Pressemitteilung | Kassenärztliche Bundesvereinigung KdÖR (KBV)

Kassenchef will Ärztezahl beschränken

(Köln) - „Wir haben zu viele Ärzte.“ Mit diesem Argument versuchen immer wieder Krankenkassenfunktionäre und Regierungspolitiker, auf angebliche Rationierungsreserven im Gesundheitswesen aufmerksam zu machen. Aber praktizieren in Deutschland wirklich zu viele Doktoren? Volle Wartezimmer, gestiegene Behandlungszahlen und der internationale Vergleich sprechen dagegen.

Die Silvesterknaller waren verpufft, die bisherige Gesundheitsministerin Andrea Fischer hatte ihren Rücktritt noch nicht angekündigt, da sorgte der Vorstandschef des Verbands der Angestellten-Krankenkassen (VdAK) Herbert Rebscher für Schlagzeilen. In der Tageszeitung Die Welt forderte er: „Die unaufhaltsam steigende Zahl der Ärzte muss gestoppt werden.“ Mit dieser Ansicht ist der VdAK-Chef nicht allein. Auch SPD- und Grünen-Politiker äußern sie immer wieder. Die Idee dahinter: Senkt man die Zahl der Ärzte, so sinken die Gesundheitsausgaben, die gesetzliche Krankenversicherung würde entlastet.

Ganz in diesem Sinne argumentierte auch Rebscher: In den vergangenen 20 Jahren habe sich die Zahl der Niedergelassenen in den alten Bundesländern verdoppelt, die der Patienten aber nur um 5,7 Prozent erhöht. Nun hätte aber jeder Arzt nicht etwa weniger Kranke zu versorgen, die Behandlungsfälle pro Doktor seien eher noch gestiegen – von 4522 auf 4700 siebzehn Jahre später. Also, so folgerte Rebscher, bestellten die Ärzte die Patienten häufiger ein.

Diese Äußerung wollten die Kassenärzte nicht unkommentiert stehen lassen. In einer Pressemitteilung vom selben Tage konterte Dr. Manfred Richter-Reichhelm, Erster Vorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV): „Wir fangen unsere Patienten doch nicht mit dem Lasso ein! Die Patienten haben einen Bedarf an medizinischer Versorgung und mit dem wenden sie sich offen-sichtlich vermehrt an niedergelassene Ärzte.“ Er erklärte, Ursache für die gestiegenen Behandlungszahlen sei, dass immer mehr Leistungen ambulant erbracht würden, die früher nur im Krankenhaus erbringbar wären. Außerdem habe die Einführung der Krankenversichertenkarte Ende 1993 den Patienten die Möglichkeit eröffnet, wegen ein und desselben Problems gleich eine Reihe von Spezialisten aufzusuchen.

Die Zahl der berufstätigen Ärzte ist in den vergangenen Jahren in der Tat gestiegen. Betrug sie zum Stichtag 31.12.1960 in Gesamt-Deutschland noch 92 028, so wuchs sie zum 31.12. 1980 auf 173 346. Am 31.12.1998 gab es 287 032 berufstätige Ärzte. Beigetragen zu diesem Wachstum haben nicht nur ein gestiegener Versorgungsbedarf der Patienten, sondern auch die verhältnismäßig späte Einführung der so genannten Bedarfsplanung 1986. Sie sollte gewährleisten, dass sich weniger Ärzte zulassen können. Bis 1992 beschränkte sie sich allerdings auf Niederlassungsberatungen. Erst ab 1993 galt auf Initiative des damaligen Gesundheitsministers Horst Seehofer die Unterscheidung zwischen offenen und geschlossenen Planungsbereichen. In offenen durften sich noch Ärzte einer bestimmten Fachrichtung niederlassen, in geschlossenen nicht mehr. Der Bedarf der Bevölkerung wurde dabei nicht wirklich ermittelt, sondern lediglich die Anzahl der Ärzte der einzelnen Fachrichtungen in einer Region zum 31.12.1990. Die damaligen Zahlen wurden als Grundlage für die Facharztzahl pro Planungsbereich genommen. Will sich heute ein Arzt in einer bestimmten Region niederlassen, so prüft erst ein Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen, ob der entsprechende Planungsbereich überhaupt noch offen ist.

Obwohl die Arztzahlen in den vergangenen Jahrzehnten stark gestiegen sind, kann die deutsche Bevölkerung im europäischen Vergleich keinesfalls als über-versorgt gelten. Ist in der Bundesrepublik ein Doktor für 290 Menschen zuständig, so betreut der österreichische Kollege 280, der belgische 263, der griechische 255 und der spanische gar nur 240 Bürger. Allerdings ist in einigen Ländern die Relation auch ungünstiger. In Frankreich versorgt ein Arzt 340 Menschen, in Großbritannien sogar 637.

Dass es in Deutschland nicht zu viele Mediziner gibt, belegt auch die Tatsache, dass die Wartezimmer der Ärztezimmer meist voll sind. Eine Befragung der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin förderte zutage, dass je nach Fachrichtung der Doktoren 16 bis 39 Prozent der Patienten eine Stunde oder mehr Däumchen drehen oder in Zeitschriften blättern müssen, bevor ihr Name aufgerufen wird. Rechnerisch hat ein Kassenarzt in Deutschland sieben Minuten pro Patient Zeit. Verringerte der Gesetzgeber die Zahl, so müssten die übrig gebliebenen Ärzte in noch schneller Diagnosen stellen und Therapiepläne aufstellen.

Auch der Blick in den stationären Sektor zeigt, dass sich Rebschers Rede von den zu hohen Arztzahlen nur schwerlich aufrecht erhalten lässt. Die deutschen Krankenhausärzte leisten jährlich rund 51 Millionen Überstunden. Das entspricht etwa 33 000 Vollzeitstellen. Nach dem Bundesangestelltentarif bezahlte Doktoren hätten kaum einen Grund, erheblich mehr Zeit im Krankenhaus zu verbringen, wenn es nicht wirklich nötig wäre. Finanzielle Vorteile haben sie von ihrer Mehrarbeit jedenfalls selten: Zwei Drittel der Überstunden werden weder durch Geld noch durch Freizeit abgegolten. Aus all diesen Tatsachen lässt sich schließen: Zu viele Ärzte hat Deutschland ganz gewiss nicht.

Quelle und Kontaktadresse:
Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) Herbert-Lewin-Str. 3 50931 Köln Telefon: 0221/40050 Telefax: 0221/408039

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