Hauswirtschaft an Schulen ist gesellschaftspolitische Aufgabe
(Berlin) - Wir wollen mit dieser Veranstaltung das Thema Hauswirtschaft mehr in das öffentliche Interesse rücken und vor dem Hintergrund des Scheiterns unserer Sozialsysteme aufzeigen, wie entscheidend hauswirtschaftliche Kenntnisse für jeden Einzelnen und die gesamte Gesellschaft sind. Mit diesen Worten eröffnete die Präsidentin des Deutschen LandFrauenverbandes (dlv) Erika Lenz das dlv-Forum Bildungschance Haus-Wirtschaft am 17. Juni 2004 in Berlin. Ziel des Forums sei es, dass alle Verantwortlichen die Vermittlung hauswirtschaftlicher Kenntnisse bereits in der Schule als gesellschaftspolitische Notwendigkeit nicht nur anerkennen, sondern auch ihren Teil dazu beitragen.
Mit der Hauswirtschaft haben sich die LandFrauen immer schon intensiv beschäftigt, betonte die Präsidentin in ihrer Begrüßung. Der Schwerpunkt habe dabei immer auf der Ernährung gelegen. Zur Hauswirtschaft gehören aber neben dem Wissen um eine gesunde und ausgewogene Ernährung und die Herkunft und Qualität der Lebensmittel auch Budgetplanung, Fragen der Umweltbildung und des sparsamen Verbrauches von Ressourcen sowie soziale Kompetenzen. Wenn wir heute von einem Unterrichtsfach Hauswirtschaft in den allgemein bildenden Schulen reden, dann meinen wir die Hauswirtschaft in diesem umfassenden Sinn.
Die Grundlage allen Wirtschaftens ist der eigene Haushalt, machte Erika Lenz deutlich: Der Haushalt eines Staates ist immer nur so gut wie die Summe der Haushalte der einzelnen Bürger.
Dass das Thema nicht nur eine deutsche Dimension hat, zeigten die Grußworte der Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft österreichischer Bäuerinnen Aloisia Fischer und der Landfrauenpräsidentin aus der Schweiz Ruth Streit.
In zwei Gesprächsrunden, der einen zur Ernährungsbildung und der anderen zur Verbraucherbildung, die vom Chefredakteur der Stiftung Warentest Hubertus Primus moderiert wurden, machten die verschiedenen Partner ihre Positionen klar.
So sagte Harald Melwisch, Marketing-Direktor bei Langnese Iglo als Vertreter der Ernährungsindustrie, dass Ernährung und Gesundheit das Kernthema des 21. Jahrhunderts würden, denn zum ersten Mal in der Geschichte werde die derzeitige Generation der 30- bis 40jährigen länger leben als die Generation, die jetzt heranwächst. Grund seien die ernährungsbedingten Krankheiten.
Frieda Hensmann, Vizepräsidentin des dlv, forderte als Bäuerin, dass Ernährungsbildung das Wissen um die Produktion der Lebensmittel mit einschließen müsse und führte als beispielhaften Beitrag des Berufsstandes Aktionen wie Lernen auf dem Bauernhof oder Tag des offenen Hofes an.
Kochen ist Basiswissen sagte der Professor für Sozialmedizin an der Fachhochschule Nürnberg Dr. Gerhard Trabert. Das Vertrauen in eigenes Wissen stärkt das Selbstbewusstsein und ist eine Kompensationsmöglichkeit sozialer Benachteiligung. Dabei betonte er auch den Wert des Essens in der Gemeinschaft.
Das Leben muss endlich in der Schule ankommen! forderte die Vorsitzende des Verbraucherzentrale Bundesverbandes Professor Dr. Edda Müller zu Beginn der Gesprächsrunde Verbraucherbildung. Das spare soziale und gesellschaftliche Kosten. Gute Verbraucherbildung ist für sie, informiert, verantwortlich und in Einklang mit der Gesellschaft Entscheidungen treffen zu können. Verbraucherbildung müsse auf die Übernahme von Verantwortung setzen.
Gerda Schneider, Hauswirtschaftslehrerin an einem sozialen Brennpunkt in Berlin, unterstrich diese Forderungen mit Beispielen aus ihrer täglichen Arbeit und bezeichnete es als Armutszeugnis des Staates, junge Menschen ohne Wissen um die hauswirtschaftlichen Basiskompetenzen ins Leben zu entlassen.
Joachim Bochberg, Leiter der Consumer Relations der Firma Henkel betonte, dass kluge Unternehmen künftig auf den Wirtschaftsfaktor Information setzen müssten. Bochberg betonte die Bedeutung von Verbraucherbildung als Unternehmensaufgabe und machte deren Bedeutung für eine langfristige Kundenbindung deutlich.
Eine Gesellschaft, die nicht darauf achtet, dass ihre Kinder lernen zu wirtschaften, verliert auf die Dauer im globalen Wettbewerb. Diese These vertrat der Geschäftsführer Wirtschaft und Gesellschaft beim Bundesverband deutscher Banken Professor Dr. Wilhelm Bürklin in seinem Vortrag. Dabei zeichnete er ein durchaus positives Bild der heutigen Jugend, die er als optimistisch, leistungsorientiert und an wirtschaftlichen Zusammenhängen interessiert beschrieb.
In der Podiumsdiskussion, in der verschiedene Fachleute unter Leitung von Dr. Angelika Gördes-Giesen, freier Journalistin beim WDR, die Chancen von Haus-Wirtschaft in der Schule diskutierten, machte Dr. Bürklin nochmals klar, dass Ausbildung erst einmal Sache des Staates sei.
Renate Hendricks als Elternsprecherin betonte, dass es aus ihrer Sicht auf die Inhalte ankäme, auf eine ganzheitliche Bildung an der Schule, nicht auf ein Fach Hauswirtschaft. Was sollen die Schüler eigentlich können, wenn sie die Schule verlassen? muss ihrer Meinung nach die Grundsatzfrage lauten. Deshalb müsse das Gesamtsystem Schule geändert werden. Im Fall der Hauswirtschaft solle das vor allem unter dem Blickwinkel der Parentik, der Elternbildung, geschehen.
Der Vertreter der Kultusministerkonferenz und Ministerialrat im hessischen Kultusministerium Jürgen Obenauer sieht die Hauswirtschaft künftig vertreten im Bereich des Kern-Curriculums Individuum und Haushalt, der in der gesamten Sekundarstufe I mit 200 Wochenstunden in sechs Jahren vertreten ist. Es solle auch hauswirtschaftliche Prüfungsinhalte geben. Die noch nicht geklärte Frage sei jedoch, wer diesen Unterricht erteilen solle und wie es mit Fortbildungsangeboten für Lehrer steht.
Susanne Vetter von der Schuldnerberatung des Caritasverbandes Berlin forderte ganz klar, dass Jugendliche in der Schule wirtschaftliche Zusammenhänge lernen müssen. Sie sieht eine Gefahr darin, dass es kein eigenes Fach dafür gibt. Ihrer Erfahrung greifen nur engagierte Lehrer das Thema Geld und Schulden im Unterricht auf.
Dr. Michael-Burkhard Piorkowsky, Professor für Haushalts- und Konsumökonomik an der Universität Bonn, forderte grundsätzlich eine stärkere Berücksichtigung der Hauswirtschaft der Privathaushalte in der Wirtschaftslehre, weil dort die Hauptakteure von Wirtschaft und Gesellschaft leben und handeln. Der Privathaushalt sei ein strukturbildendes Element. Er forderte deshalb ein eigenes auf Haushalt und Familie bezogenes Fach an allgemein bildenden Schulen.
Für Dr. Hans Kaminski, Professor des Instituts für ökonomische Bildung an der Universität Oldenburg, muss Hauswirtschaft erst einmal eine akzeptierte Bildungsaufgabe werden, und das ist sie nach seinen Worten dann erst, wenn es ein Fach, wenn es Lehrer und Ausstattung an Schulen und wenn es fest eingeplante Stunden dafür gibt. Alles, was nur ein Prinzip an der Schule ist, ist für den Lehrplan folgenlos, betonte er.
Als Fazit empfahl die Experten-Runde auf dem Podium, der LandFrauenverband als Initiator der Forderung Haus-Wirtschaft an allgemein bildende Schulen müsse sich genügend Koalitionspartner suchen, ein Gesamtkonzept für hauswirtschaftliche Kenntnisse an Schulen erstellen und dieses an ausgesuchten Schulen durchsetzen. Diese hätten dann die Funktion von Leuchttürmen im Land und würden die Nachfrage nach der Vermittlung hauswirtschaftlicher Kenntnisse sozusagen von unten her schaffen. Das mache den Weg frei, dass Hauswirtschaft dann eine akzeptierte Bildungsaufgabe werde.
Abschließend appellierte dlv-Präsidentin Erika Lenz an die Politik, endlich aktiv zu werden und fasste die Ergebnisse aus ihrer Sicht zusammen:
- Das Forum hat deutlich gezeigt, dass unterschiedliche Organisationen und Verbände durchaus gemeinsam zum gleichen Ergebnis kommen können: Hauswirtschaftliche Kenntnisse müssen wieder in allgemein bildenden Schulen vermittelt werden. Es ist gesellschaftspolitisch nicht zu verantworten, die Vermittlung dieser Kenntnisse dem Elternhaus allein zu überlassen, weil viele Eltern dazu heute nicht mehr in der Lage sind.
- Ökonomische Bildung ist ein Teil der Hauswirtschaft. Doch umfasst die Hauswirtschaft mehr als das. Dazu gehören nicht nur vordergründig wirtschaftliche Themen, sondern auch Themen, die wirtschaftliche Folgen für die Gesellschaft haben, wie z.B. die Ernährungsbildung, die langfristig chronische Krankheiten bei noch jungen Menschen verhindert und damit Milliarden in der gesetzlichen Krankenversicherung einspart.
- Der Deutsche LandFrauenverband setzt sich für ein eigenes Fach Hauswirtschaft an den Schulen ein. Ein erster Schritt auf diesem Weg ist, dass hauswirtschaftliche Kenntnisse in die Lehrpläne an allen allgemein bildenden Schulen für alle Altersstufen aufgenommen werden. Es bieten sich etliche Unterrichtsfächer an, in denen diese Kenntnisse thematisiert werden können. Auch integrativer Unterricht bzw. Projektarbeiten zur Hauswirtschaft befürworten die LandFrauen. Die Landes-LandFrauenverbände werden dazu mit den jeweiligen Kultusministerien der Länder Gespräche führen.
- Alle gesellschaftlichen Gruppierungen und Verbände sollten sich an der hauswirtschaftlichen Bildung der Kinder und Jugendlichen beteiligen. Die LandFrauenverbände vor Ort tun dies schon lange mit Angeboten wie Kochen mit Kindern, Besuchen von Schulklassen auf dem Bauernhof mit entsprechenden Programmen, Betreuungsangeboten in Ganztagsschulen und Ferienfreizeiten.
Quelle und Kontaktadresse:
Deutscher Landfrauenverband e.V. (dlv)
Reinhardtstr. 18, 10117 Berlin
Telefon: 030/31802029, Telefax: 030/31017831