IGBCE fordert breiten Investitionspakt für Zukunftsoptimismus
(Hannover) - Die zweitgrößte deutsche Industriegewerkschaft IGBCE setzt sich für einen breiten Investitionspakt zwischen Sozialpartnern und Politik ein, um den Standort aus der Defensive zu holen. "Deutschland muss neu durchstarten, sonst nimmt es nachhaltig Schaden und wird zum Bremsklotz für ganz Europa", sagte der IGBCE-Vorsitzende Michael Vassiliadis bei der Jahrespressekonferenz der Gewerkschaft in Berlin. "Alle müssen jetzt beherzt investieren: die Wirtschaft in ihre Beschäftigten und die Binnennachfrage, die öffentliche Hand in den klimagerechten Umbau der Industrie und in verbesserte Rahmenbedingungen für den Standort."
Das Land stecke fest zwischen Vielfachkrise, globaler Nachfrageschwäche und hausgemachten Problemen. "Eine gefährliche Grundstimmung aus Abstiegsängsten und Staatsverdrossenheit macht sich in der Bevölkerung breit, die allein den Radikalen und Populisten in die Hände spielt", warnte Vassiliadis. Nötig sei jetzt ein "Power-Cocktail" fürs Land: "Die Zutaten sind spürbare Entgeltsteigerungen für die Beschäftigten, um Reallohnverlusten ein Ende zu setzen, massive Investitionen in die Transformation der Industrie und die Modernisierung der Infrastruktur sowie niedrigere, wettbewerbsfähige Energiepreise."
Tarifpolitik für mehr Optimismus
Längst hätten Zukunftspessimismus und finanzielle Sorgen auch die breite Mittelschicht unter den Beschäftigten erreicht, zu denen die meisten IGBCE-Mitglieder zählen, berichtete der Vorsitzende. Das belegt eine aktuelle Umfrage unter 3300 Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern. Demnach müssen sich drei von vier Beschäftigten in den IGBCE-Branchen beim Haushaltsbudget einschränken, 55 Prozent beurteilen ihre persönliche wirtschaftliche Lage derzeit als schlechter als vor einem Jahr. 59 Prozent blicken für sich persönlich pessimistisch auf 2024.
"Es braucht jetzt mehr denn je eine selbstbewusste Tarifpolitik, die den Menschen den Optimismus zurückbringt", so Vassiliadis. Die IGBCE werde diesen Auftrag annehmen: Am 30. Januar startet sie mit der Forderungsempfehlung des IGBCE-Hauptvorstands in die Tarifrunde für die 585.000 Beschäftigten der chemisch-pharmazeutischen Industrie. Im weiteren Jahresverlauf folgen Papierindustrie und Energiebranche.
Umsteuern bei der Schuldenbremse
Ein massives Umsteuern forderte der IGBCE-Vorsitzende von der Bundespolitik. "Die Bundesregierung hat aus der Haushaltskrise die falschen Schlüsse gezogen: Wir brauchen keine Kahlschlag-Sparkeule, wir brauchen eine Investitionsoffensive in die klimagerechte Modernisierung unserer Industrie." Es müsse ein breiter Konsens der Demokraten organisiert werden, um die Schuldenbremse zu reformieren und Zukunftsinvestitionen des Staates künftig davon auszunehmen. "Wir werden weiter für die Zukunft kämpfen. Montags bis sonntags. Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen."
Die Transformation der Industrie werde nur mit einer massiven staatlichen Begleitung und Unterstützung in Fahrt kommen, die nicht aus dem laufenden Haushalt kommen könne. Andere Industrieländer hätten das längst verstanden und würben bereits mit vielen Milliarden erfolgreich um Ansiedlungen aus Deutschland. "Unser Schuldenbremsen-Fetisch würgt Wachstum ab, schwächt die Substanz des Landes und unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit", warnte Vassiliadis.
Der Staat müsse die Transformation der Industrie in der Breite fördern - und nicht nur wenige teure Leuchtturmprojekte. Gleichzeitig müsse die Industrie "endlich in den Modus des Möglichmachens" kommen und ihren Teil zur Transformation der heimischen Standorte beitragen.
Neues Konzept für wettbewerbsfähige Strompreise
Besonders groß ist der Investitionsbedarf in Sachen Transformation bei den energieintensiven Industrien, an denen 2,4 Millionen Arbeitsplätze, 240 Milliarden Euro Wertschöpfung und 90 Milliarden Euro Steuer- und Sozialversicherungsabgaben jährlich hängen. Sie haben aktuell jedoch nicht nur mit einer globalen Markschwäche zu kämpfen, sondern vor allem mit den überhöhten Energiepreisen. Diese liegen nicht nur weit über dem Vorkrisenniveau, sondern auch bei einem Vielfachen dessen, was in anderen Industrieländern aufgerufen wird. Folge: Die Produktion der Energieintensiven ist bereits um 20 Prozent geschrumpft, Anlagen werden stillgelegt, Tausende Arbeitsplätze gestrichen, ganze Standorte geschlossen.
"Es droht ein Exodus entscheidender Produktionsstufen am Beginn der industriellen Wertschöpfungskette", berichtete Vassiliadis. Daran ändere auch das Strompreispaket der Bundesregierung nichts - zumal die Unterstützung bei den Netzentgelten gestrichen wurde. Die Transformation dieser Branchen werde mit einer massiven Elektrifizierung der Produktionsprozesse einhergehen, günstiger Grünstrom zum entscheidenden Standortvorteil. "Wir müssen alles daransetzen, die Versorgung mit klimaneutralem Strom nicht nur schneller auszubauen, sondern ihn auch bezahlbar zu machen", forderte Vassiliadis.
Die IGBCE fordert deshalb einen staatlich abgesicherten Pool zur vergünstigten Finanzierung des Erneuerbaren-Ausbaus, ein stärkeres operatives Engagement des Bundes bei den Netzbetreibern, eine Vorfahrtregelung für energieintensive Betriebe bei der Grünstrom-Versorgung. Ziel müsse sein, den Preis erneuerbaren Strom für die Industrie auf 5 Cent/KWh zu drücken.
Zuspruch auf Rekordniveau
In unsicheren Zeiten hält der Zuspruch zu Gewerkschaften an. Die IGBCE verzeichnete im vergangenen Jahr gut 31.800 Eintritte - das sind 11 Prozent mehr als im Vorjahr. Der Zuspruch liegt auf dem Niveau des bisherigen Rekordjahres 2011. Demografiebedingt sank die Mitgliederzahl dennoch unterm Strich um 1,3 Prozent auf 573.200. Ohne Rentenaustritte und Verstorbene hätte die Zahl 0,7 Prozent im Plus gelegen. "Gewerkschaften als Inbegriff gesellschaftlicher Solidarität sind gefragt - als Gegenentwurf zu Spaltung und Toleranz", machte Vassiliadis deutlich.
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