Journalisten müssen von der Grenze zu Belarus berichten können
(Berlin) - Angesichts der dramatischen Situation von Flüchtenden in der Grenzregion zwischen Polen und Belarus fordert Reporter ohne Grenzen (RSF) die polnischen Behörden auf, Medien den Zutritt in die Sperrzone zu ermöglichen. Seit dem 2. September gilt ein Ausnahmezustand, der es Journalistinnen und Reportern verbietet, einen etwa drei Kilometer breiten und 418 Kilometer langen Gürtel zu betreten. RSF fordert, diesen Ausnahmezustand für die Pressefreiheit unverzüglich zu beenden.
"Die polnische Regierung möchte verhindern, dass Bilder von möglichen illegalen Pushbacks an die Öffentlichkeit gelangen", sagte RSF-Vorstandssprecher Michael Rediske. "Die Nachrichten aus der Sperrzone kommen entweder von offiziellen Stellen oder von Quellen aus den Sozialen Medien. Um diese Informationen unabhängig zu überprüfen, müssen Journalistinnen und Journalisten ungehindert berichten können."
Seit der Ausrufung des Notstands an der Grenze haben die polnischen Behörden vereinzelt Medienschaffende festgenommen. Am 28. September wurde ein dreiköpfiges Team um die Arte-Journalistin Ulrike Däßler festgesetzt. Sie waren mit ihrem Auto offenkundig versehentlich in das Sperrgebiet gefahren und kehrten nach dem Hinweis eines polnischen Grenzschützers direkt um, wurden dann jedoch von der Polizei aufgehalten. Die Beamten beschlagnahmten ihre Ausrüstung, sie wurden verhört, bekamen Handschellen angelegt und mussten die Nacht in Einzelhaft verbringen. Kurz zuvor war bereits Agnieszka Kaszuba, Reporterin für die polnische Tageszeitung Fakt, festgehalten worden. Die Behörden warfen ihr zunächst vor, die Arbeit des Grenzschutzes behindert zu haben, ließen sie anschließend jedoch mit einem Strafzettel davonkommen.
Vorgehen gegen Sender TVN macht Sorgen
Neben dem Ausnahmezustand an der Grenze ist RSF vor allem wegen des Vorgehens der PiS-geführten Regierung gegen den unabhängigen Nachrichtensender TVN besorgt. Sein Programm Fakty ist die meistgesehene Nachrichtensendung in Polen. Weil TVN zum US-amerikanischen Discovery-Konzern gehört, wollte die Regierung diesen zwingen, 51 Prozent seiner Anteile zu verkaufen. Um den Druck aufrecht zu erhalten, hat die polnische Regulierungsbehörde KRRiT die Lizenz des Spartensenders TVN24 erst nach 19 Monaten Wartezeit erteilt - nur wenige Tage vor Ablauf der Frist. Die Bedrohung für TVN ist noch nicht vorbei.
Die sogenannte "Lex TVN", das Vorgehen der Regierung gegen TVN, ist Teil der langfristig angelegten Strategie der "Repolonisierung" der Medien. Da wichtige regierungskritische Medien ganz oder teilweise in ausländischem Besitz sind, sollen über die Besitzverhältnisse Änderungen in deren redaktioneller Linie erreicht werden. Das jüngste Beispiel zeigt, dass dieses Ziel auch über Umwege erreicht werden soll: Ende 2020 kaufte der polnischen Staatskonzern PKN Orlen von der Verlagsgruppe Passau mit Polska Press ein Paket aus Regionalzeitungen und Onlineplattformen mit einer Reichweite von mehr als 17 Millionen Leserinnen und Lesern. Die Regierung hat nun Zugriff auf 20 von 24 in Polen erscheinende Regionalzeitungen, etwa 120 regionale Wochenzeitschriften und 500 Online-Portale. Mit der Kioskkette Ruch besitzt PKN Orlen bereits eine eigene Vertriebsstruktur für Zeitungen. Im Mai wurden vier Chefredakteure von Polska-Press-Zeitungen entlassen.
SLAPP-Klagen und Gewalt gegen Medienschaffende
Immer wieder ist auch Polens zweitgrößte, als regierungskritische Zeitung Gazeta Wyborcza Ziel von Angriffen und Kampagnen. Seit 2015 wurde die Zeitung in über 50 Fällen verklagt, darunter auch von PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski, der PiS-Partei und anderen staatlichen Stellen. Ziel solcher Klagen ist es, die Arbeit der betroffenen Redaktion zu lähmen, zu diffamieren und ihre finanziellen Ressourcen zu schmälern.
Im Juli 2021 kam ein Rechtsstaatlichkeitsbericht der EU zu dem Schluss, dass sich das Klima für Journalistinnen und Journalisten in Polen seit 2020 verschlechtert habe. Gerichtsprozesse sollten Medienschaffende einschüchtern, zugleich würden diese immer weniger geschützt und seien auf Demonstrationen zunehmend Gewalt ausgesetzt, auch seitens der Polizei.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Polen auf Platz 64 von 180 Staaten.
Quelle und Kontaktadresse:
Reporter ohne Grenzen e.V. (RSF)
Jennifer Braunschweig, Pressereferentin
Friedrichstr. 231, 10969 Berlin
Telefon: (030) 609 895 33 - 0, Fax: (030) 202 15 10 - 29