Gefühlter Ausbildungsnutzen wird unterschätzt
(Siegen) - Das in der Bundesrepublik derzeit bestehende Meinungsklima führt zu dem fatalen Ergebnis, dass die Bereitstellung betrieblicher Lehrstellen mittlerweile als soziales Projekt begriffen wird. Unternehmen haben jedoch nicht aus sozialen Gründen Lehrstellen zu schaffen, sondern sie werden dies nur dauerhaft tun, wenn sich der damit verbundene Aufwand für sie rechnet. Handeln sie anders als ökonomisch-rational, verschwinden sie von der Bildfläche. Dies war die Kernthese eines Vortrags, den Prof. Dr. Felix Rauner vom Institut für Technik und Bildung (ITB) an der Universität Bremen unter anderem verantwortlich für die Landesinitiative Innovative Berufsbildungsforschung 2010 (IBB 2010) - kürzlich vor dem Berufsbildungsausschuss der Industrie- und Handelskammer (IHK) sowie interessierten Personal- und Ausbildungsleitern aus Siegen-Wittgenstein und Olpe hielt.
Die gefühlten Kosten der Ausbildung würden im bestehenden Meinungsklima durch die Unternehmer eindeutig über-, die gefühlten Erträge hingegen deutlich unterschätzt. Permanente Aufrufe, die Firmen hätten ihrer gesellschaftspolitischen Verantwortung gerecht zu werden, verstärkten die in den Betrieben gängige Tendenz, insbesondere den Nutzen der Erstausbildung zu unterschätzen. Dies sei verhängnisvoll. Rauner stellte dem gegenüber, dass der Nutzen gerade dann besonders ausgeprägt sei, wenn die jungen Auszubildenden relativ schnell und mit großer Intensität in die Wertschöpfungsketten der Unternehmen integriert würden. Er kritisierte dabei auch, dass die jungen Menschen im Verlaufe ihrer Erstausbildung zu lang in inner- und überbetrieblichen Lehrwerkstätten verblieben, statt sie so frühzeitig wie möglich in die innerbetrieblichen Prozesse in Buchhaltung, Fertigung, Arbeitsvorbereitung, Instandhaltung oder Verkauf einzubinden. Auch die überbordende Überregulierung, die die zentralstaatliche Ebene produziere, schade der betrieblichen Ausbildung mehr als sie nutze. In Deutschland gebe es zu viele und zu detailliert geregelte Berufe. Weniger wäre hier mehr. Es genüge, auf Bundesebene den Rahmen zu spannen, der dann jeweils regional von den Verantwortlichen vor Ort auszufüllen sei. Schließlich seien die Prüfungsstrukturen im dualen System zu aufwändig und zu komplex ausgestaltet. Sie führten immer wieder dazu, dass die innerbetriebliche Erstausbildung zu stark an den zentral formulierten Prüfungsaufgaben orientiert würde.
In der Bundesrepublik sei ein System erforderlich, das wieder stärker das reflektierte Erfahrungswissen im bewährten Zusammenspiel zwischen Betrieben und Berufsschulen in den Mittelpunkt der inhaltlichen Vermittlung sowie des Prüfungsgeschehens stelle. Rauner skizzierte zugleich, wie Kosten, Nutzen und die Qualität der betrieblichen Berufsbildung von dem Unternehmen selbst ermittelt werden kann. Hierzu stellte er ein in seinem Institut für Technik und Bildung entwickeltes Berechnungsverfahren dar, das man in Bremen gemeinsam mit zahlreichen Betrieben bereits getestet habe. Hierbei sei man zu der wesentlichen Erkenntnis gelangt, dass die Kosten-Nutzen-Relationen betrieblicher Erstausbildung erheblich stärker von der gewählten innerbetrieblichen Organisationsform abhinge als bisher angenommen. Je schneller und je verantwortungsvoller man die jungen Leute in die Verantwortung in den einzelnen Arbeitsprozessen der Unternehmungen integriere, um so nachhaltiger lohne sich für diese Unternehmungen auch die Ausbildung. Vor allem aber lohne es sich auf Qualität in der Ausbildung zu setzen. Je höher die Ausbildungsqualität, umso höher die Rentabilität, so eine zentrale These.
Die Mitglieder des Berufsbildungsausschusses, die unter Vorsitz von Willi Brase (MdB) im Berufskolleg Olpe zusammen gekommen waren, zeigten sich von den provozierenden Thesen Rauners sehr angetan. Gemeinsam mit der IHK wollen nun einige Unternehmen überlegen, über das ITB ebenfalls ihre eigene Rentabilität und die Qualitätsdimensionen ihrer betrieblichen Erstausbildung untersuchen zu lassen.
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