Internationaler bvse-Altpapiertag 2025: Zwischen globalen Märkten, Innovationen und politischen Weichenstellungen
(Bonn) - Mehr als 530 Altpapierexpertinnen und -experten aus Deutschland, Europa und der Welt trafen sich am 1. April 2025 in Bonn zum 27. Internationalen Altpapiertag. Unter der souveränen Moderation des WDR-Journalisten Michael Brocker wurde ein facettenreicher Blick auf die Herausforderungen und Perspektiven der Branche geworfen – von globalen Märkten über alternative Antriebe bis hin zur neuen Europäischen Verpackungsverordnung.
„Der Wind dreht schnell“
Gleich zu Beginn machte Mike Hayes, Vorsitzender des Fachverbandes Papierrecycling, die komplexe Lage auf dem Markt deutlich: „Die Altpapierunternehmen stehen inmitten dieser großen Preissprünge und müssen versuchen, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Weil der Wind sich schnell und ohne Vorwarnung dreht.“ Chancen und Risiken lägen eng beieinander – ein ständiger Tanz auf dünnem Eis. Trotzdem bleibt Altpapier ein Eckpfeiler der Kreislaufwirtschaft. Deutschland erreichte 2024 eine Altpapiereinsatzquote von 83 Prozent – ein internationaler Spitzenwert. Hayes: „Altpapier ist in Europa die Blaupause für den Begriff der nachhaltigen Kreislaufwirtschaft.“
Auch bvse-Präsident Henry Forster war begeistert vom diesjährigen Altpapiertag, der alle Erwartungen übertroffen habe. In seinem Grußwort appellierte er an Politik und Wirtschaft, das Thema Kreislaufwirtschaft grundlegend neu zu denken: „Wir denken Kreislaufwirtschaft noch viel zu kurz. Wir denken Kreislaufwirtschaft immer erst, wenn der Abfall schon entstanden ist. Wir sind weit weg von jeglicher Produktverantwortung.“
Wirtschaft im Wandel: Wo steht Deutschland?
In seiner Keynote analysierte Prof. Dr. Gabriel Felbermayr (Direktor des WIFO) die wirtschaftliche Lage Deutschlands: Während Europa in Teilen wächst, steckt die deutsche Wirtschaft in der Stagnation. Der Grund: „Deutschland investiert nicht.“ Schwacher Export, niedrige Investitionen und eine energieintensive Industrie in der Krise seien ein Risiko für die Wettbewerbsfähigkeit. Doch Felbermayr sieht auch Chancen: Mit Innovation, gezielter Wirtschaftspolitik und mehr Investitionen könne 2025 zum Wendepunkt werden.
Er nannte vier zentrale Handlungsfelder für die neue Bundesregierung:
1. CO₂-Preise: Kurs halten – aber Grenzausgleich überdenken
2. Energie: Strompreise durch bessere Markt-Governance und Netzausbau senken
3. Infrastruktur: Mautfinanzierte Straßen und EU-weite Supernetze planen
4. Handelspolitik: Handelsbarrieren abbauen – insbesondere bei Sekundärrohstoffen
Märkte in Bewegung: Ein globaler Blick
Im Fokus des Altpapiertages standen auch die Entwicklungen auf den globalen Märkten – mit besonderem Blick auf Südostasien, Nordamerika und Europa. Gerade in Asien bewegt sich einiges: Indien sticht hervor und importierte allein im Jahr 2024 rund sechs Millionen Tonnen Altpapier – ein Spitzenwert. Dennoch ist das Gesamtimportvolumen in Asien rückläufig. Die Gründe? Schwaches Wirtschaftswachstum, neue Regularien und Zölle. „Diese Entwicklungen bremsen den Markt“, erklärte Hannah Zhao.
Auch in Nordamerika ist die Lage angespannt. Rückläufige Sammelmengen und Exportbeschränkungen machen der Branche zu schaffen. Kelly McNamara, Director bei Numera Analytics, betonte die Abhängigkeit vom Exportgeschäft: „Wenn wir gebrauchte Pappe/Karton (OCC) nicht exportieren würden, hätten wir einen großen Überschuss in Nordamerika, denn 25-30 Prozent der gesammelten Menge wird exportiert.“
Ein klares Plädoyer für offene Märkte kam auch von Hans van de Nes von der ERPA-European Recovered Paper Association. Er forderte: „Marktbarrieren müssen abgebaut werden und wir brauchen ein EU-weites 'End of Waste' für Altpapier.“
Logistik im Wandel: Zwischen E-Lkw und Fahrermangel
Neben dem Marktgeschehen drehte sich vieles auch um die Zukunft der Logistik – insbesondere um alternative Antriebstechniken für Lkw. Gas, Wasserstoff und vor allem Strom standen im Mittelpunkt. Benjamin Schiebler von der Volvo Group Trucks Central Europe GmbH gab spannende Einblicke: „Es geht wahnsinnig viel, aber noch nicht alles!“ Besonders innerstädtisch sei der Einsatz von E-Lkw kein Problem mehr. Und auch außerstädtisch zeigt sich Potenzial – die Grenzen setzen häufig nicht die Batterien, sondern die vorgeschriebenen Lenk- und Ruhezeiten der Fahrer. „Und dann? Kann geladen werden“, betonte Schiebler.
Philipp Müller vom Fraunhofer IML räumte ein: „Es ist noch viel im Fluss.“ Viele Unternehmen seien noch skeptisch, da viele Fragen noch offen sind. Doch Müller betont: „Wer sich intensiv mit dem Thema beschäftigt, kann bereits heute sehr gute Lösungen finden.“ Der Schlüssel liegt in der Planung: Nicht jede Technologie passt für jedes Unternehmen. Aber: Wer sich jetzt vorbereitet, hat morgen die Nase vorn! Ein Punkt wurde dabei ebenfalls deutlich: Bevor man sich für einen E-Lkw entscheidet, muss man genau wissen, was man braucht – erst dann ergibt sich die passende Konfiguration. Der Weg ist jedoch noch weit und es gibt eine Menge Hindernisse. Kein Wunder also, dass über zwei Drittel der Altpapiertagteilnehmer in einer Umfrage den Diesel-Lkw weiterhin als wichtigste Option für die Branche sehen.
Zudem drückt ein weiteres Problem: der Fahrermangel. Gerd Bretschneider von der Fuhrgewerbeinnung Berlin-Brandenburg betonte, dass hier keine Entspannung der Situation zu erwarten ist. Der Fahrermangel ist schon heute eine große Herausforderung – und er wird noch größer! Der Grund? Die demografische Entwicklung. Immer mehr Fahrer gehen in Rente, doch zu wenige junge Menschen folgen nach. Die Branche braucht deshalb neue Lösungen – von besseren Arbeitsbedingungen über moderne Ausbildungskonzepte bis hin zu digitalen und autonomen Technologien.
EU-Verpackungsverordnung: Noch viele Fragezeichen
Für das Umweltbundesamt stellt die Europäische Verpackungsverordnung (PPWR) insgesamt einen wichtigen Fortschritt dar, wie Matthias Fabian betonte. Doch trotz der positiven Grundhaltung bleibt vieles unklar – insbesondere mit Blick auf die konkrete Umsetzung der neuen Regelungen. „Die Beteiligten wissen nicht, auf was sie sich einstellen müssen“, so die Einschätzung.
Gunda Rachut von der Zentralen Stelle Verpackungsregister unterstrich die Herausforderungen, die mit der aktuellen Unsicherheit einhergehen: „Wir sind leider ganz am Anfang. Das macht das Leben nicht unbedingt einfacher.“ Sie warnte zudem vor einem uneinheitlichen Vorgehen innerhalb der EU: „Es kann nicht sein, dass wir in Europa 27 unterschiedliche Ideen davon haben, was in der Verordnung steht. Wir sind uns alle einig, dass wir einen starken europäischen Markt brauchen – eine Fragmentierung ist das Letzte, was wir jetzt haben müssen.“
Eine konkrete Neuerung betrifft Deutschland direkt: Gewerbe- und Industrieverpackungen werden künftig grundsätzlich systembeteiligungspflichtig. Das wirft Fragen für die Entsorgungswirtschaft auf. Christian Hündgen, Geschäftsführer der Hündgen Entsorgungs GmbH & Co. KG, sieht mit Blick auf das Marktgeschehen mögliche Risiken: „Wir haben ein Interesse daran, an der Wertschöpfung zu partizipieren. Für uns ist es wichtig, dass wir nach wie vor die Vermarktungshoheit über das Material haben.“
Auch Dr. Fritz Flanderka von der Reclay Holding GmbH mahnt zur Vorsicht und fordert eine praktikable Umsetzung der neuen EU-Verordnung: Er verwies auf eine Studie, die nach Einführung der Systembeteiligungspflicht lediglich eine Steigerung der Recyclingquoten von zehn Prozent prognostiziert. Umso wichtiger sei es, einen realistischen Weg einzuschlagen: „Es geht daher jetzt darum, einen vernünftigen Weg zu suchen, der die bestehenden Strukturen der Entsorgungswirtschaft relativ unberührt lässt. Das heißt also: Der Entsorger muss auch weiterhin seinen Vertrag mit der Anfallstelle schließen und das Material übernehmen können, für die Verwertung zuständig sein und es in eigener Zuständigkeit dem Markt zuführen.“
Der Internationale Altpapiertag 2025 machte deutlich: Transformation ist das Stichwort, denn die Branche steht vor großen Veränderungen – ob beim Blick auf globale Märkte, beim Thema Logistik oder durch neue rechtliche Rahmenbedingungen. Und eines ist sicher: Die Diskussionen gehen weiter – auf dem 28. Internationalen Altpapiertag am 14. April 2026.
Quelle und Kontaktadresse:
(bvse) Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung e.V., Jörg Lacher, Leiter(in) Politik und Kommunikation, Fränkische Str. 2, 53229 Bonn, Telefon: 0228 988490