Herzensangelegenheit Berufsbildung Handwerk warnt vor Verschulung / SPD-Parlamentarier Voigtländer zum Gespräch im Berufsbildungszentrum der Kammer
(Lüneburg/Stade) - Wir sind eine Bildungskammer, mit diesen Worten leitete Präsident Gernot Schmidt das Gespräch mit dem Landtagsabgeordneten Jacques Voigtländer aus Uelzen ein. Im Sitzungssaal in der zehnten Etage des Berufsbildungszentrums der Kammer in Lüneburg war man zusammengekommen, um über aktuelle Fragen der beruflichen Bildung zu diskutieren. Neben dem herrlichen Blick auf die Stadt Lüneburg bot sich dem Parlamentarier, der Mitglied im Kultusausschuss und Berufsbildungsexperte der SPD-Fraktion im Niedersächsischen Landtag ist, die Möglichkeit, einen umfassenden Überblick über die Aus- und Weiterbildungsleistungen der Handwerkskammer Lüneburg-Stade zu erhalten.
Der Geschäftsführer der Berufsbildungszentren, Jörg Warnecke, erläuterte zunächst die Bedeutung der Überbetrieblichen Lehrlingsunterweisung
(ÜLU) im Dualen System von betrieblicher Ausbildung und Berufsschule: Wir führen die ÜLU als Ergänzung der betrieblichen Ausbildung durch, damit die Lehrlinge über das gesamte Spektrum ihres Berufsbildes ausgebildet werden. Knapp 16.000 Teilnehmer pro Jahr nehmen an den ÜLU-Kursen in den beiden Berufsbildungszentren Lüneburg und Stade teil. Zusätzlich werden Meistervorbereitungs-, Fort- und Weiterbildungslehrgänge sowie Maßnahmen im Auftrag der Arbeitsagenturen durchgeführt. Die Weiterentwicklung der Berufsbildungszentren machte Warnecke anhand des Kompetenzzentrums für Nutzfahrzeug- und Landmaschinentechnik deutlich: Die Bündelung der Kompetenzen rund um die Fahrzeugtechnik dient der Aus- und Weiterbildung und dem Technologietransfer. Solche Kompetenzzentren hätten überregionale Bedeutung.
Jacques Voigtlänger, selbst aus einer alten Handwerkerfamilie kommend der Vater war Bäckermeister -, zeigte sich beeindruckt, stellte Fragen,
hakte nach. Die Berufsbildung liegt mir sehr am Herzen, so der Landtagsabgeordnete. Äußerst problematisch sei, dass es bundesweit 700.000 Jugendliche ohne Berufsabschluss gäbe, Tendenz steigend. Viele Jugendliche würden, anstatt eine betriebliche Ausbildung zu beginnen, im Übergangssystem von Berufvorbereitungsjahr, Berufsgrundbildungsjahr oder Berufsfachschule verbleiben. Diese Warteschleifen sind teuer für unser Land, betonte der Abgeordnete. Sein Vorschlag: Zusätzliche Ausbildungsplätze durch eine rund dreieinhalbjährige vollzeitschulische Ausbildung inklusive eines einjährigen Betriebspraktikums. Durch Zulassung der Vollzeitschüler zu Kammerprüfungen werde die Erlangung eines Berufsabschlusses ermöglicht. Auf diese Weise sollten in den nächsten sieben Jahren zwei mal 10.000 zusätzliche Ausbildungsplätze entstehen, so die Formel von Voigtländer.
Beim Handwerk stieß dieser Ansatz jedoch auf Vorbehalte. Bildungsexperte Günter Neumann äußerte die Befürchtung, dass die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe im Dualen System dadurch zurückgehen könnte. Auch dürfte es auf dem Arbeitsmarkt eine nur geringe Akzeptanz für Abgänger aus solchen überwiegend schulischen Systemen geben. Kammerpräsident Gernot Schmidt nahm die griechische Mythologie zur Hilfe: Ich befürchte ein Trojanisches Pferd als Einstieg in die Verschulung der Berufsausbildung. Um die Ausbildungsreife und die Qualifikation der Schulabgänger zu verbessern, seien Elternhaus und Schule gefordert. Norbert Bünten, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer, verwies darauf, dass vollzeitschulische Ausbildungsplätze leicht am Bedarf vorbei gehen könnten, eine spätere Beschäftigung sei dann fraglich. Bünten: Ich stimme zu, dass die Politik handeln muss. Doch das Handwerk hat wenig Verständnis, wenn bewährte Regelungen leichtfertig aufgegeben werden. So habe die
Herausnahme vieler Handwerksberufe aus der Anlage A der Handwerksordnung dazu geführt, dass in diesen nun zulassungsfreien Berufen, zum Beispiel im Fliesenlegerhandwerk, erheblich weniger ausgebildet werde. Jacques Voigtländer nahm die Argumente auf, lobte ausdrücklich die hohe Ausbildungsbereitschaft im Handwerk: Ich weiß, wie sehr sich Handwerksmeister und meisterinnen in der Ausbildung des Nachwuchses engagieren. Eine gute Qualifikation sei wichtig - gerade in Handwerksbetrieben, die Qualitätsarbeit leisten. Bünten betonte, eine Bildungskarriere im Handwerk umfasse inzwischen noch höherwertige Abschlüsse und müsse nicht mit der Meisterausbildung enden: Wir bieten in der Kammer zum Beispiel die Weiterqualifizierung zum Betriebswirt des Handwerks an. Führungsqualitäten, betriebswirtschaftliches Know-how würden immer wichtiger, auch die Internationalisierung des Handwerks nehme zu.
Dass das Handwerk in der Berufsausbildung schon vor Jahrhunderten Vorreiter der Globalisierung war, machte Anne-Kathrin Naber in ihrem abschließenden Vortrag deutlich: Seit dem 15. Jahrhundert gehen Handwerker auf Wanderschaft. An diese Tradition knüpfen wir an und unterstützen Handwerker dabei, sich im Ausland weiterzuqualifizieren. Deshalb habe die Handwerkskammer zusammen mit dem Kultusministerium und gefördert über EU-Mittel das Niedersächsische Zentrum für internationale Berufsbildung (NieZiB) ins Leben gerufen. Während die Projektleiterin über internationale Austauschprogramme referierte, landeten zeitgleich in Hamburg schon die nächsten internationalen Gäste: Ausbilder aus Finnland, die zusammen mit der Handwerkskammer einen deutsch-finnischen Lehrlingsaustausch für Maler- und Lackierer sowie Kfz-Mechatroniker vorbereiten wollen.
Für Jacques Voigtländer stand am Ende des Gesprächs fest: Nicht nur internationale Austauschprogramme, sondern auch der Austausch von Handwerk und Politik ist wichtig. Er bot an, die Zusammenarbeit in Bildungsfragen zu intensivieren. Auf seinen Wunsch, einmal einen ganzen Tag den Werkstatt- und Lehrgangsbetrieb im Berufsbildungszentrum kennen zu lernen, erwiderte Kammerpräsident Schmidt: Kommen Sie mit der ganzen Landtagsfraktion. Wir haben Platz genug und freuen uns, Ihnen die vielfältige und faszinierende Berufswelt des Handwerks näher bringen zu können.
Quelle und Kontaktadresse:
Handwerkskammer Lüneburg-Stade
Pressestelle
Friedenstr. 6, 21335 Lüneburg
Telefon: (04131) 7120, Telefax: (04131) 44724
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