit vorliegen, also nur bei bekannten Kosten von Innovationen.
PKV-Produkte bieten einen lebenslangen Versicherungsschutz. Deshalb benötige man eine strenge Beitragskalkulation und eine strenge Regelung der Beitragsanpassung, so Weber. GKV-Produkte unterliegen dagegen "weicheren" Faktoren, die Laufzeit kann beschränkt sein. Webers Fazit: "Deshalb ist die Vollversicherung eher die Alternative zur Rationierung im GKV-System. Wir müssen den Menschen erlauben, sich für eine PKV-Vollversicherung als Alternative zur GKV zu entscheiden. Die Zukunft liegt nicht in der Konvergenz, sondern in der klaren Alternative und mehr Wahlfreiheiten für die Versicherten."
BVMed-Geschäftsführer und Vorstandsmitglied Joachim M. Schmitt stellte das Konzept eines "Steuerbegünstigten Innovationssparens" (SIS) für die zukünftige Versorgung der Patienten mit moderner Medizintechnologie vor. Wichtig sei die Vorsorge im Bereich der Krankenversicherung. Es bestehe ein großer Bedarf an zusätzlichen Leistungen, die über den GKV-Leistungskatalog hinausgehen. Schmitt regte an, Sparen im Gesundheitsbereich, ähnlich wie bei der Riester-Rente, steuerlich zu fördern. Damit würde ein wichtiger Impuls insbesondere für jüngere Menschen geschaffen, rechtzeitig vorzusorgen. "Bestimmte innovative, wünschenswerte und im Komfort über den Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung hinaus gehende Leistungen würden damit gefördert. Die Patienten bekommen mehr Wahlfreiheit sich eine höherwertige Versorgung zu wählen und leisten zu können", so der BVMed-Geschäftsführer.
Quelle und Kontaktadresse:
Bundesverband Medizintechnologie e.V. (BVMed)
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