Pressemitteilung | BÄK Bundesärztekammer (Arbeitsgemeinschaft der deutschen Ärztekammern) e.V.

Gesundheitspolitik: Auf dem Weg in englische Verhältnisse

(Berlin/Köln) - In einem Brandbrief an die Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt warnte am 4. April Bundesärztekammer-Präsident Prof. Dr. Jörg-Dietrich Hoppe davor, die Ärzte weiterhin als technokratische Erfüllungsgehilfen einer dogmatisierten Leitlinienmedizin degradieren und die Patienten zu einer Norm- und Kostengröße reduzieren zu wollen. Hoppe hält diese Entwicklung für äußerst besorgniserregend und hat der Ministerin die aus seiner Sicht unverzichtbaren Grundlagen einer bedarfsgerechten Versorgung in den folgenden Thesen aufgezeigt:

Die Gesundheitsversorgung Deutschlands droht in einen Versorgungsnotstand zu geraten. Die demographische Entwicklung der Bevölkerung hin zu einer Gesellschaft des langen Lebens sowie die enormen Möglichkeiten des medizinischen Fortschritts stehen mittlerweile im krassen Gegensatz zu den erodierenden Finanzgrundlagen der Gesetzlichen Krankenversicherung und der zunehmenden Demotivation der Beschäftigten im Gesundheitswesen. Schon jetzt zeichnen sich akute Nachwuchsprobleme in der Ärzteschaft wie auch bei den Pflegeberufen ab.

Gesundheitspolitik war bisher pure Kostendämpfungspolitik, die wirklichen Herausforderungen wurden nicht angegangen. Auch die Diskussion um die dramatischen Versorgungsengpässe in staatlichen Gesundheitssystemen wie in England haben daran nichts ändern können. Im Gegenteil: Die verantwortlichen Politiker lassen sich von parlamentarisch nicht legitimierten Expertokraten den Weg in die staatliche Reglementierung der Gesundheitsberufe und in die gnadenlose Durchökonomisierung der Krankenversicherung weisen. Nicht mehr der Patient steht im Mittelpunkt der Betrachtung; Gesundheitspolitik droht zum Selbstzweck zu verkommen. Gleichwohl bleiben die nachfolgenden Grundlagen einer bedarfsgerechten Versorgung auch in Zukunft unverzichtbar:

I. Der Patient hat Anspruch auf eine individuelle, nach seinen Bedürfnissen ausgerichtete Behandlung und Betreuung. Das setzt die Therapiefreiheit des Arztes ebenso voraus wie die Bereitstellung der notwendigen Mittel. Eine Rationierung medizinischer Leistungen oder auch der Weg in die Checklistenmedizin führen in die Unterversorgung.

II. Der Patient hat Anspruch auf die freie Arztwahl. Patientenrechte und Patientenautonomie bleiben aber hohle Phrasen, wenn dieses Recht auf freie Wahl, und damit auf die individuelle Vertrauensbeziehung zum Patienten aufgehoben wird. Selbstredend liegt es in der Entscheidung des Patienten, bestimmte Versorgungstarife, wie etwa den Hausarzttarif, freiwillig zu wählen.


III. Der Patient hat Anspruch auf Transparenz. Die Ärzteschaft setzt sich deshalb sich nachdrücklich für eine regelmäßige Information des Patienten über Menge, Umfang und Kosten der für ihn erbrachten Leistungen ein. Zugleich aber muss der Patient auch die Möglichkeit erhalten, zwischen Sachleistung und Kostenerstattung (auf der Basis der amtlichen Gebührenordnung) zu wählen.

IV. Der Patient hat Anspruch auf die Solidarität der Versicherten. Solidarität bedeutet im Krankheitsfall auf das Leistungsvermögen der Solidargemeinschaft zurückgreifen zu können. Solidarität bedeutet andererseits, dass jeder entsprechend seiner finanziellen Möglichkeiten einen Beitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung zu leisten hat und die gesetzliche Krankenversicherung auch nur nach Maßgabe des Notwendigen in Anspruch nimmt. Über das Notwendige hinausgehende Leistungen gehören in eine Zusatzversicherung und dürfen nicht zu Lasten der Solidargemeinschaft erbracht werden. Zugleich muss im Wettbewerb der Krankenversicherung Raum für die private Krankenversicherung bleiben. Eine Einheitsversicherung widerspricht den Prinzipien der Eigenverantwortung sowie der Patientenautonomie und wird deshalb von der Ärzteschaft abgelehnt.

V. Der Patient hat Anspruch auf eine wirkliche Krankenversicherung. Als Versicherter zahlt er Beiträge in die Krankenversicherung ein, um im Krankheitsfall notwendige Leistungen zu erhalten. Darauf hat er Anspruch. Dieser Anspruch wird aber seit Jahren erheblich geschwächt, weil der Krankenversicherung immer mehr versicherungsfremde Aufgaben zugewiesen werden, die mit ihrer originären Aufgabenstellung nichts mehr zu tun haben. Die gesetzliche Krankenversicherung hätte kein milliardenschweres Defizit zu beklagen, wenn sie nicht fortwährend als sozialpolitischer Verschiebebahnhof missbraucht werden würde.

VI. Der Patient erwartet Fürsorge und Zuwendung von den Berufen im Gesundheitswesen. Doch die zunehmende Reglementierung im Gesundheitswesen, der enorme Wettbewerbsdruck und die z.T. menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen führen zu wachsender Demotivation der Gesundheitsberufe und schrecken potentiellen Nachwuchs ab. Die gesundheitspolitischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen müssen deshalb endlich so gestaltet werden, dass diese Berufe wieder an Attraktivität gewinnen. Anderenfalls droht der Personalkollaps in der medizinischen Versorgung.

VII. Der Patient hat Anspruch auf ein bürgernahes Gesundheitswesen. Durch eine Selbstverwaltung der Beteiligten und Betroffenen ist das noch gewährleistet. Wird die Selbstverwaltung jedoch abgeschafft oder wird den Krankenkassen die alleinige Steuerungsmacht über das Gesundheitswesen verliehen, dann sind Anonymisierung, Deprofessionalisierung und weitere Mangelverwaltung nicht mehr aufzuhalten. Dann drohen englische Verhältnisse.

Quelle und Kontaktadresse:
Bundesärztekammer (Arbeitsgemeinschaft der deutschen Ärztekammern) e.V. Herbert-Lewin-Str. 1 50931 Köln Telefon: 0221/40040 Telefax: 0221/4004388

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