Konjunktur: Auf zwei Rädern durch die Krise
(Berlin) - Die Krise macht auch vor der Motorradbranche nicht halt. So musste BMW im ersten Quartal 2009 in dieser Sparte einen Absatzrückgang von über 18 Prozent verbuchen. Doch das Unternehmen will gestärkt aus der Krise hervorgehen - und setzt auf neue Modelle, technische Innovationen und Investitionen in zweistelliger Millionenhöhe.
Berlin. Reihenvierzylinder-Motor im Aluminium-Rahmen, Bananenschwinge, Upside-down-Gabel, viel Leichtbau, schlanke Erscheinung: Mit der Präsentation der neuen S 1000 RR am 9. Mai in Monza setzt BMW die Motorradfachwelt in mehrfacher Hinsicht in Erstaunen. So zeigen die Bayern, dass ihr Motorrad-Kosmos nicht bei starken, aber schweren Sporttourern aufhört. Mit dem Modell bringt der Konzern die Serienausführung einer echten Rennmaschine der Superbike-Klasse auf den Markt. Nach langen Jahren der Abstinenz ist man damit in diesem Frühjahr wieder ins internationale Motorradrenngeschäft eingestiegen. Um jedoch den Anforderungen des Superbike-WM-Reglements zu entsprechen, müssen in diesem Jahr mindestens 1.000 Straßenversionen der S 1000 RR produziert werden. Eine echte Herausforderung für das BMW Motorradwerk in Berlin-Spandau, aber auch ein "wichtiger Schritt für die Zukunft, und das vor allem in Zeiten der Krise", wie Werksleiter Hermann Bohrer betont.
Vor der Auslieferung muss jede Maschine auf dem Rollenprüfstand ein umfangreiches Test-programm durchlaufenNeue Modelle bedeuten auch neue Investitionen. In den vergangenen Jahren hat der Konzern jeweils 25 bis 30 Millionen Euro in den Berliner Standort investiert, und BMW wird auch in diesem Jahr wieder einen zweistelligen Millionenbetrag in Modernisierung und Ausbau des Spandauer Werkes stecken, trotz Krise. "Man kann an Vielem sparen, aber nicht an der eigenen Zukunft", sagt Bohrer. Was Investitionen in die Produktion bewirken können, bewies eine Maßnahme im vergangenen Jahr. Für rund drei Millionen Euro optimierte BMW die Struktur der Montage. Mit erstaunlichem Ergebnis: Die so genannte Direktläuferquote - das sind Maschinen, die die gesamte Fertigung ohne Beanstandung durchlaufen - wurde um zehn Prozent gesteigert.
Von solchen Optimierungen profitiert nun die Einführung des neuen Modells in die Produktion. Seit einigen Wochen werden die Maschinen, die im Herbst in den Verkauf kommen, zunächst in geringen Stückzahlen in die Montagebänder eingegliedert.
Für die Fertigung der neuen Reihenmotoren wurde ein völlig neues Montageband aufgebaut. Um den Motor vor den Blicken der Besucher zu schützen und um den Rest der Produktion nicht zu stören, wurde ein größerer Bereich in der Montagehalle durch eine Leichtbauwand abgetrennt. In diesem, von den Beschäftigten scherzhaft "Gripskiste" genannten Areal übte ein kleiner Kreis von Mitarbeitern die Montage der neuen Motoren und deren Integration in die Produktion.
Bei Behördenmaschinen rüstet BMW nicht nur Serienmaschinen um, sondern produziert vielmehr spezielle ModelleUnd es gab noch weitere Herausforderungen an die Produktion. So zeichnet sich der neue Supersportler neben seinem Gesamtkonzept auch durch wichtige innovative Details aus. Für ein Serienmotorrad außergewöhnlich ist beispielsweise der Tank aus Aluminium, der rund 40 Prozent weniger wiegt als die üblichen Stahltanks. In diesem auf den ersten Blick unscheinbar wirkenden 17 Liter fassenden Behältnis steckt eine Menge Ingenieurskunst und Fertigungs-Know-how. Der Tank besteht nur aus drei Teilen. Allein die komplizierten Strukturen dieser Teile aus Aluminiumblechen zu pressen - oder tiefzuziehen, wie es im Fachjargon heißt - stellte die Ingenieure vor besondere Herausforderungen, da Aluminium wesentlich spröder ist als Stahl. Alle Zulieferer, die damit beauftragt wurden, scheiterten daran. Letztlich gelang es den Ingenieuren im BMW- Werk Eisenach, eine den Anforderungen entsprechend geschmeidige Aluminium-Legierung zu finden und die dazu passende Formungstechnik zu entwickeln.
Doch in der Fertigung des Kraftstoffbehälters steckt noch mehr Innovation. Erstmalig wird in der Serienfertigung von Benzintanks das neue CMT-Schweiß-verfahren angewendet. CMT steht für Cold Metal Transfer. Nun ist "kalt" beim Schweißen natürlich relativ, aber die Bezeichnung trifft im Vergleich zu herkömmlichen Schweißverfahren durchaus zu. So wird bei CMT der Schweißdraht nur so lange von einem Lichtbogen erhitzt, bis er schmilzt und auf dem Trägerblech einen Punkt setzt. Danach wird die Brennphase unterbrochen und der Schweißdraht zieht sich ähnlich wie bei einer Nähmaschinennadel zurück, um dann für den nächsten Punkt wieder vorzustoßen und erhitzt zu werden: heiß, kalt, heiß, kalt… - alles in rasender Geschwindigkeit. Für Diplom-Ingenieur Herbert Gurski ein faszinierendes Verfahren: "Selbst bei dünnsten Blechen gibt es keinen Durchbrand mehr. Vor allem werden lästige Metallspritzer vermieden, die ansonsten durch aufwendige Nacharbeit entfernt werden müssten." Geschweißt wird übrigens von einem elfachsigen Roboter.
Am laufenden Band: Motorräder in der EndmontageBMW setzt hier Standards, die dem Berliner Motorradwerk langfristig zugute kommen dürften. Mit mehr als 100.000 gebauten Maschinen (in 2008) und mit 16 Modellvarianten, davon allein fünf neue in diesem Jahr, hat das Unternehmen seine Marktposition verfestigt und ist in Deutschland mit einem Anteil von über 19 Prozent Marktführer bei Motorrädern mit über 500 ccm Hubraum. Rund 80 Prozent der Produktion gehen in den Export, vor allem nach Italien, Spanien und die USA.
Doch nicht nur Privatleute interessieren sich für BMW-Motorräder. Rund 6.000 Maschinen werden jährlich von Sicherheitsbehörden und Rettungsdiensten aus 150 Ländern geordert. So kamen erst vor kurzem Bestellungen aus den USA über 670 und aus Spanien über 500 Maschinen. Motorräder aus Berlin stehen bei Behörden weltweit hoch im Kurs, da BMW der einzige Hersteller ist, der diese Versionen speziell entwickelt und aufbaut - andere Anbieter rüsten dagegen Standardmodelle lediglich um.
Der Klassiker: Boxermotoren von BMW sind nach wie vor ein MarkenzeichenBis zu 580 Motorräder können in Spandau pro Tag gefertigt werden. Diese Quote wird im Moment jedoch nicht erreicht, denn die Krise hat auch die Motorradsparte erwischt. So ging der Absatz im ersten Quartal dieses Jahres um rund 18 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum zurück. Der Optimismus ist gebremst, da das Motorradgeschäft ein saisonales ist und die Verkaufszahlen im Frühjahr stets höher sind als in der zweiten Jahreshälfte.
Die Produktionsrückgänge haben die rund 2.000 Mitarbeitern bisher durch flexible Arbeitszeitkonten und Kurzarbeit aufgefangen. Zum Beispiel wurde die Produktion in der Osterwoche für vier Tage unterbrochen. Das Unternehmen nutzte die Zeit für Umbauten in der Motorradmontage, um damit die Produktionsabläufe weiter zu optimieren. "Wir müssen besonders in diesen schwierigen Zeiten an unsere Zukunft denken und unsere Wettbewerbsfähigkeit sichern. Deshalb arbeiten wir auch kontinuierlich an der Verbesserung unserer Strukturen und Arbeitsprozesse", so Bohrer. Die Verantwortlichen im Spandauer Motorradwerk sind überzeugt, "dass wir gestärkt aus der Wirtschaftskrise herauskommen werden".
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