HNO-Praxen mit Infektpatienten am Anschlag
(Neumünster) - Anlässlich des Vorschlags des Deutschen Städtetags, Arztpraxen zur Entlastung der Krankenhäuser abends, am Wochenende und an den Feiertagen geöffnet zu halten, weist der Präsident des Deutschen Berufsverbandes der Hals-Nasen-Ohrenärzte auf die angespannte Lage in der HNO-Heilkunde hin: "Die HNO-Praxen arbeiten mit Infektpatienten am Anschlag. Die Zahl der Fälle mit Atemwegsinfektionen hat einen Rekordstand erreicht. Es gibt schlicht und einfach keine freien Kapazitäten für solche Ideen aus den Kommunen", erklärt Priv.-Doz. Dr. Jan Löhler. Außerdem haben HNO-Praxen, genau wie die Kliniken, mit krankheitsbedingten Personalausfällen zu kämpfen. Da ambulante Ärzte und MFA bei den jüngsten Hilfsprogrammen der Regierung vergessen worden seien, tendiere die Bereitschaft für Mehrarbeit außerdem gegen null.
Die Lage in den HNO-Facharztpraxen sei angespannt, berichtet Löhler: "Seit mehreren Wochen erleben wir einen Ansturm von Patienten mit Atemwegserkrankungen, wie wir ihn in der Form in der jüngeren Vergangenheit noch nicht erlebt haben. Es sind Patienten aller Altersgruppen betroffen: vom Kleinkind bis zum Rentner." Wegen der hohen Belastung erfolge die Behandlung im Minutentakt. Planbare Fälle und Vorsorgeuntersuchungen seien aktuell nicht mehr möglich. "Durch das Zusammentreffen von Grippewelle und RS-Virus sei die Verunsicherung unter den Patienten groß. Viele suchen daher auch bei leichteren Symptomen den Arzt auf. Zudem brauchen viele Patienten eine Krankschreibung für den Arbeitgeber." Die Möglichkeit zur telefonischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei vielen Menschen nicht bewusst. Doch auch dafür werde letztlich Zeit und ärztliche Diagnostik, wenn auch am Telefon, benötigt, so Löhler.
Durch den Fachkräftemangel bei Medizinischen Fachangestellten (MFA) sei die Personaldecke in vielen Praxen außerdem dünn: "Wir haben seit Jahren große Probleme, freie Stellen nachzubesetzen. Das macht sich in der derzeitigen Notlage besonders bemerkbar. Es gibt nicht wenige HNO-Praxen, die ohne MFA oder sonstige Hilfskräfte arbeiten müssen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Infektwelle auch vor dem Praxispersonal nicht haltmacht. Uns fehlen Mitarbeiter an allen Ecken und Enden", berichtet Löhler. Nach der Belastung durch die Corona-Pandemie und der ausbleibenden gesellschaftlichen Wertschätzung für den MFA-Beruf litten viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter außerdem unter Burn-out und Erschöpfungserscheinungen. "Die Motivation der Praxisteams für Arbeit an Heiligabend oder Neujahr liegt bei null", schildert der HNO-Arzt aus Bad-Bramstedt. Zudem existiere ein ambulanter, durch die Kassenärztlichen Vereinigungen organisierter ärztlicher Notdienst an den Feiertagen.
Den Vorschlag des Deutschen Städtetages empfinde er daher als Unverschämtheit, so der HNO-Präsident weiter: "Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: In der ambulanten Versorgung regiert seit Jahrzehnten der Rotstift. Erst kürzlich wurde mit dem Wegfall der Neupatientenregelung sogar das ärztliche Honorar gekürzt. Bei allen Regierungsmaßnahmen zur Abmilderung der Krise, sei es Corona, die Energiekrise oder die Inflation, gehen die Arztpraxen, im Gegensatz zu den Kliniken, die mehrfach Milliardensummen erhalten, immer leer aus. Und dann verlangt ein Vertreter der Kommunen, dass genau diese Arztpraxen die Probleme der jahrelang verschleppten Klinikreformen ausbaden sollen, die unter anderem von den Ländern durch Blockadehaltung und fehlende Investitionen verursacht worden sind." Die HNO-Praxen seien aktuell am Limit und für solche Vorschläge nicht zu haben, unterstreicht Jan Löhler.
Besonders frappierend sei, dass der Städtetag offenbar wenig Einblick in die Funktionsweise und vor allem die Vergütungslogik der ambulanten Versorgung habe. "Wegen der Budgetierung der ärztlichen Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung arbeiten die Praxen am Quartalsende, wie im Moment der Fall, quasi unentgeltlich. Die Kassen-Budgets der Kolleginnen und Kollegen sind bei durchschnittlich 80 Prozent Auszahlungsquote der ärztlichen Vergütung zu diesem Zeitpunkt des Jahres längst aufgebraucht. Dennoch behandeln wir selbstverständlich unsere Patienten so gut es geht. Es ist aber geradezu zynisch, genau jetzt noch mehr Arbeit von den Praxisteams zu verlangen", so Löhler.
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