Pressemitteilung | Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW)

Hartz-Kommision: Von Pragmatismus geprägt

(Köln) - Nach dem Skandal um die geschönten Vermittlungsstatistiken der Bundesanstalt für Arbeit zu Beginn dieses Jahres war es nicht mehr zu leugnen: In der hiesigen Arbeitsverwaltung steckt der Wurm. Die Bundesregierung hat flugs reagiert und eine Kommission unter Federführung des VW-Personalvorstands Peter Hartz eingesetzt, die Vorschläge für eine Reform der Arbeitsämter und der Vermittlungstätigkeit erarbeiten soll. Erste Eckpunkte des Konzepts, die kürzlich bekannt wurden, klingen durchaus viel versprechend – wenn auch in den Details nicht alles durchdacht ist.

In der Hartz-Kommission suchen Fachleute aus Unternehmen, Verbänden, Gewerkschaften, Politik und Wissenschaft nach Mitteln und Wegen, um die Arbeitslosigkeit deutlich zu senken und wieder mehr Menschen in Lohn und Brot zu bringen. Ihren Endbericht werden Hartz und seine Mitstreiter Mitte August vorlegen.

Zwar erscheint die eine oder andere Idee der Experten-Runde nicht ganz ausgegoren. Alles in allem könnten die von Pragmatismus geprägten Vorschläge das Ruder auf dem Arbeitsmarkt aber ein Stück weit herumreißen. Zudem beherzigt die Kommission auch den Grundsatz des „Förderns und Forderns“, der Staat und Bürgern gleichermaßen eine Bringschuld abverlangt. Einzelne Vorschläge des Hartz-Teams, und was davon zu halten ist:

Personal-Service-Agenturen. Was der VW-Personaler Hartz schon für die Stadt Wolfsburg angeschoben hat, soll nun für eine bundesweite Lösung Modell stehen. Das Prinzip: Arbeitslose werden zu Angestellten einer Zeitarbeitsfirma unter den Fittichen der staatlichen Arbeitsverwaltung. Die Agentur leiht ihre Mitarbeiter zu unterschiedlichen Konditionen an Unternehmen aus – die Firmen zahlen der Agentur dafür ein Entgelt. Arbeitslosen, die nicht mitmachen, wird das Arbeitslosengeld gekürzt. Der Grundgedanke hat Charme: Die Arbeitsverwaltung – zuletzt als Behörde verschrien, die mehr den Mangel an Arbeitsplätzen verwaltet, als für Vermittlung sorgt – entwickelt sich zum umfassenden Dienstleister für Unternehmen und für Menschen auf Jobsuche. Tatsächlich haben die Arbeitslosen von der Umfirmierung zu angestellten Zeitarbeitskräften nur etwas, sofern die Unternehmen sie nach einer gewissen Probezeit – gegebenenfalls auf Staatskosten – auch übernehmen. Ansonsten wird es teuer: Die Ausleih-Arbeitskräfte der staatlichen Personal-Service-Agenturen sollen jeweils nach Tarif bezahlt werden, im Regelfall ist das mehr als das ihnen zustehende Arbeitslosengeld. Für Geringqualifizierte ohne Stelle bietet das Konzept zudem kaum Anreize, eine reguläre Arbeit anzunehmen: Sie erzielen so niedrige Löhne auf dem ersten Arbeitsmarkt, dass die Festanstellung bei einer staatlichen Agentur lukrativer sein dürfte. Und auch in einem weiteren Punkt ist dieser Baustein nicht ganz durchdacht. Die Personal-Service-Agenturen machen als quasi staatliche Beschäftigungsgesellschaften den privaten Zeitarbeitsfirmen Konkurrenz.

Pauschaliertes und verkürztes Arbeitslosengeld. In den ersten sechs Monaten der Arbeitslosigkeit sollen Leistungsempfänger nach den Vorstellungen der Kommission eine pauschale Unterstützung erhalten, wobei drei verschiedene Stufen vorgesehen sind. Nach dem ersten halben Jahr soll es weitere sechs Monate lang ein wie üblich nach dem letzten Nettolohn berechnetes Arbeitslosengeld geben. Anschließend wird noch ein Jahr lang ein reduziertes Arbeitslosengeld gezahlt – je nach Bedürftigkeit, ähnlich wie die heutige Arbeitslosenhilfe. Länger als zwei Jahre wird die Arbeitslosenversicherung nach den Plänen der Hartz-Kommission nicht in die Bresche springen; dann erlischt der Anspruch. Wer bis dahin keine neue Arbeit gefunden hat, bekommt ein so genanntes Sozialgeld, entsprechend der heutigen Sozialhilfe. Die Pauschalierung würde den Verwaltungsaufwand senken, sodass sich die Mitarbeiter des Arbeitsamtes stattdessen verstärkt um die Arbeitsvermittlung bemühen könnten. Denn das sollte das eigentliche Kerngeschäft der Nürnberger sein, ist es aber derzeit nicht: Knapp ein Drittel der rund 90.000 Arbeitsamts-Mitarbeiter beschäftigt sich vorwiegend damit, Arbeitslosengeld zu berechnen und auszuzahlen.


Gerade für junge Arbeitslose lohnt sich dieser Aufwand nicht. Sie finden in der Regel schnell neue Arbeit.
Fast die Hälfte der unter 25-jährigen Klientel des Arbeitsamts ist nach drei Monaten wieder aus den Karteien verschwunden. Die Aussicht auf die verkürzte Arbeitslosenunterstützung würde sicherlich so manchem Arbeitsuchenden Flügel verleihen, es gibt aber ein Problem: Ungewiss ist, ob die Pauschalierung des Arbeitslosengeldes rechtens ist. Allerdings sollte man diesen Einwand nicht überstrapazieren. Denn der Versicherungscharakter der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung ist an vielen Stellen bereits ausgehöhlt. Ein Teil der aktiven Arbeitsmarktpolitik dürfte so gesehen gar nicht über die Bundesanstalt für Arbeit finanziert werden.

Ich-AG. Als Ich-Unternehmer soll gelten, wer seine Arbeitskraft an Handwerksbetriebe oder private Haushalte verkauft. Er zahlt dann lediglich eine Pauschalsteuer von 10 Prozent auf alle Einnahmen, aber keine Umsatzsteuer. Maximal darf das Einpersonenunternehmen 15.000 Euro im Jahr einspielen, für vergleichbare Familien-AGs soll die Grenze bei 20.000 Euro gezogen werden, andernfalls wäre die Anmeldung eines normalen Gewerbes fällig. Wer Ich-AGs engagiert, profitiert davon, dass sie flexibel je nach anfallender Arbeit einsetzbar sind. Die Auftraggeber sollen allerdings nicht mehr Ich-Unternehmer anheuern dürfen, als sie eigene Mitarbeiter beschäftigen.

Nicht ganz klar ist, welchem Ziel die Ich-AGs dienen sollen – die Arbeitslosigkeit zu reduzieren oder die Schwarzarbeit zu bekämpfen: Das Hartz-Papier bleibt hier recht nebulös. Auf alle Fälle wäre mit den Mini-Unternehmen das erst Anfang dieser Legislaturperiode verabschiedete Gesetz zur Scheinselbstständigkeit, das so manche selbstständige Existenz verhindert und andere gar zerstört hat, wieder hinfällig. Doch auch diese Idee hat einen Haken: Der Ich-Unternehmer soll sozialversicherungspflichtig sein; unklar ist aber, wer die Beiträge zahlt – möglicherweise sind sie komplett aus eigener Tasche zu finanzieren.

Vom maximalen Umsatz von 15.000 Euro blieben so nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge und der Pauschalsteuer im Jahr umgerechnet nur noch rund 7.300 Euro übrig, macht pro Monat 608 Euro. In einem regulären abhängigen Beschäftigungsverhältnis fällt bei diesem Verdienst ab 2003 keine Steuer an.

Verschärfte Zumutbarkeitskriterien. Gegenwärtig muss ein Arbeitsloser nicht jede sich bietende Arbeit annehmen. So gelten mehr als drei Stunden Pendelzeit für Hin- und Rückfahrt zur Arbeitsstelle als unzumutbar. Setzt sich die Hartz-Kommission durch, können allein stehende, jüngere Erwerbslose in Zukunft zum Umzug aufgefordert werden – wer die Stelle in der Ferne ablehnt, setzt die Überweisung vom Arbeitsamt aufs Spiel.
Deutlich weiter wagt sich die Kommission mit dem Ansinnen vor, künftig die Arbeitslosen beweisen zu lassen, dass ihnen eine Arbeit nicht zuzumuten ist. Momentan bereitet es den Arbeitsämtern einen Haufen Arbeit und juristischen Ärger zu belegen, dass eine abgelehnte Arbeit doch akzeptabel ist. Aus diesem Grund wird häufig darauf verzichtet, arbeitsunwillige Transferempfänger zu sanktionieren und ihnen zeitweilig das Arbeitslosengeld zu streichen.

Brücke in den Vorruhestand. Arbeitslosen über 55 Jahren will die Hartz-Kommission anbieten, sich ihre gesamten Ansprüche an die Arbeitslosenversicherung bis zum Vorruhestand – abgezinst – auf einmal auszahlen zu lassen. Ein 55-Jähriger, dem bis zum 60. Lebensjahr monatlich 728 Euro zuständen, bekäme dann auf einen Schlag 40.000 Euro – und zu arbeiten bräuchte er auch nicht mehr. Offensichtlich erwünschter Nebeneffekt: Die Begünstigten fallen aus der Arbeitslosenstatistik heraus. Dem Arbeitsmarkt wird dies nicht gut tun, gehen ihm auf diese Weise doch viele qualifizierte Arbeitskräfte verloren, die mancherorts dringend gesucht werden. Frühverrentungsprogramme sorgen schon jetzt dafür, dass sich ältere Arbeitslose kaum um eine neue Stelle bemühen, sondern gelassen dem Vorruhestand entgegensehen. Die hohe Arbeitslosigkeit unter den über 50-Jährigen wundert da nicht. Im September 2001 betrug die Arbeitslosenquote der über 55-Jährigen mehr als 18 Prozent und war damit doppelt so hoch wie die Quote bei den 30- bis 35-Jährigen. Der Kommissionsvorschlag würde auch Jüngere, die auf die 55 zugehen, zum ruhigen Abwarten animieren. Angesichts der demographischen Entwicklung, die auf eine Überalterung der Gesellschaft hinsteuert, sollten aber für die Senior-Experten Anreize geschaffen werden, im Arbeitsprozess zu verbleiben, anstatt sie aus dem Arbeitsmarkt hinauszusubventionieren.

Quelle und Kontaktadresse:
Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) Gustav-Heinemann-Ufer 84-88 50968 Köln Telefon: 0221/49811 Telefax: 0221/4981592

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