"Glaube gründet sich nicht auf Macht" / Kardinal Marx predigt anlässlich der Frühjahrs-Vollversammlung in Vierzehnheiligen
(Bonn) - "Wie kann man einen klaren Kopf bekommen in diesen turbulenten Zeiten, wenn wir uns die politischen Entwicklungen und auch die Kirche anschauen? Hätten wir uns das vorstellen können, was jetzt in der Welt und in der Kirche passiert? Woran können wir uns orientieren? Was vermittelt uns Gewissheit?" Mit diesen Fragen hat heute (8. März 2022) Kardinal Reinhard Marx (München und Freising) die Predigt im Morgengottesdienst anlässlich der Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Vierzehnheiligen eröffnet.
Eine Orientierung, so Kardinal Marx, gebe die österliche Bußzeit. "In ihr vergewissern wir uns Schritt für Schritt, was diesen Mann aus Nazareth angetrieben hat. Die biblische Versuchungsgeschichte über Jesus zeigt: Er ringt um seinen Weg. Er fragt sich: Was ist ihm wichtig, worauf kommt es ihm an, wie will er von Gott sprechen, wie möchte er seine Vision von der und für die Menschheitsgeschichte einbringen? Er versucht, er sucht. Und dabei schließt Jesus einige Wege aus, die ihm angeboten werden: Gott ist keine Geschäftsbeziehung, man kann ihn nicht kaufen, der Glaube gründet sich nicht auf politische Macht und ist keine Wohltätigkeitsorganisation." Für Jesus gehe es um das Reich Gottes, betonte Kardinal Marx. Mehr als 40 Mal spreche er in der Heiligen Schrift von diesem Reich Gottes in Gleichnissen. "Das Reich Gottes ist das Zentrum Jesu Denkens und Handelns. Aber es hat keinen Eingang in unser Glaubensbekenntnis gefunden. Haben wir da etwas vergessen oder ist es doch mehr ein Zeichen, dass das Reich Gottes in dieser Gegenwart zu finden ist?"
Kardinal Marx verwies darauf, dass die Lösung dieser Spannung im Gebet des "Vater unser" zu finden sei. "Das Vater unser ist der Schlüsseltext für das ganze Verständnis Jesu. In ihm wird deutlich, dass das Reich Gottes nicht irgendwann kommt, sondern jetzt da ist. Es geht um das Leben hier auf der Erde, nicht nur um das, was nach dem Tod kommt. Weil es um das Jetzt geht, schließt Jesus Mächte und Kräfte aus, die diesen Zugang zur Wirklichkeit, zum Reich Gottes, zu seiner Nähe beherrschen, einengen, ja verschlossen halten wollen, die sagen, wie Zugänge sein müssen und sie doch selbst in der Hand behalten wollen", so Kardinal Marx. Mitten im "Vater unser" finde sich die Brotbitte. Das sei mehr als das tägliche Nahrungsmittel: "Es geht um das Brot des Aufbruchs, die Stärkung für einen größeren Horizont ist hier gemeint, das tägliche Brot der Eucharistie, das uns verwandelt und hilft, Gott zu bezeugen. Dieses Brot zeigt die Gegenwart Gottes, es hilft uns, jetzt zu leben und zu verstehen, dass die neue Schöpfung bereits angebrochen ist. Dieses Brot ist daher nicht nur ein Zeichen, sondern eine Notwendigkeit. Deshalb ist die Eucharistie der zentrale Punkt am Sonntag, wo wir uns um den Tisch des Brotes versammeln."
In diesem Sinne gestärkt, so Kardinal Marx, gelinge es neue Orientierung zu finden, wie die Kirche weitergehen könne. "Sie ist Sakrament, Zeichen der Gegenwart Gottes. Und diese Kirche muss fragen, was ihre Wahrheit ist - nur ein dogmatischer Text oder ein Bekenntnis, dass ich unterschreibe? Oder ist sie eine Lebenspraxis - oder ist sie beides? Was nutzt mir ein dogmatisches Bekenntnis, wenn das Reich Gottes nicht wirklich in mir selbst ankommt, wenn der Glaube unterdrückt wird?" Das sei keine Einheit der Kirche und kein Friede, sagte Kardinal Marx. Er fügte hinzu: "Haben wir vielleicht in der Vergangenheit zur sehr um Worte gestritten und uns weniger um die Praxis des Glaubens, der Liebe und damit den Anbruch des Reiches Gottes gekümmert? Hier möge Gott uns helfen, Schritte zu gehen, um die Botschaft Jesu neu zu erkennen und uns verwandeln zu lassen."
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