Lieferkette: Arbeitsbedingungen im GĂŒtertransport gehören zur Unternehmensverantwortung - EU-Richtlinie kann neue Impulse geben
(DĂŒsseldorf) - Verantwortung in der Lieferkette: Unternehmen mĂŒssen nicht nur die Arbeitsbedingungen bei Zulieferern im Auge haben, sondern auch den GĂŒtertransport, wo etwa auf deutschen StraĂen nicht selten problematische ZustĂ€nde herrschen. Die neue EU-Lieferkettenrichtlinie kann dafĂŒr wichtige neue Impulse geben. Das zeigt eine von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte aktuelle Analyse zur Situation von LKW-Fahrenden.*
Wenn sie vom Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) hören, denken viele an miserable Arbeitsbedingungen in fernöstlichen Fabriken. Doch "ausbeuterische und teilweise gegen Menschenrechte verstoĂende Praktiken" finden sich auch ganz in der NĂ€he: auf der nĂ€chsten Autobahn. Das schreiben Veronique Helwing-Hentschel, Prof. Dr. Martin Franz und Dr. Philip VerfĂŒrth vom Institut fĂŒr Geographie der UniversitĂ€t OsnabrĂŒck. Sie haben in einem von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Forschungsprojekt aktuelle Entwicklungen in der Logistikbranche untersucht. Eine ihrer Fragestellungen: Inwieweit können das seit 2023 geltende Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz und die vor dem Inkrafttreten stehende Lieferkettenrichtlinie der EU - Corporate Social Due Diligence Directive, kurz CSDDD - helfen, VerstöĂe gegen grundlegende BeschĂ€ftigtenrechte zu unterbinden? "Die Studie zeigt uns drastisch, wie wichtig es fĂŒr die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Transportlogistik ist, dass Deutschland die EU-Lieferkettenrichtlinie umsetzt. Und zwar je schneller, desto besser", erklĂ€rt Christina Schildmann, Leiterin der Abteilung Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung.
79 Prozent der GĂŒterbeförderung in Deutschland werden per LKW erledigt. In der Branche herrschen groĂer Wettbewerbs- und Kostendruck. Die Digitalisierung hat vieles verĂ€ndert, Beispiele sind die Auftragsvergabe ĂŒber Plattformen oder die Echtzeitverfolgung von Lieferungen. GroĂe Spediteure geben AuftrĂ€ge hĂ€ufig an Subunternehmen weiter, die sie teilweise abermals weiterreichen. Nur knapp die HĂ€lfte der Transportleistungen wird von in Deutschland ansĂ€ssigen Unternehmen erbracht. Vor 15 Jahren waren es noch 64 Prozent. LKW-Fahrende, die auf den hiesigen StraĂen unterwegs sind, stammen oft aus Polen, Tschechien, RumĂ€nien, Litauen oder aus LĂ€ndern auĂerhalb der EU. Die Löhne sind niedrig, die Arbeitsbelastung ist hoch. VerstöĂe gegen Arbeits- und Sozialstandards sind besonders in Subunternehmensbeziehungen an der Tagesordnung, so die Forschenden. Die Internationalisierung hat auch damit zu tun, dass sich deutsche Firmen schwertun, Personal zu finden.
"Gerade die Verhandlungsmacht von LKW-Fahrenden aus dem Ausland ist hĂ€ufig gering", so Philip VerfĂŒrth, da ihre wirtschaftliche AbhĂ€ngigkeit oft stark ausgeprĂ€gt ist. Aber selbst den in Deutschland angestellten LKW-Fahrenden falle es nicht leicht, gemeinsam ihre Interessen zu vertreten. Schon wegen der "hohen MobilitĂ€t und rĂ€umlichen Verteilung der ArbeitskrĂ€fte", aber auch, weil der gewerkschaftliche Organisationsgrad gering ist und viele kleinere und mittlere Firmen nicht mitbestimmt sind.
Im vergangenen Jahr gab es immerhin zwei Protestaktionen von LKW-Fahrenden in Deutschland, die öffentliche Aufmerksamkeit erzielten. Einmal traten etwa 65 Fahrer*innen, meist aus osteuropĂ€ischen und zentralasiatischen LĂ€ndern, in einen wilden Streik und erzwangen die Auszahlung von Löhnen. Beim zweiten Protest beschrĂ€nkten sich die BeschĂ€ftigten nicht darauf, mit ihren beladenen Fahrzeugen auf dem Rastplatz stehenzubleiben, sondern traten teilweise in einen Hungerstreik. Neben der Gewerkschaft ver.di trat in diesem Fall auch das Bundesamt fĂŒr Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) auf den Plan, um AnsprĂŒche der BeschĂ€ftigten durchzusetzen und eine Einigung fĂŒr die LKW-Fahrenden zu erzielen. Dies war "einer der ersten AnwendungsfĂ€lle des LkSG in der Logistik", so Veronique Helwing-Hentschel, - denn das BAFA ist fĂŒr die Kontrolle und Durchsetzung des Lieferkettengesetzes zustĂ€ndig. Die Behörde durchforstete unter anderem Hunderte von Frachtbriefen und anderen Dokumenten.
Allerdings zeigte sich bald, dass "die Konsequenzen fĂŒr Unternehmen seit der EinfĂŒhrung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz bislang relativ gering ausfielen", so die Forschenden. Ăndern könnte sich dies, wenn das Gesetz nach den Vorgaben der neuen EU-Richtlinie angepasst wird. Vor allem aus zwei GrĂŒnden: Erstens mĂŒssen Unternehmen dann auch mittelbare GeschĂ€ftspartner - etwa Subunternehmen - proaktiv auf die Einhaltung von Standards ĂŒberprĂŒfen. Zweitens können VerstöĂe dann mit schĂ€rferen Sanktionen geahndet werden.
Dies dĂŒrfte Unternehmen dazu veranlassen, fĂŒr mehr Transparenz in den Transportlieferketten zu sorgen, erwarten Helwing-Hentschel, Franz und VerfĂŒrth. Dazu könnten auch ohnehin aufgezeichnete Daten verwendet werden, die etwa Aufschluss ĂŒber die Einhaltung von Ruhezeiten geben. Dabei sei ein sensibler Umgang mit personenbezogenen Daten wichtig, betonen die Forschenden. Zudem bedĂŒrfe es "einer Verschlankung der bisher sehr aufwendigen behördlichen VorgĂ€nge zur Feststellung von RegelverstöĂen im internationalen StraĂengĂŒtertransport".
Weiterhin brĂ€uchten LKW-Fahrende eine bessere Versorgungsinfrastruktur, um etwa die seit 2022 verbotene, aber dennoch hĂ€ufig praktizierte und wenig erholsame Ăbernachtung in der Fahrerkabine auf der AutobahnraststĂ€tte zu unterbinden. SchlieĂlich plĂ€dieren die Forschenden fĂŒr den Auf- oder Ausbau von - beispielsweise gewerkschaftlichen - Beratungsinfrastrukturen. "Denn die Umsetzung von Sorgfaltspflichten setzt voraus, dass BeschĂ€ftigte in Transportlieferketten ihre Rechte kennen und sichere Wege aufgezeigt bekommen, diese einzufordern."
Weitere Informationen
*Veronique Helwing-Hentschel, Martin Franz, Philip VerfĂŒrth: Sorgfaltspflicht in Transportlieferketten: Gesamte Lieferkette in den Blick nehmen, Working Paper der HBS-Forschungsförderung Nr. 343, Juli 2024. Download: https://www.boeckler.de/de/faust-detail.htm?sync_id=HBS-008904
Quelle und Kontaktadresse:
Hans-Böckler-Stiftung
Rainer Jung, Leiter, Pressestelle
Hans-Böckler-Str. 39, 40476 DĂŒsseldorf
Telefon: (0211) 77780, Fax: (0211) 7778120
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