Kostenbeteiligung für freiwillig Ungeimpfte / Lipp: Verliert die Justiz ihre Unschuld?
(Berlin) - Der vom Präsidenten des Bundessozialgerichts, Rainer Schlegel, unterbreitete Vorschlag, freiwillig Ungeimpfte im Fall einer schweren Corona-Erkrankung an den Behandlungskosten zu beteiligen, schlägt hohe Wellen und sorgt für Unverständnis - auch im Landesverband Sachsen im Hartmannbund - Verband der Ärztinnen und Ärzte. In einem Statement stellen der Vorsitzende Dr. Thomas Lipp und der 1. Stellvertretende Vorsitzende Dr. Marco Johannes Hensel klar: "Wir sind absolute Impfbefürworter - doch dieser Vorschlag aus der Spitze des Bundessozialgerichts macht uns sprachlos. Dass unsere solidarische gesetzliche Krankenversicherung mit ihrer über 100-jährigen Geschichte keine risikoadaptierten Kostenbeteiligungen kennt, hat seinen Grund. Wenn wir dieses Fass einmal aufmachen würden, stellt sich die Frage, wer dann als nächstes dran käme? Werden auch Raucher bei Beinamputationen zur Kasse gebeten, oder Saft schlürfende Diabetiker ihren Infarkt anteilig bezahlen? Was machen wir mit den Adipösen und Ihren desolaten Knien? Dieser Vorschlag ist, einmal zu Ende gedacht, sowohl juristisch als auch ethisch höchst problematisch und ein Türöffner dafür, dass der Staat Moralkriterien für den Erhalt auch anderer Sozialversicherungsleistungen entwickelt."
Dieser befremdlich anmutende Vorschlag lasse im Grunde nur zwei Schlussfolgerungen zu: entweder sei Herr Schlegel sich über die Tragweite seines Vorschlags schlicht selbst nicht im Klaren, was zumindest starke Zweifel wecke, ob er über die für sein Amt notwendigen Grundkenntnisse über die Sozialsysteme verfüge. Oder er äußere seinen Vorschlag, der letztendlich auf eine schleichende Entsolidarisierung hinausliefe und unser Sozialsystem inklusive der Rentenversicherung komplett in Frage stellen würde, durchaus bewusst. Dann wäre er jedoch dem Amt als Präsident des Bundessozialgerichts schlicht nicht gewachsen, heißt es weiter.
Zudem wirke der Vorschlag angesichts stetig zurückgehender Hospitalisierungsraten und der Öffnungs- und Lockerungsschritte in nahezu allen Ländern wie aus der Zeit gefallen. "Der Vorschlag von Herrn Schlegel erweckt den Eindruck, als ob es ihm darum ginge, "auf Teufel komm raus" neue Sanktionsmöglichkeiten für die Gruppe der freiwillig Ungeimpften zu ersinnen, um den Impfdruck zu erhöhen. Doch diese wie Stammtischgerede anmutende Idee geht am Kern vorbei: wer heute immer noch nicht geimpft ist, hat - abgesehen von medizinischen Gründen - meist eine bewusste Entscheidung gegen die Spritze getroffen. Daran würde auch eine Beteiligung an Behandlungskosten wenig ändern. Darüber hinaus ist die Aussage von Herrn Schlegel sicher nicht geeignet, zum Abbau der bestehenden massiven gesellschaftlichen Spaltungstendenzen beizutragen. Bei vielen Ungeimpften herrscht bereits jetzt das Gefühl vor, moderne Parias zu sein. Da gießen diese Fantastereien über Sanktionsmöglichkeiten nur unnötig Öl ins Feuer", findet Hensel.
Schlimmer als der das solidarische System in Frage stellende Duktus sei jedoch die Tatsache, dass diese Aussagen Zweifel an der Unabhängigkeit eines Bundesrichters und damit der Justiz insgesamt induzierten. "Dieses Statement von Herrn Schlegel scheint so, als wolle sich ein Bundesrichter hier zum Gesinnungsgehilfen einer zuletzt oft überforderten Exekutive machen", stellt Lipp abschließend klar.
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