Gutachten zur Tarifautonomie: Gegen wissenschaftlichen Unverstand
(Hannover) - Als ein "marktradikales Glaubensbekenntnis" bewertet der Vorsitzende der IG BCE, Hubertus Schmoldt, das am 27. November vorgestellte Gutachten "Tarifautonomie auf dem Prüfstand" des Wissenschaftlichen Beirates beim Bundeswirtschaftsministerium.
"Nicht die Tarifautonomie gehört auf den Prüfstand, sondern das Verständnis von Wissenschaft, das dieses Gremium offenbart." Nach den Worten von Schmoldt ist es "unerträglich, wie diese so genannten Experten auf jeden empirisch nachzuvollziehenden Beweis für ihre Thesen verzichten - und sich in ihrer Argumentation auf einem Niveau bewegen, das an jedem Stammtisch locker übertroffen wird". Behauptungen verwandelten sich auch dann nicht zu Fakten, "wenn sie in professoraler Gestalt daher kommen".
Schon die Analyse, Arbeitslosigkeit sei insbesondere eine Folge verfehlter Lohnpolitik und daher allein von den Tarifparteien zu verantworten, sei von "solcher Schlichtheit", so Schmoldt, "dass sich daraus keine ernst zu nehmenden Schlüsse ableiten lassen". Ein kurzer Blick über nationale Grenzen zeige, dass Arbeitslosigkeit nicht nur ein deutsches Phänomen ist - und damit auch nicht ausschließlich auf das deutsche System der Lohnfindung zurückgeführt werden könne. "Wer zum Beispiel den schwierigen Strukturwandel in Ostdeutschland ausblendet, statt dessen Gewerkschaften für Arbeitslosigkeit verantwortlich macht, verabschiedet sich aus der wissenschaftlichen wie politischen Diskussion", erklärt der IG BCE-Vorsitzende.
"Einfach Unsinn" nennt Schmoldt die Behauptung, dass es innerhalb des deutschen Tarifsystem keine Differenzierung in der Lohnfindung gebe. "Unsere Tarifverträge berücksichtigen die unterschiedlichen Bedingungen von Regionen, Branchen und Betrieben. Wir ermöglichen Abweichungen vom Flächentarif, wo sie geboten und erforderlich sind."
Wer in Arbeitgeberverbänden lediglich "Kartelle zur Bildung von Gegenmacht" gegen "streikbereite Gewerkschaften" sehe, so Schmoldt, habe "jeglichen Bezug zur Kultur der Sozialpartnerschaft in Deutschland verloren". Wer die Rechtmäßigkeit von Streiks bestreite, die Tarifautonomie real aushebeln, die Gewerkschaften folglich entmachten wolle, "ruft zum fortgesetzten Verfassungsbruch auf".
Tatsächlich stellt das Gutachten in der Einschätzung von Schmoldt "bewährte Formen des Ausgleichs von Interessen und der Konfliktlösung infrage". Gesetzlich verordnete Öffnungsklauseln widersprächen jedem modernen Gesellschaftsverständnis.
Fazit: "Das Gutachten ist kein Gutachten, sondern eine ideologisch begründete Aufforderung, Gewerkschaften zu entmachten, um Lohnsenkungen auf breiter Front durchzusetzen." Wer das beabsichtige, werde die richtige Antwort erhalten.
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