Klarheit schaffen bei Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft und Resilienz der Wasserversorgung im Klimawandel
(Berlin/Bonn) - Um die Energie- und Wasserversorgung in Deutschland auch dauerhaft sicher, klimaneutral und vor dem Hintergrund sich verändernder klimatischer Bedingungen zu gewährleisten, sind enorme Anstrengungen zu unternehmen. Das Transformationstempo mit dem Ziel, den Wasserstoffhochlauf zu beschleunigen, muss aufrechterhalten, wenn nicht sogar erhöht werden. Ebenso sind weitere regulatorische Maßnahmen notwendig. Diese müssen hinausgehen über die bereits erfolgten politischen Beschlüsse, etwa zum Wasserstoffbeschleunigungsgesetz, zur Importstrategie und dem Wasserstoffkernnetz. In den nächsten Monaten bis zur Bundestagswahl braucht es gesetzliche Voraussetzungen, die vor allem mit Blick auf die Verteilnetze die Option eröffnen, dass Wasserstoff in der gesamten Fläche des Landes, insbesondere in den Regionen, perspektivisch verfügbar sein wird.
Auch bei der Wasserversorgung richtet sich der Fokus auf die Infrastruktur. Systeme und Anlagen der Versorger sind für die mit dem Klimawandel und den Klimaschutzzielen verbundenen Herausforderungen zu ertüchtigen. Hinzu kommt angesichts der allgemeinen Weltlage der Schutz vor physischen und Cyberangriffen, der weiterhin nicht vernachlässigt werden darf und die Notwendigkeit einer umfassenden Resilienz in das Licht der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt hat.
Auf der morgen beginnenden Leitveranstaltung der deutschen Energie- und Wasserwirtschaft stehen diese Themen im Mittelpunkt der Diskussion. Der DVGW Kongress - ehemals gat | wat - findet vom 17. bis 18. September in Berlin statt.
Infrastrukturelle Voraussetzung für industrielle Prozesswärme in den Regionen
Während das Kernnetz als sogenannter Backbone (Rückgrat) in seiner Hauptleitungsfunktion den Transport von Wasserstoff zukünftig über lange Strecken im gesamten Bundesgebiet sicherstellen soll, versorgen die Gasverteilnetze heute einen Großteil der Endverbraucher mit Energie. Dazu zählen nicht nur Wärmekunden, sondern insbesondere Kraftwerke, Industrie, Mittelstand und Gewerbe. Verteilnetze sind somit unverzichtbar zur Aufrechterhaltung industrieller Prozesse und damit der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands. Gasverteilnetze - in ihrer zukünftigen Funktion als Transportleitungen für Wasserstoff - werden daher eine zentrale Rolle für das Gelingen der klimaneutralen Energiewende in Deutschland spielen. Ein großer Teil des deutschen Gasbedarfs wird für industrielle Prozesswärme benötigt. In der jüngsten Vergangenheit lag dieser Bedarf bei rund 204 Terawattstunde (TWh) pro Jahr. Das entspricht etwa 28 Prozent des gesamten Gasverbrauchs unseres Landes. "Etliche Unternehmen und viele kleinere Standorte des verarbeitenden Gewerbes sind in den Regionen ansässig und beziehen ihre Energie aus dem Gasverteilnetz. Auch in Zukunft wird an vielen Standorten der Industrie gasbasierte Prozesswärme benötigt werden. Ein Anschluss an das Wasserstoffnetz ist für eine klimaneutrale Produktion daher essenziell", so Prof. Dr. Gerald Linke, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfaches e.V. (DVGW).
Nach einer aktuellen Studie des DVGW zur regionalen Verteilung der Industriestandorte in Deutschland und deren Abstand zum geplanten H2-Kernnetz liegen etwa 90 Prozent der Industriestandorte nicht am H2-Kernnetz bzw. sind zu weit davon entfernt. Der Gasbedarf dieser Standorte für Prozesswärme entspricht 160 TWh. Das heißt: Dreiviertel des heutigen Gasbedarfs für Prozesswärme wird durch das Kernnetz nicht versorgt werden können. Bei den Kraftwerken sieht die Situation ähnlich aus: Aufgrund der Vielzahl an Wasserstoffnutzern in der Fläche wird ein H2-Verteilnetz zur Versorgung der Standorte dringend benötigt.
Kosten für die Transformation der Gasverteilnetze
Berechnungen des DVGW haben ergeben, dass 42 Milliarden Euro für die Instandhaltung des Gasnetzes bis 2045 veranschlagt werden müssen, hinzukommen 5 Milliarden Euro, um entlang der regulären Wartungszyklen Komponenten auszutauschen bzw. zusätzlich einzubauen (z.B. Verdichter), um diese H2-ready zu machen.
Gesetzeslage und regulatorische Forderungen
Für die Weiterentwicklung des H2-Kernnetzes ist die Umsetzung der Rechtsakte des EU-Gasbinnenmarktpakets in nationales Recht unabdingbar. Das novellierte EU-Gasbinnenmarktpaket sieht vor, die Nutzung erneuerbarer und CO₂-armer Gase, insbesondere Wasserstoff und Biomethan, im Energiesystem zu erleichtern. Dabei kommt den Betreibern von zukünftigen Wasserstoffnetzen eine besondere Rolle zu. Als prioritär erachtet der DVGW neben der Umsetzung der Ausnahmemöglichkeiten der Entflechtungsvorschriften für Verteilnetzbetreiber (VNB) und Fernleitungsnetzbetreiber (FNB) die integrierte regionale Netzplanung. Hierzu besteht verbände- und netzebenenübergreifender Konsens vor dem Hintergrund der Entlastung und Ressourcenschonung für alle beteiligten Akteure. Als gute Plattform für eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen FNB und VNB hat sich in diesem Kontext die Koordinierungsstelle Netzentwicklungsplanung Gas/H2 (KO.NEP) als Entstehungsort der regionalen Transformationsplanung in Deutschland entwickelt. "Unternehmen, die bereits in den Regionen ansässig sind oder sich dort ansiedeln möchten, benötigen zwingend Rechts- und Investitionssicherheit, um ihre Vorhaben umzusetzen. Dass der DVGW, zusammen mit anderen relevanten Verbänden, frühzeitig durch das BMWK in den regelmäßigen Austausch eingebunden ist, begrüßen wir. Nun muss zügig - und wie von der Bundesregierung vorgesehen, noch in dieser Legislaturperiode - die EU-Gesetzgebung im EnWG in nationales Recht überführt werden", fordert DVGW-Chef Linke.
Trendabschätzung zum zukünftigen Wasserbedarf für Deutschland
Im Rahmen seines "Zukunftsprogramm Wasser" und unter Nutzung von Daten des Statistischen Bundesamtes hat der DVGW die Entwicklung der Wassergewinnung aus natürlichen Ressourcen in Deutschland untersucht und den zukünftigen Wasserbedarf für verschiedene Sektoren abgeschätzt. Mit den Ergebnissen der DVGW-Studie zum zukünftigen Wasserdargebot aus dem Jahr 2022 lässt sich nun ableiten, ob in Deutschland auch zukünftig eine nachhaltige Nutzung der natürlichen Wasserressourcen grundsätzlich möglich erscheint und dann durch Anpassungen der Infrastruktur die einzelnen Regionen mit ausreichend Wasser versorgt werden können.
"Insgesamt ist eine Übernutzung des erneuerbaren Wasserdargebotes für Deutschland auch zukünftig nicht absehbar. Der Wassernutzungsindex für Deutschland dürfte sich in den kommenden Jahrzehnten zwischen acht und neun Prozent einpendeln, so dass man von einer nachhaltigen Nutzung der natürlichen Süßwasserressourcen ausgehen kann", resümiert Wolf Merkel, Vorstand des DVGW.
Über alle Sektoren betrachtet und unter der Annahme des ungünstigen Klimaszenarios RCP 8.5 ergibt sich für Deutschland im Durchschnitt ein Rückgang des Wasserbedarfes von derzeit rd. 20,6 auf 14,8 Milliarden Kubikmeter pro Jahr bis zum Ende des Jahrhunderts. Deutschlandweit wird für die nichtöffentliche Wasserversorgung der abnehmende Trend in der Wassergewinnung bis zur Mitte des Jahrhunderts weiter voranschreiten und dann bis zum Ende des Jahrhunderts wieder leicht ansteigen. Für die öffentliche Wasserversorgung zeichnet sich bis zum Ende des Jahrhunderts dagegen eine leichte Zunahme ab.
Der Sektor "Haushalte und Kleingewerbe" wird als stabil mit einer sehr leichten Zunahme bis Ende des Jahrhunderts eingeschätzt. Im Sektor "Industrie und Gewerbe" ergibt sich deutschlandweit bis zur Mitte des Jahrhunderts eine weitere Reduktion in der Wassergewinnung aus natürlichen Wasserressourcen, die aber im Trend geringer ausfällt als in dem Zeitraum von 1991 bis 2019. Im Sektor "Energieversorgung" wird eine deutliche Abnahme beim Wasserbedarf erwartet. Dies ist im Wesentlichen durch den Switch von konventionellen Energieträgern hin zu erneuerbaren Energieträgern, inklusive Wasserstoff, bedingt. Im Sektor "Landwirtschaft” zeichnet sich bis zum Ende des Jahrhunderts eine sehr deutliche Steigerung des Bedarfes ab. Diese ist allein durch die Zunahme der landwirtschaftlichen Bewässerung begründet.
In allen Sektoren wird es zukünftig - wie bislang auch - große regionale Unterschiede beim Wasserbedarf geben. Dabei kann es in den Ballungsräumen mit wachsender Bevölkerung oder durch mögliche neue Industrie- bzw. Gewerbeansiedlungen eine deutliche Zunahme des Wasserbedarfs geben. In Gebieten mit abnehmender Bevölkerung oder durch Schließung von größeren Industrie- bzw. Gewerbeansiedlungen kann es dagegen zu einem starken Rückgang des Wasserbedarfes kommen. "Die Regionen sind gefordert, ihre Wasserinfrastruktur fortlaufend anzupassen, um möglichen Engpässen vorzubeugen", betont Wolf Merkel.
Der DVGW bietet Wasserversorgungsunternehmen, die eine Agenda für die Anpassung ihrer Infrastrukturen für ihr Versorgungsgebiet aufsetzen wollen, eine methodische Unterstützung in Form eines Roadmap-Leitfadens an. Er fasst die Erfahrungen aus vier zuvor durchgeführten regionalen Case Studies zusammen und gibt Handlungsempfehlungen.
Trinkwasserqualität und Versorgungssicherheit: Umsetzung des Risikomanagements
Eine dauerhaft sichere Versorgung mit Trinkwasser bester Qualität: Dafür sollen die systematische Analyse, Bewertung und ggf. Beherrschung von Risiken für das Trinkwasser entlang der gesamten Prozesskette der Wasserversorgung sorgen. Die novellierte Trinkwasserverordnung und die neue Trinkwassereinzugsgebieteverordnung verpflichten Wasserversorgungsunternehmen und zuständige Behörden erstmals zu einem Risikomanagement von den Einzugsgebieten bis hin zum Wasserhahn in der Trinkwasserinstallation. Mögliche Gefährdungen für die Roh- und Trinkwasserqualität müssen identifiziert werden, um verbundene Risiken bewerten und Maßnahmen zur Risikobeherrschung festlegen und durchführen zu können. Der DVGW unterstützt die Wasserversorgungsunternehmen unter anderem mit Arbeits- und Umsetzungshilfen für die in ihrer Verantwortung liegenden Aufgaben. Das neue DVGW-Merkblatt W 1004 definiert den methodischen Rahmen für eine Risikobewertung von Trinkwassereinzugsgebieten. Ein weiteres Merkblatt W 1005 wird das Risikomanagement der Wasserversorger im Rahmen der Trinkwasserverordnung unterstützen. DVGW-Forschungsarbeiten entwickeln neue Verfahren zur Entfernung von PFAS, ermöglichen den Einsatz alternativer Aufbereitungsstoffe und Online-Analyseverfahren. Diese Erkenntnisse finden Eingang in die nationale und europäische Normung und stellen so Innovationen für die Wasserversorgung in Deutschland und Europa dar.
Weitere Informationen:
Programm DVGW Kongress https://www.dvgw-kongress.de/2024/programm/kongressprogramm
H2-Gasverteilnetze https://www.h2vorort.de/
Das Risikomanagement für das Roh- und Trinkwasser ist Thema auf dem DVGW Kongress am Dienstag, 17.09.2024 um 16.30 Uhr. Leitfaden "Handbuch zur Erstellung einer Wasseragenda” unter https://www.roadmap-zukunft-wasser.de/case-studies
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