Halbjahresbilanz: Passagierluftverkehr im ersten Halbjahr auf historischem Tiefstand
(Berlin) - Die Auswirkungen der Coronapandemie haben den weltweiten Passagierluftverkehr in der ersten Jahreshälfte weiter am Boden gehalten. Nachdem die Nachfrage im ersten Halbjahr 2020 bereits um 58 Prozent eingebrochen war, ist der weltweite Rückgang gegenüber 2019 im laufenden Jahr mit 67 Prozent noch größer. Denn 2021 drückten Reisebeschränkungen und der coronabedingte Nachfrageeinbruch auf das komplette Halbjahr, während sich die Pandemie im vergangenen Jahr erst ab Mitte März spürbar auswirkte. Durch die zahlreichen Reisebeschränkungen waren internationale Verkehre stärker betroffen als inländische Verkehre. Da die europäischen Staaten strukturell stark durch internationalen Verkehr gekennzeichnet sind, ist der Verkehrsrückgang hierzulande auch überproportional: Bei den europäischen Fluggesellschaften sank die Nachfrage im Passagierverkehr im ersten Halbjahr gegenüber 2019 um 78 Prozent, bei den deutschen Fluggesellschaften um 85 Prozent und an den deutschen Flughäfen um 86 Prozent.
Zu der Halbjahresbilanz sagt Matthias von Randow, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL): "So wenig Passagiere an den deutschen Flughäfen hatten wir zuletzt im Jahr 1971. Diese Entwicklung hat den wirtschaftlichen Druck auf unsere Unternehmen und ihre Investitionskraft noch einmal drastisch verschärft: Die Umsätze sind um 63 Prozent eingebrochen. Die Zahl der Beschäftigten liegt mittlerweile 10 Prozent unter dem Niveau von 2019. Positiv ist: Seit dem Sommer zieht die Nachfrage deutlich an. Da inzwischen immer mehr Menschen durchgeimpft sind und ein System aus Impf- und Testnachweisen sichere Mobilität auch unter Pandemiebedingungen ermöglicht, hat der touristische Reiseverkehr wieder deutlich zugenommen. Dieses System des sicheren Reisens funktioniert, denn nur ein kleiner Teil der Infektionen in Deutschland ist auf Aufenthalte im Ausland zurückzuführen."
Mit dem Fortschritt der Impfkampagne kehrt auch die Nachfrage nach Reisen zurück. Seit Juni erleben wir eine schrittweise Belebung des touristischen Reiseverkehrs: Die Fluggesellschaften bauen wieder Kapazität auf und das Angebot wird von den Reisenden angenommen. Im Zeitraum Juni bis September sind in Deutschland insgesamt wieder 48 Prozent des Flugangebots von 2019 im Markt. Im innerdeutschen Verkehr sind im Sommer 28 Prozent des Flugangebots von 2019 wieder zurück. In den anderen Ländern Europas erholt sich der der inländische Verkehr schneller. Dort werden im Durchschnitt wieder 79 Prozent des Vorkrisenniveaus geflogen. Gründe hierfür sind zum einen der Rückzug von easyJet aus dem innerdeutschen Markt und zum anderen, dass alternative Transportmöglichkeiten auf der Straße und auf der Schiene genutzt werden.
Im internationalen Verkehr ab Deutschland ist im Sommer 2021 die Hälfte des Angebots wieder da. Mit einer Wiederaufnahmerate von 52 Prozent liegt Deutschland in diesem Segment etwa im europäischen Durchschnitt von 54 Prozent. Insbesondere das touristische Angebot in die sogenannten Warmwassergebiete ist wieder da und wird von den Reisenden auch angenommen, was sich in steigenden Buchungen und Passagierzahlen seit Juni zeigt. Allerdings fehlen nach wie vor Gäste, die aufgrund von Messen, Kongressen und Städtetrips nach Deutschland fliegen. Zudem blockieren harte Einreisebeschränkungen, wie etwa in den USA und in China, einen großen Teil der Interkontinentalnachfrage.
"Reisebeschränkungen müssen nun schrittweise auch im interkontinentalen Reiseverkehr abgebaut werden. Gerade der transatlantische Verkehr ist sowohl für die Industrieunternehmen auf beiden Seiten des Atlantiks als auch für die internationale Tourismuswirtschaft enorm wichtig. Wir hoffen, dass die US-Regierung nun wie angekündigt rasch wieder Einreisen von EU-Bürgerinnen und EU-Bürgern ermöglicht. Aber auch in Europa besteht weiter Handlungsbedarf: Es geht jetzt darum, die Reisebeschränkungen stärker am tatsächlichen Gesundheitsrisiko zu orientieren und die Einstufung der Zielgebiete nicht allein auf der Grundlage der Inzidenz vorzunehmen. Es braucht Regelungen, die die tatsächliche Gefährdungslage für Reisende sowie die Belastung des Gesundheitssystems mitberücksichtigen", so von Randow.
Ein BDL-Szenario auf Basis von historischen Wachstumsraten geht davon aus, dass sich der Passagierluftverkehr weiter erholen wird. Wenn sich die aktuelle Entwicklung weiter fortsetzt, würden im Gesamtjahr 2021 rund 33 Prozent der Verkehrsleistung von 2019 erreicht werden. Bei weiteren Fortschritten der Impfkampagne und einer weiteren Aufhebung von Reisebeschränkungen sowie bei einer robusten Entwicklung der deutschen Wirtschaft könnte im Jahr 2022 die Verkehrsleistung 80 Prozent von 2019 erreichen. Das Niveau von 2019 würde hingegen erst auf Höhe von 2025 erreicht werden.
Vor dem Hintergrund der perspektivisch wieder steigenden Nachfrage bekräftigte von Randow das Ziel der Branche, mit einer Vielzahl von Maßnahmen das Fliegen und den Flughafenbetrieb schrittweise CO2-neutral zu gestalten. Hierfür arbeitet die Branche an der Umsetzung ihres "Masterplans Klimaschutz". Zu den Maßnahmen gehören weitere Fortschritte bei der ökologischen Flottenmodernisierung, der Systemwechsel hin zu alternativen Kraftstoffen, eine bessere Vernetzung von Luftverkehr und Bahnverkehr sowie Klimaschutzmaßnahmen an den Flughäfen. Dabei unterstützt der BDL ambitionierte marktbasierte Instrumente der CO2-Bepreisung, soweit diese im Sinne des Klimaschutzes wirksam und wettbewerbsneutral ausgestaltet sind.
Die Ergebnisse im Einzelnen:
- Passagierverkehr: In den ersten sechs Monaten des Jahres 2021 sank die weltweite Verkehrsleistung im Luftverkehr gegenüber dem ersten Halbjahr 2019 um 67 Prozent. Das ist noch einmal ein stärkerer Rückgang als im Jahr 2020, denn im laufenden Jahr haben die Reisebeschränkungen auf das gesamte erste Halbjahr durchgeschlagen. Große Inlandsmärkte wie die USA und China haben sich deutlich stärker erholt (-22 Prozent) als internationale Verkehre (-81 Prozent). Deutschland und Europa sind strukturell eher internationale als inländische Luftverkehrsmärkte. Daher ist der Einbruch bei den Fluggesellschaften in Europa (-78 Prozent) auch deutlich stärker als im nordamerikanischen Markt (-52 Prozent) und im asiatischen Markt (-65 Prozent). In Deutschland ist die Lage noch einmal drastischer: Die deutschen Flughäfen verzeichnen im ersten Halbjahr einen Passagierrückgang von 86 Prozent. Dadurch sind auch Einnahmen im sogenannten Non-Aviation-Bereich weggefallen, also etwa aus dem Betrieb der Einzelhandelsflächen und in der Gastronomie. Der Nachfrageeinbruch an den Flughäfen spiegelt sich in dem Rückgang der Verkehrsleistung von deutschen Fluggesellschaften, der bei 85 Prozent liegt. Erst seit Juni zeichnet sich eine Erholung ab. Diese war insbesondere auf den beginnenden Urlaubsverkehr, die sinkenden Inzidenzen in Europa und den Fortschritt der Impfkampagne zurückzuführen. Das Streckennetz im Passagierverkehr ist noch nicht vollständig wiederhergestellt: Im innerdeutschen Verkehr fehlen nach wie vor 19 Strecken (-32 Prozent), im Europaverkehr 344 Strecken (-26 Prozent) und im Interkontinentalverkehr 50 Strecken (-36 Prozent) - zudem werden die meisten Strecken mit einer reduzierten Frequenz beflogen.
- Frachtverkehr: Der weltweite Luftfrachtverkehr konnte sich von der negativen Entwicklung des Passagiergeschäfts entkoppeln und entwickelt sich grundsätzlich sehr positiv, obwohl weiter viel Bellyfracht-Kapazität aus den am Boden stehenden Passagierflugzeugen fehlt. An den deutschen Flughäfen wurden im ersten Halbjahr 11 Prozent mehr Güter ein- und ausgeladen als im ersten Halbjahr 2019 und 23 Prozent mehr als im ersten Halbjahr 2020. Damit liegt die Entwicklung in Deutschland über dem weltweiten Durchschnitt von 8 Prozent und dem europäischen Durchschnitt von 5 Prozent. Gründe dafür sind die dynamische Entwicklung der deutschen Wirtschaft und die Erholung des Außenhandels, wobei sich auch Nachholeffekte zeigen.
- Flugbewegungen: Die von der DFS Deutsche Flugsicherung kontrollierten Bewegungen in und über Deutschland sanken im ersten Halbjahr 2021 um 67 Prozent - von 1.610.716 Flugbewegungen im ersten Halbjahr 2019 auf 531.217 Flugbewegungen im selben Zeitraum 2021. Diese Entwicklung betrifft sowohl die An- und Abflüge in Deutschland wie auch die Überflüge.
- Umsatz und Beschäftigte: Die Unternehmen der deutschen Luftverkehrswirtschaft verzeichneten im ersten Halbjahr einen Umsatzrückgang von 63 Prozent gegenüber dem ersten Halbjahr 2019. Dies hat weitreichende Folgen für das Kostenmanagement, die Personalplanung und die Investitions- und Innovationskraft der Unternehmen. Vor dem Hintergrund des anhaltenden Einbruchs der Verkehrszahlen sind die Unternehmen zu Restrukturierungsmaßnahmen gezwungen, die auch den Abbau von Personal umfassen. Zum Ende des ersten Halbjahrs 2021 lag die Anzahl der Beschäftigten bei den Fluggesellschaften und an den Flughäfen 10 Prozent unter dem Niveau von 2019.
- Wiederaufnahme im Sommer: Im europäischen Luftverkehr werden inzwischen wieder 61 Prozent der Flüge vom Sommer 2019 angeboten. In den meisten Ländern Europas erholen sich die Inlandsverkehre schneller als die internationalen Verkehre: In großen Flächenländern wie Spanien und der Türkei ist das Flugangebot im Inland fast vollständig wieder hergestellt. Gleiches gilt für Länder, in denen es aufgrund von Insellagen und anderen geografischen Gegebenheiten eine große Nachfrage nach Inlandsflügen gibt, etwa in Griechenland. In Deutschland hingegen sind 28 Prozent des innerdeutschen Angebots von 2019 wieder im Markt. Von dem internationalen Flugangebot sind im europäischen Schnitt im Sommer 54 Prozent wieder im Markt. Besonders schnell erfolgt die Wiederaufnahme in den Ländern, die selbst beliebte touristische Zielländer sind. In Deutschland liegt die Wiederaufnahmerate bei 52 Prozent.
Anmerkung
Abweichend zu früheren Halbjahresberichten werden in diesem Jahr nicht die Vorjahreswerte als Referenz herangezogen, sondern die Werte des Jahres 2019. Ein Vergleich der Jahre 2020 und 2021 würde keine verwertbaren Ergebnisse liefern.
Hintergrund
Zweimal im Jahr legt der BDL Kennzahlen zur Lage der deutschen Luftverkehrswirtschaft vor und ordnet diese anhand von internationalen Vergleichszahlen ein. Für den Halbjahresbericht zieht der BDL unterschiedliche aktuelle Quellen heran: die konsolidierten Zahlen der BDL-Mitgliedsunternehmen, weltweite Vergleichszahlen des internationalen Verbands IATA sowie Daten des Statistischen Bundesamtes und der europäischen Flugsicherungsorganisation Eurocontrol.
Quelle und Kontaktadresse:
Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft e.V. (BDL)
Ivo Rzegotta, Leiter Kommunikation
Friedrichstr. 79, 10117 Berlin
Telefon: (030) 520077-100, Fax: ()