Künstliche Intelligenz kann Sozialwirtschaft revolutionieren
(Berlin) - Viele diakonische Unternehmen sehen sich durch die KI-Revolution herausgefordert: Auf einer Fachveranstaltung des Verbandes diakonischer Dienstgeber in Deutschland (VdDD) Anfang Dezember wurde auf den Handlungsbedarf aufmerksam gemacht.
Wie eine Umfrage unter den Teilnehmenden des Fachimpulses ergab, hat bereits jedes zweite diakonische Unternehmen Richtlinien zur Nutzung von KI-Anwendungen entwickelt oder arbeitet aktuell daran. Allerdings gibt es noch Informationsbedarf hinsichtlich des im Sommer von der EU verabschiedeten „Artificial Intelligence Act“ (AI Act): Gut zwei Drittel der Befragten fühlen sich darüber „kaum“ oder „nicht informiert“. Die EU-Verordnung reguliert den Einsatz von KI-Anwendungen und tritt in den kommenden Monaten stufenweise in Kraft.
Es braucht interne Regelungen
Der stellvertretende Geschäftsführer und Bereichsleiter Ökonomie des VdDD, Rolf Baumann, mahnt vor diesem Hintergrund: „Unternehmen müssen sich zeitnah einen Überblick verschaffen, welche KI-Anwendungen im Betrieb genutzt werden und diese den Risikoklassen zuordnen, um dann die entsprechenden Schritte einleiten zu können.“ Es brauche interne Regelungen, um beispielsweise Diskriminierungsfreiheit, Datenschutz oder Dokumentation zu gewährleisten.
Eine wachsende Zahl der VdDD-Mitgliedsunternehmen setze sich bereits intensiv mit dem Thema auseinander. Dazu dienten auch verschiedene Veranstaltungen, die der Verband anbietet. Als Beispiel für Unternehmen, die hier eine Vorreiterrolle einnehmen, nennt Baumann den Gesundheitskonzern Agaplesion.
KI mit Mehrwert für Patienten
Agaplesion verfolgt den Anspruch, an der Spitze der Innovationsbewegung in seiner Branche zu stehen. Im Sommer veranstaltete das diakonische Unternehmen erstmals einen KI-Innovationsgipfel, an dem sowohl externe Firmen als auch Mitarbeitende unterschiedlicher Arbeitsebenen teilnahmen. Sebastian Polag, Vorstand für Finanzen & IT, sieht erhebliche Möglichkeiten der Zeitersparnis bei Verwaltungsvorgängen aber auch im medizinischen Bereich. So habe man mit einem neuen KI-unterstützten MRT in Bad Pyrmont gute Erfahrungen gemacht und die Untersuchungszeit von 40-60 Minuten auf 6-8 Minuten verkürzen können. „Das ist ein echter Mehrwert für die Patienten und eröffnet uns die Möglichkeit, mehr Menschen in kürzerer Zeit zu untersuchen.“ Auch das seit 2022 gestartete Assistenzsystem für die Zentrale Notaufnahme (ZNAflow) habe sich bewährt. Mit dem Tool kann das erwartete Patientenaufkommen für die nächsten drei Stunden vorhergesagt und somit die Personalsteuerung verbessert werden. Perspektivisch sei auch die Kooperation mit Notfallambulanzen geplant.
Es braucht ethische Leitplanken
Das Christliche Jugenddorfwerk Deutschlands (CJD) – einer der größten überregionalen diakonischen Komplexträger – hat seit September dieses Jahres eine Stabsstelle KI eingerichtet, die sich eine pädagogische Fachkraft aus der Sozialarbeit und eine Person aus dem Qualitätsmanagement teilen. Ein erstes Ziel ist es, einen Handlungsrahmen zu entwickeln, welche Anwendungen denkbar sind und welche aus datenschutzrechtlichen oder ethischen Gründen auszuschließen sind. „Der gesamte KI-Bereich ist sehr komplex. Damit wir als Sozialunternehmen uns orientieren und einen guten Weg einschlagen können, haben wir die Stabsstelle KI eingerichtet“, erläutert Samuel Breisacher, zuständiger Vorstand für die Angebotsentwicklung das Ziel. In den Prozess sei auch der wissenschaftliche Beitrat eingebunden. „Wenn wir KI-Tools richtig einsetzen, werden unsere Mitarbeitenden endlich mehr Zeit für ihre Klientinnen und Klienten haben und weniger Zeit am Schreibtisch mit Dokumentationsaufgaben verbringen müssen.“ Positive Erfahrungen macht das Unternehmen bereits in der beruflichen Rehabilitation mit virtuellen und Mixed-Reality-Lerninhalten. Zudem habe die Optimierung einer Sprach-Assistenz dazu geführt, die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen zu verbessern.
Investitionsprogramm für Innovation wäre nötig
Die Finanzierung läuft über Spendenmittel oder spezielle Fördertöpfe. Allerdings: „KI von der Stange ist in unserer Branche nicht so einfach einsetzbar. Damit wir KI zielführend in der Sozialwirtschaft einsetzen können, muss sie zuerst entsprechend bei uns trainiert werden. Das ist teuer. Deshalb benötigen wir ein von der öffentlichen Hand finanziertes Investitionsbudget für Innovationen, um die KI für die Bedarfe in der Sozialwirtschaft gezielt zu entwickeln“, sagt Breisacher. Wünschenswert wäre ein Innvestitionsbudget in Innovation. Ähnlich äußert sich auch Agaplesion-Vorstandsmitglied Polag: „Vorgaben werden schnell geschaffen, aber bei der Refinanzierung spielen Digitalisierungsprojekte keine Rolle.“
Diakonische Unternehmen gehen in Vorleistung
Auch die Evangelische Heimstiftung Stuttgart – einer der größten Altenhilfekonzerne Deutschlands – testet intensiv verschiedene Anwendungen. Seit Ende 2023 unterstützt beispielsweise der soziale Roboter „Navel“ in zwei Pflegeheimen die Betreuungskräfte. Zudem suche man die Zusammenarbeit mit Start-Ups, um Innovationen nachhaltig voranzutreiben. Auch im Bereich der Pflegedokumentation und Dienstplanerstellung teste man derzeit Programme. Im Erfolgsfall sei es unter Umständen auch möglich, die Kosten über die Pflegesatzverhandlungen zu refinanzieren. Aber: „Bevor eine App refinanziert wird, muss sie sich in der Praxis zunächst bewähren. Wir gehen also in Vorleistung bei allen Innovationen“, berichtet Dr. Judith Schoch, Leiterin des Instituts für Pflege und Alter.
Apps erleichtern Kommunikation
Als einer der ersten Anbieter in Deutschland setzt die Diakonie Stiftung Salem in Minden bereits seit 2022 die Sprach-App voize ein. Mit der sprachgesteuerten Pflegedokumentation werde die Arbeit der Pflegekräfte erheblich entlastet: So spare jede Pflegekraft pro Schicht mindestens 18 Minuten an Dokumentationsaufwand ein, weil alle Informationen bereits im Bewohnendenzimmer eingesprochen werden können.
KI-Strategie nötig
Wichtig sei, für das jeweilige Unternehmen eine Strategie zu entwickeln, in welchen Bereichen sich durch KI Potenziale erschließen lassen, sagt Baumann. Dabei gebe es unterschiedliche Herangehensweisen: Als „First Mover“ gemeinsam mit Softwareunternehmen eigene Entwicklungen anzustoßen, als „Second Mover“ neue Tools gleich von Beginn an austesten wie beispielsweise die Diakonie Stiftung Salem mit voize oder als „Follower“ auf bereits bewährte Anwendungen zu setzen, die marktgängig sind bzw. von den Primärsoftwareherstellern sukzessive in den Regelumfang vorhandener Softwarepakete integriert werden.
Quelle und Kontaktadresse:
Verband diakonischer Dienstgeber in Deutschland e.V. (VdDD), Invalidenstr. 29, 10115 Berlin, Telefon: 030 8847170-0