Lebenszeit in Pflegeeinrichtungen immer kürzer
(Berlin) - Jahrelang ist die durchschnittliche Lebenszeit, die pflegebedürftige Menschen in Einrichtungen der Altenhilfe verbringen, stabil geblieben. Das ist nicht mehr so: Seit 2019 sind die Verweildauern in der stationären Altenhilfe kontinuierlich gesunken, so das Ergebnis einer bundesweiten Erhebung des Deutschen Caritasverbandes.
"Die Situation in der Altenpflege hat sich radikal verändert und der Fokus der pflegepolitischen Debatten ist dem nur ungenügend gefolgt", stellt Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa fest.
"Bei meinen Besuchen in unseren Caritas-Einrichtungen höre ich von den Kolleginnen und Kollegen immer wieder, wie sehr sich die Arbeit gewandelt hat. Die Bürokratie hat zugenommen, die Zahl der dementiell Erkrankten in den Einrichtungen steigt, Personal ist knapp. Und die durchschnittliche Verweildauer sinkt", führt die Caritas-Präsidentin aus. Diesen Befund hat nun eine bundesweite Abfrage bei den Caritas-Trägern bestätigt. Beteiligt haben sich 282 stationäre Einrichtungen.
Kein Corona-Effekt
Die durchschnittliche Verweildauer der Bewohnerinnen und Bewohner ist demnach innerhalb von vier Jahren um drei Monate zurückgegangen, sie beträgt nun 25 Monate. Fast die Hälfte der befragten Caritas-Altenhilfeeinrichtungen gibt an, dass der Anteil der Pflegebedürftigen, die bereits im ersten Jahr in der Einrichtung versterben, bei über 30 Prozent liegt.
Deutlich weniger als die Hälfte der Einrichtungen meldet, dass mehr als ein Drittel der Bewohnerinnen und Bewohner drei Jahre und länger in der Einrichtung lebt. Über 40 Prozent der Bewohner_innen, die mehr als drei Jahre in der Einrichtung leben, sind dementiell erkrankt oder leiden an ähnlichen kognitiven Einschränkungen.
"Hinter der Nebelwand der Corona-Belastungen hat sich in den letzten Jahren die Situation der Altenpflege einschneidend verändert", so Welskop-Deffaa.
Dabei hat Corona selbst mit den Veränderungen offenkundig wenig zu tun. Nur ein verschwindend kleiner Teil der Antworten bestätigt, dass die mit Covid gewachsene Angst vor Ansteckung und Viren ursächlich für den späteren Umzug in die stationäre Einrichtung ist. Der Wunsch der alten Menschen, möglichst lange in den eigenen Wänden zu leben, wird hingegen als Grund für den späten Eintritt der Pflegebedürftigen in eine stationäre Einrichtung, am häufigsten genannt (255 Nennungen). Auch die Sorge vor hohen Eigenanteilen und dem Verzehr des Ersparten wird häufig bestätigt (218 Nennungen). Die Möglichkeit, durch ambulante Angebote zuhause zurecht zu kommen und die langen Wartelisten der Altenhilfeeinrichtungen in der Region sind weitere als einschlägig eingeschätzte Gründe.
Pflege-Turbo jetzt anwerfen
Die Personalknappheit wird dazu führen, dass Wartelisten in Altenhilfeeinrichtungen in Zukunft unvermeidlich sein werden. Und: Der Wunsch der alten Menschen, so lange wie möglich zuhause zu bleiben, muss respektiert werden. Aus Caritas-Sicht braucht es daher dringend eine Offensive für die ambulante und teilstationäre Altenhilfe.
"Wir können nicht warten, bis alle Babyboomer pflegebedürftig sind, bevor der Pflege-Turbo angeworfen wird. Der Anspruch einer 'Zeitenwende' darf nicht nur auf Militärausgaben bezogen werden. Es braucht eine Zeitenwende für eine sorgende Gesellschaft" so Welskop-Deffaa.
Für die Sicherung der ambulanten Pflegedienste, besonders auch im ländlichen Raum, muss jetzt ein Neustart erfolgen. Denn 55 Prozent der ambulanten Altenhilfeeinrichtungen haben laut Trendbarometer der Bank für Sozialwirtschaft zuletzt von einem Rückgang der Liquidität berichtet.
"Die Verschärfung der wirtschaftlichen Situation in der ambulanten Pflege bereitet uns große Sorgen. Die überall gestiegenen Personal- und Sachkosten werden keinesfalls überall und umfassend übernommen. Das gilt besonders für die medizinische Behandlungspflege", berichtet Welskop-Deffaa.
Faire Rahmenbedingungen für "24-Stunden-Pflege"
"Die prekäre Situation geht auf die Knochen der Mitarbeitenden in der ambulanten Pflege, aber auch auf die der pflegenden Angehörigen - mit steigenden Versorgungsrisiken für die Pflegebedürftigen," so die Caritas-Präsidentin. Ohne die "24-Stunden-Pflegekräfte", meist aus Ost- und Südost-Europa, die mehr oder weniger irregulär in den Haushalten der Pflegebedürftigen leben und sie zuhause betreuen, "wäre längst der Pflegenotstand ausgerufen".
Die Bundesregierung hatte für die "24-Stunden-Pflege" in Aussicht gestellt, für alle Seiten faire Rahmenbedingungen zu gestalten. Bislang habe sie das Thema in keiner Weise angepackt, moniert Welskop-Deffaa: "Stärkung der häuslichen Pflege sieht anders aus. Die Regierung lässt die migrantischen Haushaltshilfen in der Grauzone und die Familien pflegebedürftiger Angehöriger mit dem Thema allein."
Pflegekompetenzgesetz ist ein Schritt in die richtige Richtung
In einem Punkt ist bei der häuslichen Pflege Verbesserung in Sicht: Die kurz vor Weihnachten vom Bundesgesundheitsminister vorgestellten Eckpunkte für ein Pflegekompetenzgesetz sehen vor, dass Pflegefachkräfte mit neuen Berufsbildern mehr Spielräume bekommen - auch in der ambulanten Pflege. Dafür hatte sich der Caritasverband seit langem eingesetzt. Advanced Practice Nurses, die eigenständige Kompetenzen auch bei der Wundversorgung erhalten, können die häusliche Pflege verbessern. "Dies darf allerdings nicht nur zur Entlastung der Ärzt_innen führen. Die zukünftig von den Pflegediensten zusätzlich erbrachten Leistungen dürfen nicht zulasten des Zeitbudgets für elementare Hilfen gehen," fordert Eva Maria Welskop-Deffaa.
Quelle und Kontaktadresse:
Deutscher Caritasverband e.V. - Berliner Büro
Anja Stoiser, Stellv. Pressesprecherin
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