"Gewalt gegen Polizeibeamte"
(Berlin) - Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) hat einen Zwischenbericht zum Thema "Gewalt gegen Polizeibeamte" vorgelegt.
Nach den tragischen Todesfällen von Polizeibeamtinnen und -beamten infolge von Angriffen im Jahr 2000 hatte die Innenministerkonferenz (IMK) u.a. beschlossen, neben der Einrichtung einer bundesweiten Projektgruppe und vielfältiger Maßnahmen zum verbesserten Schutz von Polizeibeamten ein Forschungsprojekt des KFN finanziell und strukturell zu unterstützen.
Nach einer Pressemeldung des IMK-Vorsitzenden Manfred Püchel vom 17. Mai 2001 basieren die bisherigen Ergebnisse des Forschungsprojekts auf der Auswertung von rund 4.000 Fällen von Angriffen auf Polizeibeamtinnen und -beamte zwischen Januar 1985 und Juli 2000, die durch die Länder und den Bund gemeldet worden sind. Aus dieser Gesamtzahl hat die KFN 2300 Beamte systematisch bzw. zufällig ausgewählt und schriftlich zu ihren Erfahrungen befragt.
Annähernd 50 % der Angeschriebenen haben geantwortet. Die realisierte Stichprobe sei, was ihre Zusammensetzung angeht, repräsentativ für die Gesamtheit aller mit und ohne Tötungsabsicht Angegriffenen. Daneben konnten durch eine Literaturauswertung wichtige ergänzende Aspekte zur vorläufigen Bewertung und Einordnung der Gewaltproblematik gewonnen werden. Die nun vorliegenden Aussagen über die Gewaltanwendung gegenüber Polizeibeamtinnen und -beamten lassen deutliche Tendenzen erkennen. Der Bericht beinhaltet vorläufige Ergebnisse; die Daten sind noch nicht abschließend ausgewertet. Die vorgestellten Ergebnisse können noch Veränderungen erfahren.
Bereits zu Beginn des Forschungsprojekts wurde betont, dass eine wissenschaftlich fundierte Analyse und Bewertung von Gewaltdelikten gegen Polizeibeamtinnen und -beamten nur im Rahmen einer langfristig angelegten Untersuchung möglich ist.
Der abschließende Untersuchungsbericht ist für Juni 2002 vorgesehen und soll die verschiedenen Teilergebnisse aus der Befragung der betroffenen Beamtinnen und -beamten, der Aktenanalyse sowie der internationalen Recherche zur Eigensicherung miteinander verzahnt und zusammenfassend darstellen. Es ist beabsichtigt, in einem abschließenden Kapitel zu Empfehlungen für die Ausbildung und Ausrüstung zu gelangen sowie für die einschlägigen Dienstvorschriften.
Zu den Ergebnissen im Einzelnen:
Der Tod von acht Polizistinnen und Polizisten im Jahr 2000 infolge von Angriffen war bezogen auf die letzten fünf Jahre ein außerordentlich hoher Wert. Ähnlich hohe Zahlen von getöteten Polizisten gab es jedoch bereits in einzelnen Jahren zu Beginn und Mitte der neunziger Jahre.
Die von Bund und Ländern dem KFN gemeldeten Zahlen belegen einen Anstieg der Angriffe mit Tötungsabsicht von 1985 bis 1994, danach sanken diese Zahlen wieder. Trotz eines neuerlichen Anstiegs im Jahr 2000 ist der Höchstwert von 1994 aller Wahrscheinlichkeit nach nicht erreicht worden.
Dies stimmt in großem Maße mit der allgemeinen Entwicklung der Tötungsdelikte bezogen auf die Gesamtbevölkerung überein. Auch die absolute Zahl von Angriffen mit Schusswaffen gegen Polizeibeamte sank seit 1995, stieg aber 2000 an.
Das Risiko eines Polizeibeamten, mit Tötungsabsicht angegriffen zu werden, ist dem Bericht zufolge erheblich höher als das eines Normalbürgers, Opfer eines Angriffs mit Tötungsabsicht zu werden. Die Untersuchung zeigt allerdings auch folgendes: Das Risiko von Polizeibeamten, im Dienst infolge eines Angriffs getötet zu werden, ist in einem durchschnittlichen Jahr geringer als das eines Normalbürgers, was der Ausbildung, der Ausrüstung und dem professionellen Handeln von Polizeibeamten zugerechnet werden dürfe. Im Durchschnitt verlor jeder dreizehnte Beamte, der mit Tötungsabsicht angegriffen wurde, tatsächlich sein Leben. Dabei wurden 85 % der getöteten Beamten mit Schusswaffen oder Messern angegriffen. Das Tötungsrisiko hat sich in den neunziger Jahren gegenüber den achtziger Jahren deutlich verringert.
Für alle Angriffe gilt, dass sie ganz überwiegend bei Dunkelheit, im öffentlichen Raum und in eher bürgerlichen Vierteln stattfanden. Die überwiegende Mehrzahl der Angriffsorte galt zuvor als ungefährlich. Die Beamten waren mehrheitlich zum Angriffszeitpunkt im Funkstreifendienst eingesetzt. Die Täter waren zu über 75 % deutscher Nationalität, fast ausschließlich männlich und handelten allein. Sie waren überwiegend alkoholisiert und fast zur Hälfte polizeibekannt, den Beamten jedoch persönlich unbekannt. Der Angriff erfolgte fast immer überraschend.
Dagegen gilt für Angriffe mit Tötungsabsicht, dass sie sich im Vergleich zu anderen Angriffen überproportional häufig aus Fahrzeugkontrollen und Situationen ohne vorherigen Körperkontakt entwickelten. Die Angreifer waren zu fast 100 % Männer, sie waren eher im mittleren Erwachsenenalter und im Vergleich zu den gesamten Angriffen weniger oft alkoholisiert. In ca. der Hälfte aller Fälle waren die Täter mit Schusswaffen bewaffnet, in ca. 75 % dieser Fälle lag illegaler Waffenbesitz vor. Dieses Ergebnis unterstreicht die Bemühungen, den Waffenbesitz insgesamt zu beschränken.
Angriffe mit Tötungsabsicht und gravierenden Folgen ereigneten sich überproportional häufig bei Überprüfungen von verdächtigen Personen, beim Verhindern einer Flucht, beim Ansprechen und bei der Verfolgung von Personen. Wenn Tötungsabsicht vorlag, gestalteten sich zudem Durchsuchungen und Identitätsfeststellungen als besonders gefährlich. Die Täter waren im Vergleich zu den gesamten Angriffen in noch weniger Fällen alkoholisiert. Sie wurden von den Beamten vor dem Angriff nicht als besonders aggressiv wahrgenommen.
Besonders gefährlich war die Vereinzelung der Beamten - sowohl beim Einschreiten als auch bei der Suche/Verfolgung. Wurde auf der Dienststelle weniger Wert auf Eigensicherung gelegt, führte dies zu einem erhöhten Risiko gravierender Verletzungen.
Nach Auffassung des IMK-Vorsitzenden entwickelten sich viele Angriffe in Tötungsabsicht aus Fahrzeugkontrollen und Routineeinsätzen. Schutzwesten würden entscheidend helfen, Verletzungen zu verringern. Dieses Ergebnis unterstreiche die Bemühungen für eine konsequente Eigensicherung der Polizeibeamtinnen und -beamten und die Zielrichtung der Öffentlichkeitsarbeit "Sicherheit braucht sichere Kontrollen". Gerade weil in über 80 % der Fälle die Angriffe überraschend und aus scheinbar harmlosen Situationen heraus geführt werden, sei es richtig, dass die Beamtinnen und -beamten die Grundsätze der Eigensicherung konsequent anwenden. Dies gelte gerade für Verkehrskontrollen, die zu den häufigsten Kontrollmaßnahmen der Polizei gehören.
Bereits der vorliegende frühe Zwischenbericht lasse erkennen, dass die bislang durch die IMK initiierten Maßnahmen den durch das Forschungsprojekt aufgezeigten Handlungsbedarf weitgehend abdecken. Insbesondere rechtfertige die Studie die Bemühungen zur verstärkten Aus- und Fortbildung, zur zielgerichteten Dienst- und Fachaufsicht und zur verbesserten Schutzausstattung für die Polizei. Die Forderung der IMK nach einer Schutzweste mit hohem Tragekomfort werde bekräftigt und entspreche der realen Gefährdungssituation. In vielen Fällen könnten die Folgen eines Angriffs durch das konsequente Tragen einer Schutzweste minimiert oder völlig abgewendet werden. Eine weitere Risikominimierung werde durch die Einführung von mannstoppender Munition erreicht. In den Ländern und beim Bund laufen derzeit die Planungen zur Beschaffung der neuen Deformationsmunition. Wichtig sei aber auch die strikte Kontrolle und Beschränkung des Waffenbesitzes in der Bevölkerung als vorbeugende Maßnahme.
Die DPolG sieht sich durch diese Erkenntnisse und Bewertungen in ihren Forderungen, die sie der IMK bereits im August 2000 unterbreitet hatte (vgl. http://www.dpolg.de/Meinungen/Positionen/Schutz polizeilicher Einsatzkräfte), vollauf bestätigt!
Quelle und Kontaktadresse:
Deutsche Polizeigewerkschaft im DBB (DPoIG)
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