Gesundheitsreform: Bürokratie contra Selbstverwaltung
(Berlin) - Das Bündnis Gesundheit 2000 begrüßt die erklärte Absicht von Regierung und Opposition, die Finanzgrundlagen der gesetzlichen Krankenversicherung zu stärken, ohne eine weitere Rationierung von Gesundheitsleistungen zuzulassen. Die positiven Ansätze der Eckpunkte zur Gesundheitsreform drohen aber durch die konkrete Ausformulierung der Gesetzesvorlage zunichte gemacht zu werden. Der vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (BMGS) vorgelegte erste Arbeitsentwurf offenbart eklatante Mängel, die in den anstehenden parteiübergreifenden Gesprächen beseitigt werden müssen, fordert das Bündnis, in dem sich 38 Verbände und Organisationen der Gesundheitsberufe zusammengeschlossen haben.
So kann die jetzige Zuzahlungsregelung, nach der nicht die Verordnung, sondern jede einzelne Behandlung kostenpflichtig wird, zu erheblichen Belastungen einkommens-schwacher Patienten führen. Gerade die Erhöhung der Zuzahlungen im Heilmittelbereich von bisher 15 Prozent auf künftig 35 bis 50 Prozent des Rezeptwertes ist sozialpolitisch äußerst fragwürdig. Nach dem jetzt vorliegenden Arbeitsentwurf des BMGS wird die Zuzahlung bei Heilmitteln für Patienten im Westen verdoppelt, im Osten sogar verdreifacht. Die Politik schafft hier mal eben eine neue Ost-West-Lücke, kritisiert Ute Repschläger, Vorsitzende des Bundesverbands selbstständiger Physiotherapeuten IFK und stellvertretende Sprecherin der Heilmittelverbände.
Äußerst kritisch betrachten die Gesundheitsberufe auch die vorgesehene Liberalisierung des Arzneimittelvertriebes. Versandhandel und Mehrbesitz von Apotheken könnten den direkten Weg in die Deprofessionalisierung des Gesundheitswesens bedeuten. Arzneimittel als wesentliche Therapieform sind Sache des Arztes und des heilberuflich qualifizierten Apothekers. Durch den Versandhandel wird die Leistung des pharmazeutischen Apotheken-personals bei der Arzneimittelabgabe jedoch auf Logistiker verlagert, denen jede pharmazeutische Kompetenz fehlt, so Hans-Günter Friese, Präsident der ABDA-Bundesvereinigung der Apothekerverbände. Wenn rein betriebswirtschaftlich motivierte Unternehmen wie die Deutsche Post AG bereits jetzt ankündigten, großflächig in den Versandhandel mit Arzneimitteln einzusteigen, seien Qualitätsverluste unvermeidlich.
Ein weiteres Paradebeispiel für den Hang zu bürokratischen Regelungen ist der neue West-Ost-Transfer bei den Vergütungen der niedergelassenen Ärzte und Zahnärzte. Die Ärzte lehnen eine solche Ausgleichsregelung ab, weil durch eine staatliche Festschreibung die funktionierende freiwillige Solidarität innerhalb der Profession zerstört würde, so Dr. Manfred Richter-Reichhelm, Erster Vorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Außerdem beruhe die vorgesehene Ausgleichsregelung auf falschen Annahmen. So geht das Bundesgesundheitsministerium davon aus, dass die Einkommen aus vertragsärztlicher Tätigkeit in den neuen Ländern heute bei rund 96 Prozent des Niveaus der alten Länder liege. Tatsächlich liegt das Niveau bei rund 80 Prozent.
Der Entwurf aus dem Bundesgesundheitsministerium ist nach wie vor von einem tiefen Misstrauen gegenüber den Angehörigen der Gesundheitsberufe und der Selbstverwaltung geprägt, konstatiert Prof. Dr. Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer. So sehe der Entwurf vor, dass die Leitung des von der Selbstverwaltung einzurichtenden Instituts für Qualität im Einvernehmen mit dem BMGS zu erfolgen habe. Dies steht im klaren Widerspruch zu der von Regierung und Opposition in ihren gemeinsamen Eckpunkten betonten Staatsferne und Unabhängigkeit, so Hoppe. Das gleiche gelte für die Art und Weise, mit der das Ministerium die Fortbildung von Vertragsärzten/Vertragszahnärzten zwangsregulieren wolle.
Nach wie vor werden die erforderlichen Weiterbildungsmöglichkeiten politisch verwaltet, kritisierte Gertrud Stöcker als Vertreterin der Pflegeberufsorganisationen. Dabei sei gerade die Qualifikation das wirksamste Mittel für eine erfolgreiche Behandlung, Betreuung und Pflege. Auch in den Überlegungen zur Gesundheitsreform werde die Leistungsfähigkeit der professionellen Pflege, insbesondere in den Bereichen der pflegerischen Prävention und Rehabilitation, vollständig ignoriert.
Das Bündnis Gesundheit 2000 repräsentiert die über 4 Millionen Beschäftigten im Gesundheitswesen, unter ihnen die Vertreter der Pflegeberufe, Arzthelferinnen, Assistenzberufe, Apotheker, Ärzte, Zahnärzte und Heilmittelerbringer. Eine Liste der Teilnehmer des Bündnisses ist im Internet unter www.baek.de abrufbar.
Quelle und Kontaktadresse:
Bundesärztekammer (Arbeitsgemeinschaft der deutschen Ärztekammern) e.V.
Herbert-Lewin-Str. 1, 50931 Köln
Telefon: 0221/40040, Telefax: 0221/4004388
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