Kinder- und Jugendärzte e. V. ziehen Bilanz 2003: Suchtprävention auf dem Rückzug / Politik schützt Suchtmittelindustrie
(Köln) - "2003 wird als schwarzes Jahr in die Geschichte der Suchtprävention eingehen. Vor allem der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Suchtmitteln hat sich eklatant verschlechtert. Fehlendes Engagement und Desinteresse von Gesundheitsministerin, Drogenbeauftragten und Familienministerin haben u. a. dazu beigetragen, dass Alcopops zur Modedroge des Sommers aufsteigen konnten und dass es Zigaretten nun auch in der taschengeldkompatiblen Zehnerpackung gibt." Mit diesen Worten zog der Drogenbeauftragte des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte e. V. Wolf-Rüdiger Horn eine bittere Jahresbilanz und forderte gleichzeitig energischere Maßnahmen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor legalen Drogen.
"Ein gutes Drittel unserer jugendlichen Patienten raucht bereits. Ebenso viele haben schon Alkohol konsumiert. Diese Zahlen decken sich mit denen der WHO (WHO-Jugendgesundheitssurvey: Raucherquote bei 15jährigen Jungen : 32,2 Prozent, bei 15jährigen Mädchen: 33,7 Prozent. Alkoholkonsumentenquote: 25 Prozent bei Mädchen, 37 Prozent bei Jungen).
In Klinik und Praxis sehen wir die Folgen dieser Entwicklung: zunehmend akute Alkoholintoxikationen (z. B. Verdreifachung in einer südbadischen Klinik bei unter 17jährigen zwischen 1999 und 2002), häufigere Unfälle, mehr Körperverletzung, mehr sexuelle Gewalt und ungeschützter Sex, mehr Krankschreibungen am "blauen Montag". Langfristig ist mit körperlichen, mentalen und psychosozialen Entwicklungsstörungen zu rechnen.
Die Bundesregierung hat im ablaufenden Jahr nicht verhindert, dass Kinder und Jugendliche ungebremst und preisgünstig an Alkohol und Tabak kommen können:
- Erstmals nach 50 Jahren brachte die Tabakindutrie wieder eine Packung mit 10 Zigaretten auf den Markt. Obwohl dies Obwohl dies im gerade verabschiedeten internationalen Abkommen zur Tabakkontrolle geächtet wird.
- Während in anderen europäischen Ländern die bei Jugendlichen außerordentlich geschätzten Alcopops, d.h. süße, aromatisierte und hochprozentige Mischgetränke mit hohen Steuern verteuert werden, bleiben sie hierzulande billig und jederzeit verfügbar.
- Trotz zugesagter "Selbsteinschränkungen" darf die Industrie Tabak und Alkohol weiterhin imageorientiert vermarkten.
Als Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte fordern wir daher:
1. Erhöhung der Steuer auf Alcopops (in Anlehnung an die erfolgreiche Erhöhung in Frankreich und die soeben in der Schweiz beschlossene Verteuerung der 0,3l-Flasche um ca. 1 Euro) sowie weitere deutliche Anhebungen der Tabaksteuer
2. Abführung von mindestens 10 Prozent der erzielten Steuermehreinnahmen für suchtpräventive Maßnahmen
3. Verbote der Werbung für Alkohol (anfangs insbesondere der Imagewerbung) und der Werbung für Tabakprodukte, dazu gehört auch eine Rücknahme der Klage gegen das EU-Tabakwerbeverbot)
4. Abbau zumindest aller frei zugänglichen Zigarettenautomaten (wie in Kanada)
5. Warnhinweise auf Flaschen mit alkoholischen Getränken (insbesondere Alcopops) wie bei Zigaretten
6. Unterzeichnung und Ratifizierung des WHO-Rahmenabkommens zur Tabakkontrolle (daraus folgen u. a. das darin vorgesehene Verbot von Kleinpackungen für Zigaretten sowie ein konsequenter Nichtraucherschutz)
7. Strikte Vermeidung der Beeinflussung gesundheitspolitischer Maßnahmen durch Tabak- und Alkoholindustrie (das schließt die Kündigung des umstrittenen Abkommens der Bundesregierung mit der Tabakindustrie vom März 2002 ein)."
Quelle und Kontaktadresse:
Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte e.V. (BVKJ)
Mielenforster Str. 2, 51069 Köln
Telefon: 0221/689090, Telefax: 0221/683204
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