Herbstbilanz 2019: Doppelbelastung durch Rezession und Strukturwandel
(Frankfurt am Main) - Frühindikator Auftragseingänge geht massiv zurück / Umsatzplus von 4,4 Prozent maßgeblich von einer Branche getragen / Stellenabbau um -2,6 Prozent , Unternehmen rechnen für nächstes Halbjahr mit 5.700 Arbeitsplätzen weniger / Ausblick 2020: Unternehmen erwarten weitere Verschlechterung der Lage / Tarifvertrag 2020 muss Doppelbelastung aus Konjunktur und Strukturwandel Rechnung tragen / Entlastungen von Politik in Bund und Land gefordert
Die hessische Metall- und Elektro-Industrie (M+E-Industrie) befindet sich in einer Rezession. Dennoch müssen ihre Unternehmen auch weiterhin erheblich in die Digitalisierung und vier automobile Antriebsarten gleichzeitig investieren. Für die hessischen M+E-Unternehmen entsteht so eine massive Doppelbelastung, warnte HESSENMETALL, der Verband der Metall- und Elektrounternehmen Hessen, zum Jahresende. Er beruft sich dabei auf eine Sonderauswertung der ersten drei Quartale, die das Hessische Statistische Landesamt für den Arbeitgeberverband vorgenommen hat. Demnach entwickeln sich die Auftragseingänge in der hessischen M+E-Industrie stetig nach unten. Sie gelten als wichtiger Frühindikator für die geschäftliche Entwicklung. Über das Jahr gesehen sind die monatlichen Auftragseingänge im Schnitt 8,3 Prozent niedriger als im Vorjahr. Im Maschinenbau waren es im Schnitt 9,3 Prozent weniger Aufträge, bei den Fahrzeugherstellern minus 19,4 Prozent. Zwar stieg der Umsatz in den ersten drei Quartalen im Vergleich zum Vorjahr um 4,4 Prozent auf 50,59 Milliarden Euro.
Verantwortlich ist dafür jedoch maßgeblich die Branche Metallerzeugung und -bearbeitung. Die Autoindustrie als größte hessische M+E-Branche verzeichnet spürbare Umsatzeinbrüche. Die Beschäftigung befindet sich ebenfalls im Abwärtstrend. Im Vergleich zum Vorjahr waren im September 2019 rund 1.600 Menschen weniger in der M+E-Industrie beschäftigt. Das entspricht einem Minus von 0,7 Prozent.
Auch die Stimmung und der Ausblick in Hessens größter Industrie haben sich weiter verschlechtert. Das zeigt die Herbstumfrage des Arbeitgeberverbands, an der sich 160 Mitgliedsunternehmen mit insgesamt 50.700 Beschäftigten beteiligt hatten. "Die konjunkturellen Zeichen stehen auf Sturm. Das betrifft auch die größeren Branchen wie die Autoindustrie und den Maschinenbau. Hessen als Automobilzuliefererland ist davon in besonderer Weise betroffen. Und die hessischen M+E-Unternehmen erwarten für 2020, dass sich ihre Lage weiter verschlechtert", warnte HESSENMETALL-Hauptgeschäftsführer Dirk Pollert. Ihre allgemeine Geschäftslage beurteilen 31 Prozent der Unternehmen als schlecht, 24 Prozent als gut. Für das nächste halbe Jahr erwarten 41 Prozent eine schlechtere Entwicklung, nur 8 Prozent gehen von einer besseren Lage aus. Die Kombination aus rückläufiger Entwicklung und erwarteter weiterer Verschlechterung zieht sich durch alle relevanten operativen Indikatoren: die Auftragseingänge, die Umsätze, die Exporte und die Erträge. Erfreulich sind aktuell einzig die Investitionen: Sie liegen im Herbst 2019 auf einem hohen Niveau; zwei Drittel der Unternehmen wollen sie halten oder sogar steigern. Schlecht sieht die Lage bei der Beschäftigung aus: für das erste Halbjahr 2020 ist gegenwärtig mit einem Stellenabbau von 2,6 Prozent zu rechnen. Hochgerechnet sind das rund 5.700 Arbeitsplätze.
Mit Blick auf die anstehende Tarifrunde 2020 betonte Pollert außerdem die Doppelbelastung der hessischen M+E-Unternehmen: "Neben der schwierigen Konjunktur müssen unsere Mitgliedsunternehmen zeitgleich einen vielfältigen Strukturwandel bewältigen." Zum einen die Digitalisierung, die in allen Industriezweigen und Branchen enorme Investitionen und neue Geschäftsmodelle entlang der gesamten Wertschöpfungskette erfordere. Darüber hinaus müssten neben den Verbrennungsmotoren gleichzeitig Elektro- und Wasserstoffantrieb erforscht und entwickelt werden. Das treffe in einem Autozuliefererland wie Hessen nicht nur die Automobilunternehmen, sondern große Teile der vorgelagerten M+E-Industrie. Außerdem müssten M+E-Unternehmen immer mehr als Plattformanbieter und Dienstleister auftreten, was traditionelle Geschäftsmodelle herausfordere. "Unsere M+E-Unternehmen befinden sich in einem Schraubstock aus Rezession und Strukturwandel, der ihnen immer weniger Spielraum lässt. Deshalb können sie in Deutschland mit den weltweit dritthöchsten Arbeitskosten, sehr hohen Steuern und Abgaben sowie hohen Stromkosten keinerlei Kostensteigerungen gebrauchen. Denn die Schere zwischen Produktivitäts- und doppelt so hohen Lohnsteigerungen muss sich wieder schließen. Auch muss der Tarifabschluss gerade für den Mittelstand deutlich weniger komplex ausfallen als der letzte", sagte Pollert.
Von der Bundespolitik wünscht sich Pollert mehr Unterstützung. Von 100 Euro Gewinn blieben den M+E-Unternehmen nach Steuern durchschnittlich 3,90 Euro für Investitionen, Anteilseigner und Rücklagen. "Wir brauchen eine wirtschaftsfreundlichere Politik statt immer mehr Umverteilung. Unsere Unternehmen müssen entlastet werden, vor allem bei den Kosten und der Bürokratie", so Pollert. Dazu gehöre unter anderem die Senkung der Unternehmenssteuern auf 25 Prozent, da sie in anderen Industrieländern bereits abgesenkt wurden oder werden, was Wettbewerbern Vorteile verschafft. Auch die Sozialversicherungsbeiträge müssten dauerhaft unter 40 Prozent gehalten werden. Und Kriseninstrumente aus den Jahren 2008/2009 wie das konjunkturelle Kurzarbeitergeld sollten vorsorglich vorbereitet werden.
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