Herausforderungen an die Klima- und Sicherheitspolitik
(Düsseldorf) - Die Gefahr des Überschreitens von Klima-Kipppunkten und nachfolgenden Kaskadeneffekten nimmt stetig zu. Die diesjährige Weltklimakonferenz COP 29 zeigt, dass weltweite klimapolitische Interaktion noch nie so wichtig war, wie in diesem kritischen Jahrzehnt.
Während sich die Welt in der Vergangenheit schrittweise und linear verändert hat, steht sie zu Beginn des 21. Jahrhunderts aufgrund des fortschreitenden Klimawandels vor schnellen und tiefgreifenden Veränderungen. Die Veränderungen beschränken sich keineswegs nur auf die Ökosysteme. Auch wirtschaftliche, soziale und sicherheitspolitische Auswirkungen sind schon spürbar. Überproportional betroffen: die verletzlichsten Menschen und Systeme. Hier sind die Grenzen der Anpassungsfähigkeit teilweise erreicht oder sogar überschritten. Werden zusätzlich Kippdynamiken und Kaskadeneffekte ausgelöst sind die Folgen unabsehbar. Höchste Zeit also für eine Interaktion, die die Welt als zusammenhängendes System begreift, die komplexen Ursachen und Triebkräfte der Klimaerwärmung adressiert und ein entsprechendes Umdenken fördert.
Das Wasser bis zum Hals
Fast die Hälfte der Weltbevölkerung lebt unter Bedingungen, die besonders anfällig für die Folgen des Klimawandels sind. In der Indopazifikregion beispielsweise hat sich bereits ein Teil der weltweiten Küstenlinie verändert – mit gravierenden Folgen für die betroffenen Gebiete und ihre Bewohnbarkeit. In der Republik Fidschi steht den Menschen das Wasser stellenweise buchstäblich bis zum Hals.
Konsequenter Klimaschutz gelingt nur durch Interaktion
Die erste globale Bestandsaufnahme (Global Stocktake) der Vereinten Nationen zum Klimaschutz, abgeschlossen auf der letztjährigen Weltklimakonferenz zeigt auf, dass die bisherigen klimapolitischen Anstrengungen nicht ausreichen, die Erderwärmung entsprechend den Zielen des Pariser Klimaabkommens von 2015 zu begrenzen. Wie wichtig es jedoch ist, diese Ziele zu erreichen, wird durch die neuesten Erkenntnisse über die Risiken von Kipppunkten unterstrichen. Verzögertes Handeln erhöht das Risiko erheblich, dass verschiedene Kipppunkte zeitnah oder sogar gleichzeitig überschritten werden. Für wirksame Anpassungsmaßnahmen bleibt dann keine Zeit mehr.
Dabei werden vorausschauende und transformative Anpassungsmaßnahmen immer wichtiger: Technologische Lösungen, Verhaltensänderungen, vor allem aber eine verstärkte weltweite Interaktion, denn nur so kann das wirksamste Instrument – ein konsequenter Klimaschutz – seine Wirkung entfalten. Wie sehr die Zeit drängt, zeigen die folgenden Kippelemente: Korallenriffe, Regenwälder und polare Ökosysteme. Sie alle sind weitgehend nicht mehr in der Lage, sich anzupassen.
Artikelreihe Klima-Kipppunkte
Die Artikelreihe kann gerne zu Recherchezwecken genutzt werden. Zitate sind redaktionell nutzbar.
Kippelemente – Kipppunkte: ein Überblick
Wo das Eis schmilzt: die Klima-Kippelemente der Kryosphäre
Meere vor dem Kipppunkt: die Hydrosphäre
Speicher nicht nur für Treibhausgase: die Klima-Kippelemente der Pedosphäre
Wälder: die Klima-Kippelemente der Biosphäre
Dynamische Kaskadeneffekte und Rückkopplungen: Der Dominoeffekt
Herausforderungen an die Klima- und Sicherheitspolitik
Ist CO2-Entnahme die Lösung?
Die Temperatur der Erde lässt sich nur stabilisieren, wenn kein Öl, Gas und keine Kohle mehr verbrannt und diese Brennstoffe nicht länger subventioniert werden. Flankierend dazu soll das Instrument der CO2-Entnahme (englisch: Carbon Dioxide Removal- kurz CDR) dazu beitragen, die Klimaziele zu erreichen. Doch wohin mit den großen Mengen CO2, die der Atmosphäre entzogen werden? Sie sollen dauerhaft gespeichert werden: in unterirdischen geologischen Formationen, in Biomasse, wie Pflanzen – an Land oder im Meer - aber auch in langlebigen Produkten. Die Forschung steht hier noch relativ am Anfang. Bei den teilweise umstrittenen Methoden, wie beispielsweise der Düngung der Meere zur Förderung des Planktonwachstums, müssen Umweltverträglichkeit und soziale Verantwortung immer im Vordergrund stehen.
Massive wirtschaftliche Schäden stehen unmittelbar bevor
Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und das Umweltbundesamt (UBA) warnen auf der Grundlage aktueller Studien davor, dass der Klimawandel in den nächsten 25 Jahren in fast allen Ländern der Erde massive wirtschaftliche Schäden verursachen wird. Auch Industrieländer wie Deutschland, Frankreich und die USA werden davon betroffen sein, am stärksten jedoch die tropischen Länder, obwohl gerade sie am wenigsten für den Klimawandel verantwortlich sind. Gleichzeitig verfügen sie über die geringsten Ressourcen zur Anpassung an die Klimafolgen.
Den Kosten für wirkungsvollen Klimaschutz stehen in den kommenden Jahren laut PIK sechsmal höhere Kosten für klimainduzierte, wirtschaftliche Schäden an Infrastruktur, Arbeitsproduktivität und landwirtschaftlichen Erträgen gegenüber. Und selbst wenn die Treibhausgasemissionen ab heute drastisch reduziert würden, müsste die Weltwirtschaft im Jahr 2050 mit Einkommensverlusten von knapp 20 Prozent, verglichen mit einer Ausgangssituation ohne Klimafolgen, rechnen – das entspricht einer Summe von 38 Billionen Euro. In der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts ist bei anhaltend unzureichendem Klimaschutz von einem weiteren Anstieg auszugehen.
Allein dieser klare, ökonomische Anreiz sollte ausreichen, dem Klimaschutz die erforderliche Priorität einzuräumen – von den übrigen Folgen, wie dem Verlust von Menschenleben oder biologischer Vielfalt ganz zu schweigen.
Ressourcenkonflikte und Klimamigration
Beim Klimawandel denken die meisten zuerst an die Umwelt und vielleicht noch an die Wirtschaft. Die darüber hinausgehenden, vielschichtigen Risiken für Sicherheit, Entwicklung und internationalen Frieden stehen oft nicht im Fokus. Auch wenn der Klimawandel nicht direkt oder zwangsläufig gewaltsame Konflikte auslöst, so heizt er sie doch indirekt an. Im Zusammenspiel mit sozialen, politischen und wirtschaftlichen Faktoren wirkt er negativ verstärkend, etwa bei der Konkurrenz um Ressourcen, wie Wasser und Nahrung. Hinzu kommt die klimainduzierte Migrationsproblematik, denn schon heute werden die meisten Menschen durch Naturkatastrophen vertrieben – am stärksten betroffen sind bisher Süd- und Ostasien sowie einige afrikanische Länder. Gerade im Hinblick auf die Risiko-Kipppunkte sind sicherheitspolitische Konsequenzen unausweichlich. Diese Risiken sind nicht nur auf internationalen Klimaforen, wie der UN-Klimakonferenz (COP) prioritär und lösungsorientiert zu adressieren, sondern auch in multilateralen Foren, wie den G7 und G20, sowie in der NATO.
Von Erkenntnissen zu Empfehlungen
Das Wissen über Kippelemente und ihre Kipppunkte ist inzwischen sehr umfangreich. Anlässlich ihres ExtremWetterKongresses Ende September 2024 hat auch die Deutsche Meteorologische Gesellschaft eine Einordnung von Klima-Kipppunkten vorgenommen. Nun gilt es, auf der Basis aller vorliegenden Erkenntnisse Kippelemente nachzubilden und ihre Entwicklung zu beobachten, um Frühwarnsignale für sich nähernde Kipppunkte rechtzeitig zu erkennen. Diese Erkenntnisse müssen systematisch in konkrete Handlungsempfehlungen übersetzt werden: für politische Entscheidungsträgerinnen und -träger in den betroffenen Ländern und Regionen sowie für die internationale Staatengemeinschaft.
Berichte wie der Global Tipping Points Report, vorgestellt im Jahr 2023 auf der COP28 in Dubai, bieten dazu einen ersten umfassenden Leitfaden. Der Bericht klärt nicht nur über Gefahren und Chancen auf, sondern gibt auch Handlungsempfehlungen, wie gesellschaftliche und soziale Kipppunkte in den Sektoren Energie, Transport und Ernährung angestoßen werden können. In diesem Fall handelt es sich um Kipppunkte, denen etwas Positives folgt: Nach dem Prinzip der sozialen Ansteckung bewegen hier Menschen andere Menschen zum Handeln. Sie beschleunigen damit ein klimafreundliches Verhalten der Gesellschaft und schaffen die Voraussetzungen für einen neuen, nachhaltigen Kurs im Umgang mit dem Klimawandel.
Quelle und Kontaktadresse:
VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V. - Hauptgeschäftsstelle, Sarah Janczura, stellv. Pressesprecher(in), VDI-Platz 1, 40468 Düsseldorf, Telefon: 0211 6214-0, Fax: 0211 6214-575