Krankheiten, die uns Angst machen: BSE, CJK, nvCJK
(Stuttgart) BSE, CJK und nvCJK sind Krankheiten, die uns Angst machen. Die neuartigen Erreger dieser so genannten Prionenerkrankungen besitzen keine Erbsubstanz. Ihnen ist von Seiten der medizinischen Forschung mit den bisher bekannten Mitteln nicht beizukommen. Gesichert ist, dass Prionen die Krankheit verbreiten, indem sie anderen Eiweißmolekülen ihre Struktur aufzwingen. Auch die Übertragbarkeit der Rinderseuche BSE auf den Menschen gilt als gesichert. Die Kassenärztliche Vereinigung Nord-Württemberg hat am Mittwoch, 14.02.01, die niedergelassenen Ärzte in der Region zu einer wissenschaftlichen Tagung eingeladen, um über den derzeitigen Stand der wissenschaftlichen Erforschung dieser Krankheiten zu informieren und zu diskutieren. Nachfolgend fassen wir die wichtigsten Erkenntnisse, die wir derzeit über diese Krankheiten haben, zusammen.
Die Erforschung der Prionen steht seit der Verbreitung und der damit einher gehenden Angst vor der Rinderseuche BSE und der Creutzfeld-Jakob-Krankheit im Brennpunkt des Interesses.
Was macht diesen neuartigen Erregertyp aus?
Prionen bestehen im wesentlichen aus einem körpereigenen Protein, dem Prion-Protein. Dieses existiert in zwei verschiedenen Strukturen:
- Erstens in der so genannten zellulären, völlig ungefährlichen Form, die alle Lebewesen, also Mensch und Tier, besitzen.
- Zweitens in einer krankhaften Faltung, die, wenn sie in Kontakt mit der gesunden, zellulären Form der Prionen kommt, diese gesunden Prionen zum Umklappen in die infektiöse Form bewegt und so die kaskadenartige Vervielfachung der krankhaft gefalteten Prionen und die Ausbreitung der Infektion bewirkt.
Die krankhafte Form der Prionen unterschiedet sich fatalerweise von der zellulären Form aufgrund einer ganz außergewöhnlichen Resistenz der krankhaften Form gegen Hitze, Chemikalien, Verdauung und Strahlung. Sie ist zumindest verantwortlich für die unter dem Begriff spongiforme Enzephalopathien zusammengefassten Erkrankungen.
Spongiforme Enzephalopathien
Mit dem Begriff Transmissible spongiforme Enzephalopathie (TSE) wird eine Gruppe von Erkrankungen bezeichnet, die sowohl beim Menschen als auch bei Tieren auftritt. Diese Erkrankungen sind übertragbar und führen zu charakteristischen schwammartigen (spongiformen) Veränderungen des Gehirns. Die möglichen Übertragungswege werden zur Zeit intensiv untersucht und sind noch nicht für alle spongiformen Enzephalopathien abschließend geklärt. Scrapie, die so genannte Traberkrankheit" bei Schafen, war die erste spongiforme Enzephalopathie, deren Übertragbarkeit nachgewiesen werden konnte, wobei die Erstbeschreibung der Scrapie auf das Jahr 1738 zurück geht.
Im Vergleich mit anderen Infektionskrankheiten ist die Inkubationszeit bei den spongiformen Enzephalopathien unverhältnismäßig lang. Sie beträgt teilweise Jahre oder Jahrzehnte. Auffällig ist, das bei Tierversuchen und auch bei menschlichen Autopsien keine Abwehrreaktionen des Immunsystems gegen die Infektion erkennbar waren. Aus Tierversuchen ist bekannt, dass es nach Aufnahme von infektiösem Material (z.B. über das Futter oder über den Milchaustauscher) zu einer Anreicherung der pathologischen, krankmachenden Prionen im Körper kommen kann.
Das Infektionspotential der TSEs ist extrem hoch. In der Scrapie-Forschung ist bekannt, dass ein Gramm infektiöser Hirnsubstanz ausreicht, um 1000 Millionen gesunde Hamster zu infizieren, wenn das infektiöse Material direkt ins Gehirn injiziert wird. Das Infektionspotential BSE-kranker Gewebe ist noch nicht vollständig untersucht.
Auch eine spongiforme Enzephalopathie: Die Creutzfeld-Jakob-Krankheit (CJK)
Die Creuztfeld-Jakob-Krankheit ist eine seltene, weltweit verbreitete Erkrankung des Menschen. Zuerst wurde diese Krankheit von den Neurologen Creutzfeld und Jakob im Jahr 1920 beschrieben. Die erste Patientin, die nachweislich an CJK im Jahr 1913 verstorben ist, war eine 27jährige Metzgerstochter. Die Häufigkeit beträgt etwa einen Fall pro einer Million Einwohner und betrifft überwiegend alte Menschen. (Das Durchschnittsalter beträgt in Großbritannien 67 Jahre.)
Der erste BSE-Fall in Großbritannien
Mitte der achtziger Jahre traten in Großbritannien die ersten Fälle einer zunächst nicht bekannten Rinderkrankheit auf. Medizinisch wichtig war hierbei von Anfang an die mögliche Übereinstimmung zur schon lange bekannten Schafskrankheit Scrapie und zur menschlichen Creutzfeld-Jakob-Krankheit (CJK). Innerhalb eines Jahres wurde die neue Rinderkrankheit ebenfalls als spongiforme Enzephalopathie identifiziert und schrittweise mit all ihrer Gefährlichkeit - der jahrelangen Inkubationszeit von der Infektion bis zum Ausbruch und der außerordentlichen Widerstandsfähigkeit des Erregers erkannt. Die neue Bezeichnung der Rinderkrankheit lautete: Bovine spongiforme Enzephalopathie.
Die neue Variante der Creutzfeld-Jakob-Krankheit (nvCJK)
Im Jahr 1996 erkrankten in Großbritannien zehn Patienten an einer neuen Variante der Creutzfeld-Jakob-Krankheit (nvCJK). Das Alter dieser untypischen CJK-Patienten betrug zwölf bis 39 Jahre. Der Zeitraum vom ersten Auftreten der Krankheitssymptome bis zum Tod lag zwischen 7,5 und 22,5 Monaten. Neben dem deutlichen niedrigeren Alter zum Zeitpunkt des Auftretens der Erkrankung zeigen auch die klassischen Symptome dieser Patienten eklatante Unterschiede zur bisher bekannten, klassischen" Form der CJK. In den damals noch sehr kontrovers geführten Diskussionen wurde noch heftig über die Wahrscheinlichkeit gestritten, ob diese neue Variante der CJK vom Rind auf den Menschen übertragen wurde. Heute gilt die Übertragbarkeit von BSE auf den Menschen als gesichert.
Hypothesen zu BSE
- BSE wurde durch Scrapie-erkrankte Schafe verursacht, dies evtl. als Ergebnis geänderter Verfahren der Tiermehlherstellung (z.B. niedrigere Temperatur).
- BSE existierte bereits als seltene Erkrankung bei Rindern so wie CJK beim Menschen - und die Epidemie war Folge der Tiermehlverfütterungs-Gepflogenheiten.
- Möglicherweise fördern Umweltfaktoren (z.B. Insektizide) die Vermehrung krankhaft veränderter Eiweiße im Rückenmark und im Hirn.
- Insekten und Fliegen als Verursacher horizontaler" Übertragung (d.h. der Ansteckung innerhalb einer Gruppe bzw. Herde) von Prionen-Infektionen?
- Autoimmunerkrankung als Ursache BSE-bedingter Hirnschäden?
- Ist BSE ein Inzuchtproblem? Durch gezieltes Herauszüchten einer genetischen Disposition zu hoher Milchproduktion (als einer vom Menschen gewünschten Eigenschaft) wurde gleichzeitig und zufällig die genetische Disposition zur spongiformen Enzephalopathie herangezüchtet.
Verborgene Risiken
- Hirngewebe im Blut von Schlachttieren
Nach dem Schlachten von Rindern durch den üblichen Bolzenschuss kann bei fünf von 30 Rindern bereits 30 Sekunden nach dem Schuss Hirnmasse in der Blutbahn nachgewiesen werden. Da Hirngewebe beim BSE-infizierten Rind hochinfektiös ist, kann der Erreger theoretisch überall hingelangen, wo Blut hinkommt, demnach auch ins Muskelfleisch. Möglicherweise ist der BSE-Erreger also nur schwer ganz aus der Nahrung fernzuhalten und nur sehr schwer zu bestimmen, welche Nahrungsmittel infektiös sind, ab wann sie dies sind und wie sehr sie dies sind.
- Blut und Sekrete infektiös?
Möglicherweise ist die Bluttransfusion nicht - wie zunächst angenommen - unbedenklich. Nach einer Blutübertragung von BSE-infizierten, aber noch nicht erkrankten Schafen auf gesunde Schafe erkrankte eines davon an einer unzweifelhaften TSE.
- Risiko der Übertragung durch chirurgische Instrumente?
Es ist noch nicht abschließend geklärt, ob die normale Sterilisation chirurgirscher Instrumente ausreicht, um krankhafte Prionen abzutöten. Risiken können in den mehrfach verwendeten chirurgischen Instrumenten wie Endoskopen, zahnärztlichen Instrumenten, Entbindungszangen, chirurgischen Scheren, Pinzetten und anderen Instrumenten schlummern, wenn diese mit Prozeduren gereinigt werden, die zwar übliche Keime abtöten, aber nicht ausreichen, um die TSE-Keime abzutöten.
- Kosmetika und Medikamente
Welches Infektionsrisiko verbirgt sich hinter Kosmetika (Hautcremes und Lippenstiften) und Medikamenten (z.B. Hormonpräparate wie etwa Melatonin, das aus Rinderhypophysen gewonnen wird, oder Kollagen, das für kosmetische Operationen verwendet wird, oder Rindergelatine, die für Medikamentenkapseln verwendet wird)?
Hypothesen zu nvCJK
- Der BSE-Erreger überspringt die Artengrenze und ist gefährlich für den Menschen.
- Solange es keinen sicheren Erreger-Nachweis gibt, kann nicht behauptet werden, dass Muskelfleisch BSE-infizierter Rinder erregerfrei ist.
- Die Bedeutung von Blut, Fleisch, Milch, Dung und Sekreten für die Übertragung ist ungewiss.
- Der BSE-Erreger kann von der Kuh an ihr Kalb weitergegeben werden (vertikale" Übertragung). Von einer vertikalen" Übertragbarkeit von nvCJK kann möglicherweise auch beim Menschen ausgegangen werden: In Großbritannien weist das drei Monate alte Baby einer 24jährigen, an nvCJK erkrankten Patientin bereits Zeichen einer ähnlichen neurologischen Erkrankung auf.
- Es ist wenig oder gar nichts darüber bekannt, wie groß das Infektionsrisiko für den Menschen ist: wie groß die minimale infektiöse Dosis ist, was bei wiederholter Exposition passiert, was die Infektiosität steigern oder abzuschwächen vermag, wie sehr die individuelle Empfänglichkeit variieren kann, welche Kofaktoren hereinspielen mögen usw.
- Es besteht der Verdacht, dass nvCJK über Blutprodukte und Organspenden auch von Mensch zu Mensch übertragen werden kann.
Fazit
Zusammenfassend erläutert Dr. Michael P. Jaumann, Vorstandsmitglied der Kassenärztlichen Vereinigung Nord-Württemberg und Initiator einer Fortbildungsveranstaltung für niedergelassene Ärzte zum Thema BSE, CJK und nvCJK am Mittwoch, 14.02.01 bei der KV NW:
In Deutschland hat die Bevölkerung entgegen den britischen Erfahrungen der letzten zehn Jahre nur allzu gerne den Beteuerungen der Landwirtschaftsminister, Metzgerinnungen und den Politikern geglaubt, dass Deutschland frei von BSE sei. Jetzt wissen wir es schlagartig besser. Auch wir sind betroffen und müssen die bislang praktizierte industrielle Produktionsweise von Nahrungsmitteln in Frage stellen." Niemand habe sich diese Konsequenzen vorstellen wollen. Noch sei nicht sicher, ob tatsächlich das Tiermehl für die BSE-Epidemie verantwortlich sei, betont Dr. Jaumann, da auch andere Chemikalien oder Futtermittelzusätze Anlass für diese Erkrankung sein könnten. Oder war es am Anfang doch nur eine genetische Punktmutation bei einer einzelnen Kuh, welche zu der BSE-Epidemie führte?"
Diese neuen Krankheitsbilder müssen Anlass sein für einen Paradigmenwechsel sowohl in der Landwirtschaft als auch in der Medizin. Der Glaube an die technologische Machbarkeit und der Trend zu Massenkonsum statt Qualität müssen in Frage gestellt werden. Durch den hoffentlich heilsamen Schock BSE ergibt sich die Chance, die Ernährungs- und Lebensgepflogenheiten der Bevölkerung neu zu überdenken. Wir müssen sehr viel mehr bei der Vorsorge bzw. Prävention ansetzen. Dies bedeutet aber auch, durch mehr Eigenverantwortung der Menschen Krankheiten im Vorfeld zu verhindern", so Dr. Jaumann.
Quelle und Kontaktadresse:
Kassenärztliche Vereinigung Nord-Württemberg
Albstadtweg 11
70567 Stuttgart
Telefon: 0711/78750
Telefax: 0711/7875274
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