"Inklusion ist kein Selbstzweck" / "Es geht nicht um Quoten, sondern um das Kindeswohl"
(Berlin) - Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes (DL), hat den Wert der aktuellen Studie der Bertelsmann Stiftung zur Inklusion nachdrücklich in Frage gestellt.
Wörtlich sagte Kraus dazu:
"Die Bertelsmann Stiftung betreibt einmal mehr einen Zahlen- und Quoten-Fetischismus. Auf der Jagd nach hohen Inklusionsquoten wird nämlich übersehen, dass Inklusion kein Selbstzweck sein kann. Selbst die UN-Konvention zur Inklusion hebt in ihren Grundsätzen explizit auf das Kindeswohl ab.
Gewiss geht es darum, Behinderte in Gesellschaft und Arbeitswelt zu inkludieren. Der Weg dorthin kann aber bei spezifischen Behinderungen nicht der Weg der schulischen Inklusion, sondern nur der der schulischen Differenzierung sein. Zum Beispiel hat Inklusion in eine bestimmte Schulform nur dann einen Sinn, wenn ein behindertes Kind wenigstens halbwegs erkennbar die Chance hat, den Bildungsabschluss dieser Schulform zu erreichen.
Ärgerlich am Zahlenpaket der Bertelsmann-Stiftung ist, dass implizit einmal mehr die großartigen Leistungen der Förderschulen in Deutschland in den Schatten gestellt werden. Außerdem findet in vielen Fällen, in denen Schulen von Inklusion sprechen, Inklusion gar nicht statt, weil dann doch in zentralen Fächern differenziert wird.
Hohe Inklusions-Quoten sprechen nicht unbedingt für eine gut umgesetzte Inklusion, die allen Schülern ausreichende Förderung ermöglicht. Mehrere deutsche Länder haben ihre Inklusionsquoten nämlich vorschnell in die Höhe geschraubt und zahlreiche Förderschulen geschlossen, ohne eine ausreichende Infrastruktur in den Gebäuden, ausreichend allgemein unterrichtende und sonderpädagogische Lehrkräfte und ausreichend Assistenzkräfte an den Regelschulen zu haben. Diese Länder sollten für ihr Sparverhalten nicht noch gelobt werden. Oft haben sie damit eine für zahlreiche Schüler mit und ohne Beeinträchtigung, für Eltern und Lehrkräfte schwierige Situation geschaffen.
Grundsätzlich muss sich die Bertelsmann Stiftung die Frage stellen, ob sie mit ihren inflationär aufgelegten Quotenkolonnen der Bildungsdebatte in Deutschland nicht einen Bärendienst erweist. Je mehr nämlich um Quoten gerungen wird, desto mehr gerät die Debatte um Bildungsqualität in den Hintergrund".
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