Gaspreisbremse reicht nicht
(Berlin) - Ziemlich genau 100 Tage nach Abgabe ihres Berichts an die Bundesregierung, stellen Mitglieder der "ExpertInnenkommission Gas und Wärme" fest: Wichtige Empfehlungen wurden nicht umgesetzt. So fehlen bisher nachhaltige Maßnahmen zur Förderung von Energieeinsparungen. Auch der Schutz von Mieterinnen und Mietern kommt in den bisherig umgesetzten Maßnahmen zu kurz. Es braucht Moratorien zur Aussetzung von Kündigungen und Energiesperren.
Eva Maria Welskop-Deffaa, Caritas-Präsidentin: "In unseren Beratungsstellen - in der Allgemeinen Sozialberatung und in der Schuldnerberatung - erleben wir gerade, wie schnell steigende Energiepreise Menschen in Existenznöte bringen - Menschen, für die der Gang in eine Beratungsstelle bislang außerhalb ihrer Vorstellungswelt lag. Sie brauchen Hilfe, um mit den Preissteigerungen zurecht zu kommen und sie suchen Rat beim Sparen von Heizenergie. Die Antwort auf die Energiekrise muss aus zwei Pfeilern bestehen: finanzielle Abfederung einerseits, starke Anreize zum Energiesparen andererseits. Die Gaspreisbremse leistet kurzfristig die gebotene Abfederung. Jetzt müssen Maßnahmen kommen, die Energieeinsparungen im großen Stil befördern. Das ist sozial- und klimapolitisch unumgänglich. Aus unserer Caritas-Erfahrung wissen wir, wie viel passgenaue Energiesparberatung ausrichten kann - professionell, ehrenamtlich, auf Augenhöhe und im vertrauten Sozialraum. Die Förderung solcher Angebote muss ausgebaut werden. Jede und jeder soll dazu befähigt werden, energie-fressenden Gewohnheiten im Alltag den Kampf anzusagen. Es ist unverständlich, dass die Regierung dieses so wichtige Feld brach liegen lässt."
Lukas Siebenkotten, Präsident Deutscher Mieterbund: "Die Bundesregierung hat auf die Umsetzung der von der Kommission empfohlenen Moratorien zur Aussetzung von Wohnungskündigungen und Energiesperren leider verzichtet. Das halten wir für einen Fehler, da bisher auch kein unabhängiger Hilfs- und Härtefallfonds für Mieter/innen umgesetzt wurde. In der Folge müssen viele Mieterinnen und Mieter am Ende des Jahres 2023 eine kalte Wohnung und schlimmstenfalls gar den Verlust ihrer Wohnung befürchten, da viele die hohen Energiepreise erst im Rahmen ihrer Nebenkostenabrechnung im Laufe des Jahres spüren werden. Deswegen ist eine vorübergehende Aussetzung von Kündigungen so wichtig.
Darüber hinaus sollten die nicht benötigten Milliarden zur Stabilisierung der Gas- und Fernwärmepreise nicht ans Finanzministerium zurückfließen, sondern für klimagerechten und bezahlbaren Wohnungsbau ausgegeben werden. Die sozialen Verwerfungen am Wohnungsmarkt können nur mit einer nachdrücklichen Investitionsoffensive des Bundes und der Länder gelöst werden.”
Prof. Dr. Karsten Neuhoff, Professor an der TU Berlin und Leiter der Abteilung Klimapolitik am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin): "Einsparen ist die sinnvollste Energiequelle. Eingespart wurden jedoch lediglich 14 Prozent Gas statt 25 Prozent wie von der Bundesnetzagentur empfohlen. Die Bundesregierung sollte die konkreten Empfehlungen der ExpertInnenkommission umsetzen: Die Menschen zu Energieeinsparungen motivieren, zum Energiesparen befähigen und drittens mit Effizienzverbesserungen Gas sparen. Die energetischen Sanierungen sollten beschleunigt werden. Eine schrittweise Steigerung der Gebäudesanierungen von weniger als einem auf vier Prozent pro Jahr und eine Priorisierung auf schlecht gedämmte und gasbeheizte Gebäude würde bis 2025 jährlich vierzehn Prozent des Gasbedarfs zum Heizen einsparen. Dafür sind klare Zielvorgaben für Sanierungsraten, Mindestenergiestandards für den Bestand und eine Stärkung der Programme für energetische Gebäudesanierungen notwendig.
Gaseinsparungen sollten auch durch eine sparsamere Nutzung von Grundstoffen realisiert werden, deren Herstellung den größten Teil des industriellen Gasverbrauchs verursacht: 37 Prozent des Gases verbraucht die Chemieindustrie, zehn Prozent die Metallerzeugung, neun Prozent die Glas- und Keramikherstellung und acht Prozent die Herstellung von Plastik. Ein großer Teil dieser Grundstoffe geht in Verpackungen wie zum Beispiel 40 Prozent des Plastiks. Somit können Industrie und die Verbraucherinnen und Verbraucher mit der Verminderung und Vermeidung von Einwegverpackungen effektiv Gas sparen. Dafür sollte die Politik regulatorische Vorgaben machen. Wegen des starken Fokus auf LNG-Importterminals werden bisher die Chancen beim Gassparen verpasst: Flüssiggas könnte international bis 2025 knapp bleiben und hilft nicht, die Klimaschutzziele zu erreichen."
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