Inklusive Theatergruppe "Nachtsicht" erhält Hessischen Schultheaterpreis für das Stück "Fadenkreuz"
(Marburg) - Mitten ins Schwarze trafen die elf blinden, sehbehinderten und sehenden Schauspieler der Marburger Theatergruppe "Nachsicht" mit ihrem Stück "Fadenkreuz". Nicht nur die Zuschauer, sondern auch die Jury des "Hessischen Schultheaterpreises" zeigte sich von der Eigenproduktion unter der Regie und choreographischen Leitung von Karin Winkelsträter begeistert. Sie lobte insbesondere die körperliche Präsenz der Darstellerinnen und Darsteller und die eigenständige Auseinandersetzung mit dem Thema "Erwachsenwerden". Die Gruppe "Nachtsicht", die in wechselnder Besetzung bereits seit vielen Jahren besteht und von der Deutschen Blindenstudienanstalt (blista) unterstützt wird, gehört damit zu den insgesamt 10 hessischen Schultheatergruppen, die 2014 mit dem mit 1500,- Euro dotierten "Hessischen Schultheaterpreis" ausgezeichnet werden. Verbunden mit der Auszeichnung ist die Teilnahme am "Hessischen Schultheatertreffen" vom 21. bis 23. Juli in Seligenstadt. Dort präsentiert "Nachtsicht" ihr Stück "Fadenkreuz" am Montag, dem 21.Juli, um 20:00 Uhr in der Einhardschule Seligenstadt.
In den mittlerweile 17 Jahren Theaterarbeit an der blista ist "Fadenkreuz" bereits die sechste Produktion, die mit dem "Hessischen Schultheaterpreis" ausgezeichnet wurde.
Im aktuellen Stück finden sich die jugendlichen Darsteller durch alte Ängste und neue Erwartungen gefesselt im "Fadenkreuz" wieder, im gefährlichen Balanceakt zwischen ausgelassener Jugend und dem drohenden "Ernst des Lebens". Dieser Zwiespalt drückt sich in vielfältiger Weise aus. Jeder macht seinen Gefühlen Luft, wie er kann: manche singen, andere tanzen, es wird musiziert und mitten aus der Dunkelheit erklingt plötzlich eine menschliche "Beatbox".
Zwischen den Stühlen sitzen die Spieler und Spielerinnen jedoch alle. Und zwar nicht nur im übertragenen, sondern auch im sorgsam choreographierten, bildlichen Sinne. Bewegung ist das wesentliche Element. Die Jugendlichen überzeugen durch ihre Präsenz: es werden trotzig Grimassen geschnitten, spöttisch Mundwinkel verzogen, empört Arme verschränkt, zornig Füße gestampft oder die säuberlich vorgeschriebene Stuhlordnung buchstäblich auf den Kopf gestellt.
Auf den Kopf gestellt werden die Weltbilder der Zuschauer jedoch nicht nur durch diese mimische und gestische Fülle, sondern auch durch gelegentlich aufgerollte Textpassagen: 'Wenn dein Leben ein Buch wäre, wie hieße das nächste Kapitel?', 'Ist der Teufel zufrieden mit mir?', 'Wieso erlaubt sich die Welt den Luxus, mich zu haben?' 'Warum sind die Sterne am Himmel so unordentlich verteilt?'
Wie auch die Interaktionen des Ensembles selbst folgen diese verbalen Einschübe keinem konsequenten roten Faden, sondern verbinden in ständiger Abwechslung verschiedene Aspekte des Erwachsenwerdens. Anpassung und Unabhängigkeit, Loslassen und Leistungsdruck, Orientierungslosigkeit und Sinnsuche sind Teil dieses schwierigen Werdegangs. Es wird eine visuelle Geschichte erzählt, obwohl die meisten der Schauspieler nichts oder nur sehr wenig sehen. Also im besten Sinne ein inklusives Theatererlebnis für Zuschauer und Darsteller.
Quelle und Kontaktadresse:
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