Lob und Tadel für Bundesverfassungsgericht / DAV fordert Politik bei Sicherungsverwahrung zu Augenmaß auf
(Berlin) - Auf die beiden Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen vom 5. Februar und 10. Februar 2004 zur nachträglichen bzw. vorbehaltenen (zeitlich nicht befristeten) Sicherungsverwahrung hat der Deutsche Anwaltverein (DAV) unterschiedlich reagiert. Besorgnis erregend sei die Reaktion der Politik, schnellstmöglich handeln zu wollen und damit unter Druck setzt. "Dabei darf es für die Bundesregierung und die Opposition nicht darum gehen, die Lufthoheit über die Stammtische zu gewinnen", so Rechtsanwalt Georg Prasser, Vize-Präsident des DAV. Vielmehr müsste ein Diskussionsentwurf erarbeitet werden, der mit Augenmaß alle Interessen berücksichtigt und gerichtliche Überprüfungen der Entscheidungen ermöglicht.
Zunächst sei es erfreulich und beruhigend, dass das Bundesverfassungsgericht zum Einen deutlich gemacht habe, Sicherungsverwahrung dürfe nicht einfach lebenslanges Wegsperren bedeuten. Vielmehr hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass die Hoffnung auf Besserung nie aufgegeben werden dürfe und dazu einige Vorgaben formuliert, an denen sich die Praxis orientieren wird. So muss beispielsweise regelmäßig überprüft werden, ob die Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung im konkreten Fall noch gegeben sind. Auch bezüglich der praktischen Ausgestaltung des Verwahrvollzugs wurden Vorgaben erteilt, die letztlich sicherstellen sollen, dass auch bei Sicherungsverwahrung das Recht auf ein menschenwürdiges Leben gewährleistet ist.
Auch sei die Entscheidung vom 10. Februar 2004, mit der das Bundesverfassungsgericht die von einigen Bundesländern geschaffene Möglichkeit, gefährliche Straftäter nach Verbüßung ihrer Haft weiterhin in Gewahrsam zu halten, für verfassungswidrig erklärt hat, so erwartet worden. Der DAV hatte bereits vor Erlass seiner (verfassungswidrigen) Ländergesetze im Zuge von Anhörungsverfahren zu den Gesetzesvorhaben darauf hingewiesen, dass diese u.a. wegen der fehlenden Gesetzgebungskompetenz der Länder massiven Bedenken begegneten. Irritierend und unverständlich sei jedoch, dass das Bundesverfassungsgericht die verfassungswidrigen Gesetze bis zum 30. September 2004 fortgelten lasse. Dies unter zwei Aspekten: Erstens gälten damit Gesetze, die der zuständige Gesetzgeber - der Bund - gerade nicht habe erlassen wollen. Zweitens habe der Bund jetzt politisch keine andere Wahl, als diese Gesetze eben doch zu erlassen. Könnten in Zukunft kleine Einheiten Vorschriften aufstellen, für die sie nicht zuständig sind? Was mache das Bundesverfassungsgericht, wenn demnächst eine Kommune etwa auf Grund ihrer Satzung zur Gefahrenabwehr (und zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung) als gefährlich eingeschätzte Menschen kurzerhand inhaftiere? Blieben diese dann ebenfalls in Haft, bis das insoweit gesetzgebungskompetente Organ (Landes- oder Bundesgesetzgeber) die Gelegenheit hatte, selbst eine entsprechende gesetzliche Grundlage für die Inhaftierung zu schaffen?
Weil das Gericht aus Respekt vor den guten Absichten des unzuständigen Gesetzgebers auf klare Konsequenzen verzichte, entwerte es wichtige Schutzmechanismen. Für konsequent und deshalb begrüßendwert hätte man das Minderheitenvotum gehalten, dem der DAV nichts hinzuzufügen habe: "Hat der Gesetzgeber - wie hier - eine eindeutige Entscheidung getroffen, so darf der Richter diese nicht auf Grund eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern und - sei es auch nur übergangsweise - durch eine eigene judikative Lösung ersetzen, die so im Parlament nicht erreichbar gewesen wäre. Die Senatsmehrheit hat sich damit - objektiv betrachtet - der Bindung an Recht und Gesetz entzogen."
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