Pressemitteilung | Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW)

Lehrstellenstatistik: Nicht die ganze Wahrheit

(Köln) - Wieder einmal geht die Mär von der Lehrstellen-Katastrophe um. Zwar ist die Situation auf dem Ausbildungsmarkt nicht so entspannt wie in den Vorjahren – Grund zur Panikmache gibt es aber nicht. Denn die amtliche Statistik sagt nur bedingt etwas über die betriebliche Ausbildungs-Realität aus.
Die einzige Quelle über die Lage auf dem Ausbildungsstellenmarkt ist die Berufsberatungsstatistik. Diese erfasst jeweils von Anfang Oktober des vorangehenden bis Ende September des laufenden Jahres alle von den Betrieben bei den Arbeitsämtern gemeldeten Ausbildungsstellen und die Interessenten, die via Arbeitsamt eine Lehrstelle suchen. Demnach sieht die Lage wie folgt aus: Von Anfang Oktober 2001 bis Ende Juli 2002 wurden den Arbeitsämtern bundesweit 532.010 Lehrstellen gemeldet. Gleichzeitig waren 665.586 Ausbildungsaspiranten registriert. Rechnerisch gibt es derzeit also rund 133.500 mehr Bewerber als Lehrstellen. Die endgültigen Zahlen für den Ausbildungsmarkt 2002 stehen aber erst im Dezember fest. Nicht nur deswegen sind die jetzigen Daten mit Vorsicht zu genießen:


Meldeverhalten der Betriebe. Die Firmen geben ihre freien Ausbildungsplätze teilweise recht spät bei den Arbeitsämtern bekannt – oftmals wissen sie nicht, ob sie sich einen Azubi überhaupt leisten können. Ende Juli 2001 hatten die Unternehmen in Westdeutschland beispielsweise erst 95 Prozent der letztlich angebotenen Lehrstellen gemeldet (Grafik). Noch weniger spiegelt die Statistik die tatsächliche Lage in den neuen Ländern wider, wo die Meldequote bis Ende Juli in der Regel bei drei Viertel der Stellen liegt.

Einschaltung der Arbeitsämter durch die Betriebe. Viele Unternehmen suchen ihren Nachwuchs auf eigene Faust. Dies kommt erfahrungsgemäß häufig bei kleinen und mittelständischen Betrieben vor, die die wichtigsten Ausbilder sind. Immerhin 63 Prozent der Auszubildenden erhalten in Firmen mit 10 bis weniger als 500 Mitarbeitern das berufliche Rüstzeug.

Einschaltung der Arbeitsämter durch die Lehrstellenbewerber. Die meisten Lehrstellen-Interessenten gehen auf Nummer sicher und melden ihre Ausbildungswünsche pro forma beim Arbeitsamt an, obwohl so mancher von ihnen vielleicht ganz andere Ziele im Blick hat. Die Arbeitsämter führen daher viele Bewerber in der Statistik, die sich dann für ein Studium oder den Besuch einer beruflichen Schule entscheiden. Die Wege der jungen Leute verfolgt die Verbleibsuntersuchung der Arbeitsverwaltung. Demnach nahm nur ein Teil der im Jahr 2000/2001 gemeldeten 737.797 Bewerber tatsächlich eine betriebliche Ausbildung auf. Beispielsweise entschieden sich gut 6 Prozent der Interessenten für den Besuch einer weiterführenden Schule, knapp 6 Prozent ließen sich auf einer Berufsfachschule fit fürs Arbeitsleben machen, und etwas über 2 Prozent nahmen ein Studium auf. Alle Chancen offen halten wollen sich vor allem die jungen Leute in Ostdeutschland. Dort lag im Jahr 2001 die Zahl der statistisch erfassten Lehrstellenbewerber um mehr als 70.000 über der echten Ausbildungsplatz-Nachfrage. Dass nicht alle Interessenten ernsthaft eine Lehre anstreben, zeigt auch die Prognose der Bundesregierung: Sie rechnet dieses Jahr mit insgesamt 640.000 Bewerbern.

Abgeschlossene Ausbildungsverträge. In den Vorjahren ließ die Berufsberatungsstatistik ebenfalls keinen Rückschluss auf die Zahl der tatsächlich zwischen den Betrieben und den Azubis abgeschlossenen Ausbildungsverträge zu. Zumindest rechnerisch kam seinerzeit auf jeden Bewerber ein Ausbildungsplatz. Damit sich in diesem Jahr Angebot und Nachfrage auf dem Lehrstellenmarkt weitgehend decken, werden die Betriebe beim Bemühen um den Fachkräftenachwuchs noch nachlegen. Denn wer heute ausbildet, sichert ein Stück eigene Zukunft, weil schon bald ein erheblicher Engpass an jungen Leuten ins Haus steht. Für Ostdeutschland zeichnet sich auf dem Lehrstellenmarkt eine gewisse Entspannung ab, weil dort die öffentliche Hand nachhilft: Bis zu 14.000 Ausbildungsplätze werden im Rahmen des laufenden Bund-Länder-Ausbildungsprogramms „Ost 2002“ bereitgestellt, rund 6.000 im Zuge des Ergänzungsprogramms der Länder, und noch einmal 2.100 Plätze wurden mit Hilfe des Jugendsofortprogramms der Bundesregierung geschaffen.

Quelle und Kontaktadresse:
Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) Gustav-Heinemann-Ufer 84-88 50968 Köln Telefon: 0221/49811 Telefax: 0221/4981592

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