Pressemitteilung | PlasticsEurope Deutschland e.V. (VKE)

Kuratorium der Kunststoff-Industrie tagte in Hamburg / Kuratorium fordert Risiko-Management und vernetztes Denken

(Frankfurt am Main) - Das Kuratorium der Kunststoff-Industrie plädiert dafür, den Weg hin zu einem echten Risiko-Management einzuschlagen und sich im gleichen Zug von der Illusion einer risikolosen Gesellschaft frei zu machen. Die Vorsitzende des hochkarätig besetzten Gremiums, Klaudia Martini, erklärte jetzt bei einer „Zum Umgang mit dem Risiko“ betitelten Veranstaltung in Hamburg, die Gesellschaft müsse sich endlich von der Null-Risiko-Mentalität verabschieden. Stattdessen sei es geboten und nötig, zu einem echten Risiko-Management zu kommen. Dazu sei vernetztes Denken und Handeln nötig. Soziale, ökonomische und ökologische Komponenten müssten gleichermaßen in die Betrachtung mit einbezogen werden. Martinis Kuratoriumskollege Prof. Rolf Mülhaupt ergänzte, er sei überzeugt, dass Interdisziplinarität den Weg signifikant beschleunigen werde.

Mitglieder des Kuratoriums und zahlreiche hochrangige Gäste hatten sich zur öffentlichen Diskussion in Hamburg getroffen. Darüber hinaus waren insbesondere viele junge Erwachsene mit dabei.

In Hamburg referierten Prof. Dr. Robert Leicht, Prof. Dr. Rolf Mülhaupt, Prof. Dr. Paul Nolte und Dr. Manfred Spindler. Sie beleuchteten das Thema „Risiko“ aus historischer, politischer, wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Sicht. WDR-Moderator Michael Brocker führte durch die Veranstaltung, zu der der Hamburger Senator für Wirtschaft und Arbeit, Gunnar Uldall, ein Grußwort sprach. Uldall betonte, er freue sich sehr, dass eine so hochkarätige Veranstaltung in Hamburg durchgeführt werde. Man erwarte sich davon wichtige Impulse.

Professor Nolte – der Historiker lehrt an der Berliner Freien Universität und ist unter anderem auch Mitglied des Rates für Innovation der Bundeskanzlerin – erläuterte, die Geschichte von Gesellschaft und Risiko reiche weit zurück. Vor der Industrialisierung seien die Erwartungen der Menschen durch die Natur geprägt gewesen und hätten sich auf kurze Zeitabschnitte beschränkt. Erst die industrielle Revolution habe einen neuen, offenen und gestaltbaren Zeithorizont entdeckt, nämlich die Zukunft. Kunstdünger habe zu einer Ernährungsrevolution geführt, die Medizin das Leben verlängert. Freiheiten und Wählbarkeiten seien hinzugetreten, und damit sei auch der Moment für die Entstehung des Risikos gekommen gewesen. Risiko sei die andere Seite der Medaille der Gestaltbarkeit. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts habe man noch an ein „goldenes Zeitalter“ geglaubt: Freiheit, Sicherheit und maximale Berechenbarkeit seien bei gleichzeitig unbegrenzten Chancen und Möglichkeiten zu haben, dies sei der schöne Traum jener Zeit gewesen. Der Traum sei nunmehr ausgeträumt. Inzwischen sei das beherrschende Lebensgefühl eher vom festen Glauben bestimmt, dass die besten Jahre hinter uns lägen. Namentlich der 11. September 2001 sei eine Zäsur für unser Sicherheitsgefühl gewesen. Die Grenzen zwischen unsicheren und sicheren Ländern seien nun nicht mehr erkennbar. Das resultierende Bedürfnis nach Risikoausschaltung habe jedoch in vielen westlichen Gesellschaften inzwischen ein Stadium erreicht, das zur Innovationshemmung führe und neue Risiken heraufbeschwöre.

Prof. Dr. Robert Leicht beleuchtete das Thema Risiko aus politischer Sicht. „Ohne Bewusstsein von Risiko gäbe es überhaupt keine Politik, keinen Staat“, so Leicht. Staat treibe man von jeher, um der Risiken Herr zu werden. Entsprechend seien Verfassungen insgesamt umgedrehte Risikoanalysen, ja sie seien ein Hybrid aus Schadens-Minimierung und Nutzen-Maximierung. Optimisten und Pessimisten unterschieden sich Leicht zufolge in der Regel durch ihr Menschenbild, und abhängig von diesem wollen sie Schaden vermeiden oder Chancen optimal umsetzen. Unterscheide man heute nach Schadensminimierern und Nutzenmaximierern, also danach, ob eher Chancen oder die Gefahr des Scheiterns gesehen werde, so müsse man feststellen, dass sich die Deutschen inzwischen zu einem Volk entwickelt hätten, das den Schaden möglichst klein halten wolle. Nutzensicherung sei jedoch nicht ohne Risiko zu haben, umgekehrt sei das Minimieren von Risiken keineswegs per se nachhaltig.

Dr. Manfred Spindler, Mitglied der Geschäftsführung der Evonik Degussa GmbH und des Vorstands von PlasticsEurope Deutschland, sprach über das Risiko aus wirtschaftlicher Sicht und konzentrierte sich besonders auf die Chemie und deren Wahrnehmung in der Öffentlichkeit. Er erinnerte an Paracelsus und dessen bekannten Lehrsatz, dass die Dosis entscheidend dafür sei, welche Wirkung eine Substanz entfalte. Inzwischen aber die Analytik derart fortgeschritten, dass man kleinste Spuren eines Stoffes – bis hin zum einzelnen Molekül – nachweisen könne. Der Nachweis allein habe zwar noch keine Aussagekraft in Hinblick auf eine etwaige schädigende Wirkung, dies werde in der Öffentlichkeit aber leider oft missverstanden. Den Medien sei hieran durchaus eine Mitschuld zuzusprechen. Dr. Spindler machte am Beispiel von DDT und Atrazin deutlich, wie entscheidend es ist, Nutzen und möglichen Schaden sorgfältig gegeneinander abzuwägen. „Zero risk“, so Spindler, „ist allerdings nicht erreichbar.“ Die gesellschaftliche Toleranz für ein akzeptables Restrisiko jedoch habe essentielle Bedeutung. Es ist laut Dr. Spindler gemeinsame Aufgabe von Politik, Behörden und Industrie, akzeptable Rahmenbedingungen für die Arbeit der Industrie zu formulieren und zu implementieren.

Prof. Dr. Rolf Mülhaupt näherte sich dem Thema aus wissenschaftlicher Perspektive. Der Direktor des Instituts für Makromolekulare Chemie der Uni Freiburg führte aus, für die Wissenschaft sei der Mut zum Risiko seit Jahrhunderten zentraler Lehr- und Lerninhalt. „Nur wer etwas wagt kann wissenschaftliches Neuland gewinnen“ postulierte Mülhaupt. Indessen gelte es, Visionen auch gegen Widerstände durchzusetzen. Ein Beispiel dafür sei Prof. Staudinger, der mit seiner Theorie der Makromoleküle gegen eine Wand der Ignoranz gestoßen sei und zehn Jahre gebraucht habe, diese Abwehrhaltung zu durchbrechen – heute verdankten wir seiner Beharrlichkeit die Kunststoffe, so Mülhaupt. Auch er ist im übrigen der Meinung, dass es hundert Prozent Sicherheit nicht geben kann: „Wer völlige Sicherheit fordert, der erntet Stagnation, und das bedeutet schließlich Rückschritt“, so der Wissenschaftler, und weiter: „Wir müssen kontrollieren, nicht bremsen, wenn wir vorwärts wollen.“

In seinem Schlusswort betonte Hans-Theodor Kutsch, Mitglied des Vorstands von PlasticsEurope Deutschland und Vorsitzender der Geschäftsführung der Albis Plastic GmbH, wie wichtig die Debatte über Risiko und Risikominimierung auch für sein Unternehmen sei. Er ermunterte ausdrücklich dazu, den begonnenen Diskurs innerhalb des Kuratoriums, aber auch mit der Gesellschaft und in Richtung der Politik fortzusetzen.

Dem im Jahr 2000 gegründeten Kuratorium der Kunststoff-Industrie gehören Persönlichkeiten aus unterschiedlichsten Lebensbereichen an. Gründungsvorsitzender war der renommierte Kulturpolitiker Prof. Dr. Hilmar Hoffmann. Er schied Anfang 2007 nach sieben Jahren an der Spitze des Gremiums aus. Den Vorsitz übernahm Klaudia Martini. Die Rechtsanwältin in München war unter anderem rheinland-pfälzische Umweltministerin und Mitglied des Vorstandes der Opel AG. Stellvertretende Vorsitzende ist die Publizistin Verena Auffermann, auch sie wie Frau Martini eine Kuratorin der ersten Stunde.

Das Gremium arbeitet autonom. Ziel ist es, unabhängig und losgelöst von den jeweiligen Tagesereignissen Kunststoff-Industrie und Gesellschaft zu einem kritisch-konstruktiven Dialog zusammenzubringen. Die Grundsätze einer vorausschauenden Politik und der daran ausgerichteten Tätigkeit der Industrie stehen dabei im Zentrum der Überlegungen des Kuratoriums. Immer wieder tritt es mit Veranstaltungen an die Öffentlichkeit. Behandelt wurden bereits Themen wie etwa die Energiegewinnung der Zukunft, Fragen der Nachhaltigkeit, des Managements von Stoffströmen oder der Verbrauchersicherheit.

Auch in der Förderung der schönen Künste hat sich das Kuratorium Verdienste erworben. Der Kunstpreis des Kuratoriums ist mit 50.000 Euro hoch dotiert. Er wird im zweijährigen Turnus an einen Künstler und zugleich ein Museum oder Ausstellungshaus vergeben, das sich durch konsequente Arbeit im Bereich der Gegenwartskunst besonders profiliert hat. Mit dem Preisgeld werden Ausstellungsprojekte ermöglicht, die für den ausgewählten Künstler und den Ausstellungsort gleichermaßen von maßstabsetzender Bedeutung sind.

Das Kuratorium berichtet regelmäßig über seine Arbeit. Dazu gibt es die „Reflexionen“ heraus. Vier Bände sind bisher erschienen. Sie können beim Kuratorium in Frankfurt angefordert werden.

Quelle und Kontaktadresse:
PlasticsEurope Deutschland e.V. (VKE) Pressestelle Mainzer Landstr. 55, 60329 Frankfurt am Main Telefon: (069) 25561303, Telefax: (069) 251060

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