"Können wir uns Gesundheit noch leisten?" / BKK Innovationspreis fördert akademischen Nachwuchs für zukunftsweisende Arbeiten
(Frankfurt am Main) - Wenn noch immer aufgeregt und emotional über die Finanzierbarkeit und die Zukunft der Gesetzlichen Krankenversicherung diskutiert wird, gibt es hierfür gute Gründe: Zum einen ist die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen hoch und nimmt bei steigendem Altersdurchschnitt der Gesellschaft vorhersagbar sogar weiter zu. Zum anderen wird die Versorgung immer teurer, während die Einnahmen aus Beitragszahlungen stagnieren oder sogar rückläufig sind. Gleichwohl gilt das deutsche Gesundheitssystem noch immer als eines der besten der Welt. Doch wie verlässlich und zukunftsfähig ist "Health made in Germany". Der BKK Landesverband Hessen rief Hoch- und Fachhochschüler bundesweit auf, über die Frage zu grübeln: "Können wir uns Gesundheit noch leisten?" Am Dienstag (23. Februar 2010) wurden in Frankfurt die Siegerarbeiten und deren Autoren vorgestellt. Vertreter der Landesregierung und der Hochschulen lobten die studentischen Antworten und Analysen.
Insgesamt 5.000 Euro Preisgeld gab es für folgende Arbeiten:
1. Preis: Prävention trotzt dem Gesundheitsfonds
Anna Maria Schröder (Fachhochschule Oldenburg/Ostfriesland/Wilhelmshaven) thematisierte die Interessen des Gesundheits- und Personalmanagements und erklärt den Aufwand für medizinische Prävention als sinnvolle Investition. Gestützt auf anonymisierte Daten der Daimler Betriebskrankenkasse (BKK) ging die Fachhochschülerin der Frage nach: "Prävention - Auslaufmodell oder Erfolgsgarant in Zeiten des Gesundheitsfonds?"
Auslöser der akademischen Neugier war die Einführung des Morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs (Morbi-RSA). Die Studentin vertiefte ihre Recherchen zum kassenartenübergreifenden Finanztransfer zwecks Vorbereitung der Betriebskrankenkasse auf den inzwischen eingeführten Gesundheitsfonds. Sie untersuchte am Beispiel der Volkskrankheit Bluthochdruck (Hypertonie): "Wie wirkt sich das komplizierte Hin und Her vieler Milliarden Euro auf einzelne Gesetzliche Krankenkassen und deren Versicherte aus?"
Und siehe da: Die von der heutigen Sozialwirtin (FH) als Diplomthema präsentierten Erkenntnisse widerlegen die These, wonach das Interesse der Kostenträger an der Gesundheitsvorsorge verloren geht, sobald die Morbidität eines Versicherten für die zuständige Kasse lukrativ ist oder wird. Schröders Daten belegen vielmehr das Gegenteil. Und sie appelliert folgerichtig: Es darf nicht an der falschen Stelle gespart werden. Die Bewertung der Patientendaten belege messbar positive Effekte der medizinischen Prävention. Und was den Patienten nutzt, rechnet sich auch für die Kostenträger. Die Teilnahme an Präventionskursen könne durchaus höhere Zuweisungen aus dem Morbi-RSA begründen. Zweitens senke die Gesundheitsvorsorge bspw. die Arzneimittelausgaben. Und drittens belegt die Evaluation, dass gezielte Aufklärung die Motivation der Patienten, deren Compliance und deren Empowerment verbessert. Somit ist für Schröder klar: Prävention lohnt sich auch in Zeiten des Gesundheitsfonds. Hierzu zählen auch die von der BKK seit jeher ehrgeizig durchgeführten Maßnahmen auf betrieblicher Ebene. Solche Settings tragen entscheidend zur Sensibilisierung von Risikogruppen und Betroffenen bei. Schröders Plädoyer pro Prävention ist schlüssig und überzeugend. Hierfür vergab die Jury den ersten Preis.
2. Preis: Flexibilität statt Niederlassung
Sabine Troppens (Technische Universität Berlin) empfiehlt, Versorgung auf regionale Bedürfnisse und Erfordernisse abzustimmen. Hierbei seien regional variierende Vergütungsstrategien nicht nur legitim, sondern sogar erforderlich. Das zumindest ist eine zentrale These der Diplomarbeit "Angebot und Nachfrage in der ärztlichen Versorgung aus theoretischer und empirischer Sicht am Beispiel des Landes Brandenburg".
Die Studentin des Fachgebiets Finanzwissenschaft und Gesundheitsökonomie thematisiert die Attraktivität ärztlicher Berufstätigkeit speziell in ländlichen Regionen. Sie will wissen: "Welche Arbeitsformen und Arbeitszeitmodelle sind attraktiv und lukrativ für nachkommende Generationen der Mediziner?" Und Troppens Contra zur Prognose bevorstehenden "Ärztemangels in Ostdeutschland" ist promotionsvorbereitend formuliert. Die Wirtschaftsingenieurin stellt klar: "Die vorliegende Arbeit analysiert für das Bundesland Brandenburg zunächst empirisch anhand nachfrage- und angebotsseitiger Indikatoren, ob die ambulante Versorgung regional einen Mangel an bestimmten Arztgruppen aufweist." Zweitens soll vor gesundheitsökonomischem und wettbewerbsföderalistischem Hintergrund bewertet werden, ob die Allokation finanzieller Mittel ausreicht und zu rechtfertigen ist, um einem Ärztemangel in Brandenburg strukturell und quantitativ vorzubeugen. Drittens werden neue Versorgungs- und damit verbundene Vergütungsformen insbesondere infolge der Öffnung des stationären Sektors unter Aspekten der Kosteneffizienz und der regionalen Gesundheitswirtschaft als Chance begriffen und zur Weiterentwicklung empfohlen.
Herausgekommen ist ein Plädoyer für Medizinische Versorgungszentren samt Appell zur Modernisierung des ärztlichen Selbstverständnisses. Der Nachwuchswissenschaftlerin ist nicht zu widersprechen: Landesplaner haben Einfluss auf die Entwicklung der Regionen. Und die Kommunen müssen sich dem Wettbewerb um Anbieter medizinischer Versorgung stellen. Ergo bleibt die Empfehlung: "Durch schnelle Integration der Telemedizin und einer Mobilen Praxis in die Regelversorgung, aber auch durch eine gezielte Frauenförderung und international ausgerichtete Weiterbildungen sollte das Land Brandenburg verstärkt als Innovations-, Investitions- und Nachwuchsförderer auftreten. Damit gelingt ein Beitrag zur Etablierung der Marke "Health Capital Berlin-Brandenburg".
3. Preis: Fehlt für die Innovation derzeit das Geld?
Auch Kerstin Bockhorst (Hochschule Fulda) lässt die Finanzschwäche der GKV offenbar nicht kalt. Aber sie hat sich spezialisiert und einer besonderen Fragestellung zugewandt. Sie wollte wissen: "Wie geht es weiter mit der telemedizinischen Versorgung bei chronischen Herz-Kreislauf Erkrankungen, wenn bzw. nachdem deren Anschubfinanzierung aus den Ressourcen der integrierten Versorgung entfällt?"
Mit ihrer Abschlussarbeit zum Master of Public Health (Fachbereich Pflege und Gesundheit) hat sie sich der TSB Technologiestiftung in Berlin empfohlen. Hier ist sie mittlerweile als Projektmanagerin tätig und vertritt nun sogar beruflich die These, dass mit Hilfe spezieller Telemedizin-Programme z.B. das Therapiemanagement bei Herzinsuffizienz verbessert werden kann. Als konkreten Vorteil telemedizinisch unterstützter Behandlungen benennt sie: Die Patienten werden besser betreut. Und: Teure Krankenhauseinweisungen bspw. waren rückläufig während die Versorgungsketten messbar effektiver wurden. Alles in allem also: Die Ergebnisse der Masterarbeit belegen "durchgehend positive medizinische und ökonomische Effekte!"
Doch dem Lob folgt die Ernüchterung. Denn: "Durch den Wegfall der Anschubfinanzierung sind kaum Auswirkungen auf laufende Programme zu erwarten." Das ist so, weil unter den Bedingungen des Gesundheitsfonds "deutlich weniger Spielraum für Risikoinvestitionen" verbleibt. Da Risikoinvestition in diesem Falle gleichbedeutend ist mit "Finanzierbarkeit von Innovation", ergibt sich hieraus das Dilemma: Für Fortschritt und Modernisierungen fehlt derzeit offenbar das Geld. Eine These also, deren Bezug zu aktuellen Diskussionen unbestreitbar ist.
Zwar sei die Bereitschaft, telemedizinische Leistungen zu finanzieren, noch immer erkennbar. Aber: Solange kein geeignetes Evaluationssystem zur Bewertung der Effektivität und Effizienz neuer Telemedizin-Technologien zur Verfügung steht und solange die Ärzteschaft wenig Begeisterung für die Integration der Telemedizin in die Praxisabläufe verspürt, komme eine teletechnologische Modernisierung der Versorgung nicht voran. Insofern, so Bockhorst, lohne sich Überzeugungsarbeit bei Allgemeinmedizinern und Fachärzten. Nur gemeinsam könnten Mediziner und Krankenversicherungen die Potenziale der Telemedizin zur Entfaltung bringen.
Thema des BKK Innovationspreises 2010: "Männergesundheit - Frauengesundheit"
Mit der Ausschreibung für das Sommersemester 2010 forscht die BKK quasi nach Infrastrukturen und Konditionen von Gesundheit. Der Vorstandsvorsitzende des BKK Landesverband Hessen, Jürgen Thiesen, setzt große Hoffnungen auf die Hoch- und Fachhochschüler: "Wahrscheinlich werden die studentischen Arbeiten anspornen, geschlechtsspezifische Gesundheitsziele in Angriff zu nehmen. Hierzu müssen soziodemographische Daten und Phänomenen bewertet werden. Wir wollen geschlechtsspezifische Lebensführungen unter die Lupe nehmen und herausarbeiten, welche gesundheitlichen Vor- oder auch Nachteile sich hieraus für Mädchen, Jungen, Frauen oder Männer ergeben. Es geht also um Chancen oder Risiken, die sich aus typischen Lebensläufen von Frauen oder Männern sowie natürlich aus biologischer Determination für die Gesundheit der Geschlechter ergeben. Und: Wir wollen Strategien entwickeln, Vorsorgemaßnahmen, Behandlungen und Therapien möglichst geschlechtssensibel, altersgerecht, milieuspezifisch sowie auch kulturoptimal zu gestalten. Hierbei sollen uns die Überlegungen des Akademischen Nachwuchses helfen."
Informationen sowie Teilnahmebedingungen online: www.bkk-hessen.de/Innovationspreis. Ansprechpartnerin: Brigitte Luise Feucht, Telefon: (069) 96379-432, E-Mail: brigitte.feucht@bkk-hessen.de.
Quelle und Kontaktadresse:
BKK Betriebskrankenkassen Landesverband Hessen KdöR
Stefan Eckerlein, Pressereferent, Presse
Stresemannallee 20, 60596 Frankfurt am Main
Telefon: (069) 963790, Telefax: (069) 96379100
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